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Sachsen
Wenn die rechte Szene zu Zeitzeugenvorträgen lädt

Sie heißen "Zeitzeugenvorträge", doch sie werden von Rechtsextremen organisiert und der Vortrag beinhaltet oft die Holocaustleugnung. In Sachsen bekommen solche Veranstaltungen immer mehr Zulauf. Die wegen Volksverhetzung verurteilte Ursula Haverbeck etwa trat im vergangenen Jahr zweimal dort auf.

Von Bastian Brandau | 03.05.2018
    Die wegen Volksverhetzung angeklagte Ursula Haverbeck im Verhandlungssaal im Landgericht in Detmold
    Die 89-jährige Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck muss ihre Haftstrafe antreten (picture alliance/ dpa/ Bernd Thissen)
    "Soldaten berichten", "Zeugen der Zeit" oder "Die große Soldatenweihnacht", so hießen Veranstaltungen der extrem rechten Szene im vergangenen Jahr in Sachsen. Zu den insgesamt zehn Veranstaltungen seien bis zu 300 Personen gekommen, schreibt das sächsische Innenministerium in der Antwort auf die "kleine Anfrage" des Grünen-Abgeordneten Valentin Lippmann.
    "Das ist eine Entwicklung, die vor allem im letzten Jahr zugenommen hat massiv, allein 2017 hatten wir eine zweistellige Zahl solcher Zeitzeugenvorträge auch mit bekannten Holocaustleugnerinnen, in dem Fall mit Ursula Haverbeck, und damit auch mit einer zunehmenden Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Waren das anfangs nur 50, 60, sind wir jetzt bei Veranstaltungen mit weit über 200 Personen. Und da ist natürlich Wachsamkeit geboten."
    "Nationalsozialistische Terrorherrschaft wird relativiert"
    Dabei ist das Phänomen der sogenannten Zeitzeugenvorträge in der extrem rechten Szene nicht neu. Nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen in den vergangenen Jahren wende sich die Szene wieder klassischen Veranstaltungen zu, sagt Martin Döring, Sprecher des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz:
    "Im Regelfall ist es so, dass Holocaustleugner dort auftreten und ihre Sicht der Dinge erzählen. Es sind aber manchmal auch unbekannte Personen oder relativ unbekannte Personen, Teilnehmer des Zweiten Weltkriegs, Soldaten, die ihrer eigenen Soldatenvergangenheit anhängen und aus ihrer spezifischen Sicht berichten. Häufig dergestalt, dass die alliierten Siegermächte als die eigentlichen Bösen und Verbrecher dastehen und die nationalsozialistische Terrorherrschaft relativiert wird."
    Organisiert würden die Veranstaltungen in Sachsen überwiegend von der parteiunabhängigen Neonaziszene. Das Publikum sei vom Alter her gemischt. Ziel sei es, den inhaltlichen Zusammenhalt der Szene zu festigen. Auch von Geldsammlungen wird berichtet. Nicht per se sind solche Veranstaltungen illegal. Aber:
    "Ganz häufig ist es so, dass dort nicht nur geschichtsrevisionistisch und geschichtsklitternd agitiert wird, sondern dass auch Straftatbestände erfüllt werden. Beispielsweise der Straftatbestand der Holocaustleugnung oder der Straftatbestand der Volksverhetzung. Wenn die Polizei im Vorfeld einer solchen Veranstaltung erfahren sollte, dass genau das geschieht, dann gibt es auch durchaus den rechtlichen Rahmen, um solche Veranstaltungen zu verbieten."
    Konspirativ geplant und durchgeführt
    2017 konnte die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zweimal in Sachsen auftreten, auch in diesem Jahr wurde sie zu einer Veranstaltung per Video zugeschaltet. Sogenannte Zeitzeugenvorträge werden in der Regel konspirativ geplant und durchgeführt. Eingeladen wird über geschlossene Gruppen oder Messengerdienste, der genaue Veranstaltungsort wird meist erst kurz zuvor bekannt gegeben. Die Öffentlichkeit hingegen erfährt davon oft erst im Nachhinein. Das muss sich ändern, fordert Grünen-Politiker Valentin Lippmann:
    "Zum einen erwarte ich vom Verfassungsschutz mehr Transparenz. Wir brauchen eine öffentliche Debatte darüber, was in den Orten dort auch tatsächlich vorkommt. Wir haben jetzt immer wieder im Zusammenhang mit Zeitzeugenvorträgen, aber auch im Zusammenhang mit anderen rechtsextremen Objekten die Erfahrung machen müssen, dass teilweise in den Kommunen das Bewusstsein dafür nicht da ist, welche Tätigkeiten dort vor Ort ablaufen, was da für finstere Gesellen und Neonazis durch die Gegend laufen. Einfach weil ihnen niemand das gesagt hat, auch der Verfassungsschutz, von daher erwarte ich da eine stärkere Transparenz. Und auch eine stärkere Klarheit gegenüber den Kommunen und der Öffentlichkeit."
    Nur so könne sich auch in kleineren Orten zivilgesellschaftlicher Widerstand formieren.
    Opposition fordert mehr Transparenz vom Verfassungsschutz
    "Wir haben ja als beobachtende Behörde eine Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit",
    sagt Martin Döring vom sächsischen Verfassungsschutz. "Dieser Informationspflicht auch gegenüber privaten Anbietern von Räumlichkeiten kommen wir selbstverständlich nach. Wenn wir im Vorfeld einer solchen Veranstaltung davon Kenntnis erlangen, dann gehen wir gegebenenfalls auch auf die privaten Anbieter solcher Örtlichkeiten zu. Häufig werden solche Örtlichkeiten allerdings in Unkenntnis des tatsächlichen politischen Hintergrunds angeboten und vermietet."
    Wie kann ein Vermieter reagieren, wenn er merkt, dass er es mit Neonazis zu tun hat? Das Innenministerium solle private Vermieter genauso wie Kommunen dazu beraten, fordert Grünen-Politiker Lippmann. Im Ministerium verweist man dazu auf die Aktivitäten des Verfassungsschutzes.
    Nicht immer jedoch sind Neonazis auf Vermieter angewiesen: In Mittweida im Landkreis Mittelsachsen etwa gehört ihnen ein Gebäude, in dem 2017 fünf sogenannte Zeitzeugenvorträge stattgefunden haben. Hier müssten die Behörden ganz genau hinschauen, ob der Raum auch wirklich für größere Veranstaltungen geeignet sei, sagt Grünen-Politiker Lippmann.
    Was passiert, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt?
    Denn zwar können schon jetzt - 73 Jahre nach Ende des NS-Regimes - Zeitzeugen meist nur von ihrer Kindheit und Jugend vor 1945 erzählen. Aber mit dem bevorstehenden Verschwinden der Zeitzeugen würden sogenannte Zeitzeugenvorträge in der extrem rechten Szene nicht aufhören. Das sieht auch Verfassungsschutz-Sprecher Sprecher Martin Döring so:
    "Es ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass auch nach dem Wegfall von Holocaustleugnern die Szene sehr wohl an ihrem geschichtsrevisionistischen Bild festhalten wird. In welcher Art das dann konkret geschehen wird, das lässt sich jetzt noch nicht voraussehen."
    Die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck wird in diesem Jahr in Sachsen wohl nicht mehr auftreten. In der vergangenen Woche hat die Staatsanwalt Verden die 89-jährige zum Antritt einer Haftstrafe aufgefordert. Ein Gericht hatte im Februar die Verurteilung zu zwei Jahren wegen Volksverhetzung bestätigt. Haverbeck hatte daraufhin einen Antrag auf Haftverschonung gestellt.