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Sad Rap
Traurige Rapper im 21. Jahrhundert

Bei amerikanischen Rappern wie Drake, Kanye West oder Future gehört es längst zum guten Ton, die eigene Traurigkeit in den Vordergrund ihrer lyrischen Reflexionen zu stellen. Im Internet kursieren schon Genre-Bezeichnungen wie Sad Rap. Woher kommt dieses Interesse für die Traurigkeit?

Von Raphael Smarzoch | 29.07.2014
    Der amerikanische Rapper Little Pain ist traurig. Seine Musik bezeichnet er als Sad Rap und fordert seine Fans auf, einfach mal drauf loszuweinen. Er spricht von der Trauer über seinen verstorbenen Hund und äußert den Wunsch, die Brüste einer Frau mit seinen eigenen Tränen benetzen zu dürfen. Und das sei keine ironische Attitüde, sagt Will Neibergall, der unter dem Namen Glasspopcorn rappt. Vielmehr manifestiere sich in dieser Traurigkeit eine Angst, deren Ursprung er in der omnipräsenten Digitalisierung erkennt:
    "Diese um sich sich greifende Angst ist womöglich eine Reaktion auf unsere visuelle und digitale Kultur, die sich vom Gegenstand gelöst hat. Diese Angst resultiert vielleicht aus der Tatsache, dass wir heute so viele Informationen konsumieren, uns aber nicht darüber klar werden, was für Massen das sind.
    Gefühl von Erschöpfung und Traurigkeit
    Auf seinem Mixtape Don't worry erzählt Will Neibergall von einer Matrix aus sozialen Netzwerken, Videoplattformen und Echtzeitkommunikationen, die mittlerweile sein Leben bestimme. Eine zuckersüße Befriedigung on-Demand, die allerdings niemals befriedigt, sondern süchtig macht und immer wieder in Anspruch genommen werden will.
    "Daraus resultiert ein unerbittlicher, zwanghafter Druck. Die Kehrseite dieser Zwanghaftigkeit ist ein Gefühl von Erschöpfung und Traurigkeit."
    Meint der britische Kulturkritiker Mark Fisher. Für ihn ist der kanadische Rapper Drake der Posterboy dieser neuen Traurigkeit. Ein Multimillionär, der vergessen hat, wie viel Geld er eigentlich besitzt, sich alles Erdenkliche leisten kann und ein Leben zwischen luxuriösen Hotelsuiten, hübschen Frauen und teuren Aufnahmestudios führt.
    "Drake ist sehr wichtig, weil er eine Form von Traurigkeit zum Ausdruck bringt, die direkt aus dem Streben nach Lust folgt. Es gibt wohl kaum einen traurigeren Sound im 21. Jahrhundert als wenn Drake sagt: We threw a party, yeah, we threw a party. Er will eine Party geben - doch das klingt so ausweglos. Für mich zeichnet sich darin ein Syndrom ab, das ich hedonistische Depression nenne."
    Trauriger Sound im 21. Jahrhundert
    Als hedonistische Depression bezeichnet Fisher die Unfähigkeit des Menschen, etwas anderes zu tun, als den eigenen Genuss in den Mittelpunkt zu stellen. Dass dieses Symptom ausgerechnet im Hip-Hop auftritt, verwundert nicht. Schließlich war diese Musik schon immer gekennzeichnet durch die Fokussierung auf Luxusgüter, Frauen und Geld. Dinge, die ihr Selbstwertgefühl bestimmten. Je mehr teure Waren, desto besser.
    Und trotzdem fehlt etwas. Ein Gefühl der Leere, das nicht nur Rapper wie Drake empfinden, sondern auch Kanye West, der mit dem Album 808s & Heartbreaks Pionierarbeit auf dem Gebiet der traurigen Selbstreflexion leistete. In einem Track stellt er fest, er könne einem Freund nur Fotos von seinen Häusern zeigen, während der ihm Fotos von seinen Kindern präsentiere.
    "Wir suchen den Genuss, weil wir die Welt nicht verändern konnten. Die Traurigkeit reflektiert die Massenträgheit des 21. Jahrhunderts, das Versagen des 21. Jahrhunderts, endlich anzukommen. Das führt auch zu einem Gefühl von Traurigkeit und Erschöpfung."
    Selbstdarstellung als trauriger Rapper
    Es kann schon sein, dass Politik und digitale Medien zu Melancholie oder gar depressiven Verstimmungen führen. Aber es könnte auch sein, dass die Selbstdarstellung als trauriger, verletzlicher Rapper in sich selbst ein kapitalistisches Produkt ist. Solche Identitätsbilder könnten auch einer marktwirtschaftlichen Strategie entspringen, neue Käuferschichten zu erschließen. Etwa Frauen.