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Sachsen-Anhalt
Landleben auf Probe läuft noch nicht

Vor etwa zwei Jahren wurde in Sachsen-Anhalt die Wächterhof-Idee ins Leben gerufen. Städter sollten als Zwischenmieter für einen Hof gewonnen werden. Das Ziel: dem Bevölkerungsrückgang und damit dem Dorfsterben entgegenwirken. Die erste Bilanz fällt allerdings ernüchternd aus.

Von Christoph Richter | 16.01.2017
    Ein Feld in Sachsen-Anhalt nach der Ernte. Im Hintergrund stehen Windräder.
    Das Projekt der Wächterhöfe sollte das Landleben in Sachsen-Anhalt attraktiver machen. (imago/Westend61)
    Die erste Bilanz ist ernüchternd: Das Projekt der Wächterhöfe in Sachsen-Anhalt konnte auch knapp zwei Jahre nach Start des Programms keinen Besitzer einer alten Immobilie dazu bewegen, seine Hoftür für Zwischenmieter zu öffnen. Und das, obwohl das generelle Interesse groß ist. Das heißt, es gibt 35 potenzielle Hofwächter-Anwärter, junge Familien und Künstler. Die meisten Anfragen kommen aus Leipzig, es gibt aber auch Interessenten aus Berlin. Nur: Die alteingesessenen Hofbesitzer sind skeptisch. Was euphorisch startete, ist nun ein Misserfolg? Thomas Klepel, einer der Projektverantwortlichen schüttelt energisch mit dem Kopf, gesteht aber:
    "Das Modell ist kompliziert für den ländlichen Raum. Es gib Vertrauensschwierigkeiten, die zum Teil sehr groß sind. Das bedeutet, Vertrauensvorschuss von beiden Seiten."
    Ins Leben gerufen wurde die Wächterhof-Idee im Naturpark Dübener Heide, weil Demografen für die Region zwischen Dessau, Wittenberg und Leipzig bis 2025 einen Bevölkerungsrückgang von 30 Prozent prognostizieren. Weshalb man vor etwa zwei Jahren auf den Gedanken kam – in Anlehnung an die Wächterhäuser in Leipzig - für leer stehende Bauernhöfe beziehungsweise Landhäuser, junge Menschen als Zwischenmieter zu suchen. Sogenannte Neulandgewinner, die das Wagnis Landleben eingehen. Hat anscheinend aber – bisher zumindest - nicht ganz geklappt: Die Hofbesitzer haben große Bedenken, erzählt der in Wien studierte Thomas Klepel.
    "Also, wer ist das, wer da kommt. Auf was lasse ich mich da ein. Mit welchen Lebensvorstellungen kommen die dazu, wie weit ändern sie mein eigenes Leben. Also, es sind verschiedene Fragen, die bei den Eigentümern vorhanden sind."
    Einer der Teilnehmer des Wächterhof-Programms – gefördert durch die Robert-Bosch-Stiftung - ist Sven Gröber. Ein stämmiger Typ, Anfang 50. Der studierte Geograf ist der Besitzer eines alleinstehenden Gehöfts, einer alten Senfmühle in Lubast, mitten in der Dübener Heide, das ist der größte Mischwald Mitteleuropas. Gröber – der auch Stadtführer in Wittenberg ist - sucht einen Zwischenmieter. Und kann das Zögern der Hofbesitzer durchaus nachvollziehen.
    "Ich kann das sehr gut verstehen. Man weiß weder, wer da kommt. Noch weiß man, mit wem derjenige verbandelt ist, sodass man nicht weiß, wer kommt jetzt auf meinen Hof. Man will ja letztlich in Frieden leben und das ist letztlich eine schwierige Situation."
    Keine Ansprechpartner vorhanden
    Ein Geburtsfehler des Wächterhof-Projekts in der Dübener Heide ist es – anders als bei den Wächterhäusern in Leipzig beispielsweise – dass es keinen konkreten Ansprechpartner gibt. Deswegen brauche es künftig eine Organisation, die einerseits die Eigentümer berät, ihnen die Ängste vor den neuen Zwischennutzern nimmt, andererseits die Zwischenmieter für das neue Wohnumfeld sensibilisiert.
    "Wir brauchen Partner. Ein Paten-Modell, eine Vertrauensperson, eine Vertrauensorganisation oder eben auch eine Vermietungsorganisation, die den Eigentümern zur Seite steht und ihnen die Frage gut beantwortet und rechtlich absichern kann."
    Thomas Klepel vom Verein Dübener Heide appelliert an die Geduld. Das Projekt, insbesondere der Vertrauensaufbau zwischen Interessenten und Hofbesitzern, brauche eben seine Zeit, sagt er.
    "Ja, das ist wichtig. Man lebt dann mit Menschen auf dem Hof. Und dass muss zu einem passen. Man will ja seine Lebensqualität nicht einbüßen und irgendwelche Schwierigkeiten kriegen. Das Gute am Wächterhof-Projekt ist ja, dass es eine Vermittlung auf Zeit ist, sodass man sich nicht auf immer gebunden hat. Und dann auch wirklich sagen kann, wenn es dann nicht klappt, dann kann man es beenden. Es ist eine Chance, es zu testen."
    Für Soziologen ist klar: Jedes leer stehende Haus mindert die Lebens- und Wohnqualität eines Dorfes, einer Region. Die Wächterhöfe können dem entgegenwirken, ergänzt Sven Gröber. Der immer noch hofft, für einen Teil seiner Senfmühle einen Zwischennutzer zu finden. Gröber ist ein echter Dorf-Fan. Denn im Dorf könne man Tiere halten, Obst und Gemüse anbauen; aber auch für ein Home-Office sei das Landleben geradezu ideal, schwärmt er. Man sei auf dem Land, aber irgendwie auch mitten im Leben.
    "Ich fände es sehr wichtig, wenn man sagt, man macht eine Erfassung aller Höfe der Umgebung, die leer stehen und würde dann die Höfe gezielt vermitteln. An Interessenten, an junge Leute die etwas gestalten wollen, um so Menschen aufs Land zu holen, die quasi eine echte Ansiedlung betreiben. Das fände ich spannend."
    Demografischem Wandel ein Schnippchen schlagen
    Auch, um dem vorhergesagten demografischen Wandel ein Schnippchen zu schlagen. Gröber sagts und lächelt. Zusammengefasst: Das Modell-Projekt der Wächterhöfe in der Dübener Heide ist eine durchaus charmante Werbung für das Dorfleben, eine Art ländliches Willkommensprogramm. Damit Traditionen und ländliche Lebensentwürfe, wie der Feuerwehrball, der Ramba-Zamba im Dorfkrug schlicht erhalten bleiben. Nur, ob das passiert, liegt letztlich auch ein bisschen an der Landbevölkerung. Ob sie es als Chance begreift, dass mit dem Zuzug der Städter, am Ende die Grundschule oder der Bäcker nicht zumacht, das Dorf letztlich – anders als prognostiziert - eben nicht stirbt.