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Sachsen
Zu wenig politische Bildung für Schüler?

Politische Bildung komme in Sachsen zu spät und zu kurz auf den Lehrplan, meinen Kritiker. Das stehe zwar nicht in direktem Zusammenhang mit dem großen Zulauf der Pegida-Bewegung in dem Bundesland. Doch die politische Sozialisation eines Menschen beginne früher als in der 9. Klasse.

Von Iris Milde | 17.01.2015
    Schüler lernen im Geschichtsunterricht an einer Hauptschule in Arnsberg (Sauerland).
    Ab der 9. Klasse kommt Politische Bildung auf den Lehrplan. (dpa / picture alliance / Fabian Stratenschulte)
    Erste Stunde im Lößnitzgymnasium in Radebeul, einer Kleinstadt am Rande von Dresden. Das Fach Gemeinschaftskunde/Rechtserziehung/Wirtschaft, kurz GRW, steht auf dem Stundenplan. Während er mit den Schülern der zwei 9. Klassen scherzt, verteilt Lehrer Peter Müller Klebezettel. Dann deutet er auf die Tafel.
    "Dieser Zettel hat eine Klebeseite. Und wir haben hier ein Ja, ein Vielleicht – wer hat das reingeschrieben? Ok, ist gar nicht so schlecht - und ein Nein. Ihr sollt mit diesem Zettel euch positionieren: Wer kennt Pegida? Alles klar? Auf geht's."
    Die überwiegende Mehrheit der Klasse kann mit der Bezeichnung Pegida etwas anfangen, nur ein Zettel klebt im Feld für "Nein". Doch was will Pegida? Peter Müller nimmt mit den Schülern das Positionspapier der Bewegung unter die Lupe.
    "Pflicht zur Integration. Und das soll ins Grundgesetz. Gegen was verstößt das, gegen welchen Paragrafen? - Lies mal vor!"
    "Jeder hat das Recht auf eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt."
    Für viele Schüler ist es das erste Mal, dass sie sich näher mit dem Thema befassen, aber sie finden es wichtig, aktuelle politische Ereignisse in der Schule zu behandeln:
    "Weil man sollte schon wissen, was gerade überhaupt vorgeht, wenn man jetzt irgendwie zum Beispiel halt Pegida oder so hört, weiß man halt nichts darüber und dann sollte man schon in der Schule aufgeklärt werden deswegen, denke ich."
    "Fach hat geringen Stellenwert"
    Politische Bildung in der Schule komme in Sachsen jedoch zu kurz, meint Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden.
    "Der Stellenwert des Faches ist im Vergleich der Bundesländer einer der geringsten. Damit kann man keinen Zusammenhang herstellen, dass deshalb Pegida in Sachsen besonders hohen Zulauf hätte. Aber im Moment haben wir ja eine Situation, in der ganz viele Leute auch nach politischer Bildung verlangen und da muss man schon sagen: Wir hatten bislang wenig."
    Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge muss ein Schüler in Sachsen 80 Stunden des Fachs GRW belegen, bis er die Schule mit einem Realschulabschluss verlässt. Damit bildet Sachsen gemeinsam mit Bayern das Schlusslicht. In der 11. und 12. Klasse ist das Fach nicht verpflichtend. Sachsens Bildungsministerin Brundhild Kurth appelliert dagegen, nicht nur auf Stundentafeln zu schauen.
    "Wir haben einen Anteil von 25 bis 26 Prozent gesellschaftswissenschaftlicher Fächer und liegen damit im Bundestrend. Zum anderen ist für mich immer wichtig gewesen, dass wir politische Bildung in der Schule nicht auf ein Fach konzentrieren, sondern dass politische Bildung in der Schule gelebt werden muss. Und dazu ist jedes Fach geeignet. Wenn Sachaufgaben im Mathematikunterricht gestellt werden, dann ist es doch am Lehrer, zu welchem Thema er die Sachaufgabe wählt."
    Ausweitung der Stundenzahl eine Lösung?
    Politische Kultur in der Schule ja, aber politische Urteils- und Handlungsfähigkeit seien im Matheunterricht eher schwer zu erreichen, meint Anja Besand. Die Professorin hält es außerdem für problematisch, erst in der 9. Klasse damit zu beginnen.
    "Weil wir wirklich aus Studien wissen, dass die politische Sozialisation und die Entscheidung jedes Einzelnen, ob er sich überhaupt für Politik interessiert, eigentlich zu einer sehr viel früheren Zeit schon entschieden wird."
    Für Lehrer Peter Müller ist die Ausweitung der Stundenzahl keine Lösung. Schon jetzt hätten die sächsischen Schüler eine vergleichsweise hohe Gesamtstundenzahl zu bewältigen. Ob und welchem Umfang aktuelle Themen behandelt werden, hänge am meisten vom Engagement des Lehrers ab.
    "Ich habe prinzipiell die Möglichkeit, immer auch Aktuelles zu machen, denn ich kann ja das andocken an den Lehrplan. Das bedeutet allerdings, ich kann die jetzigen Lehrbücher nicht verwenden. Ich muss als Lehrer zu Hause sehr viel mehr vorbereiten und gucken, wo habe ich hier die Andockmöglichkeiten."
    Zum Ende der Stunde folgt der Stimmungstest. Peter Müller schreibt Pegida auf die eine und No Pegida auf die andere Tafelseite. Die Schüler sind diesmal zögerlicher. Schließlich kleben 30 Zettel unter No Pegida, sechs unter Pegida und fünf in der Mitte.