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Prozessbeginn
Schadensersatz für Säureangriff

Zweieinhalb Jahre, nachdem ihr Ex-Freund sie mit Säure übergossen hatte, beginnt heute in Hannover der Zivilprozess um Schadenersatz für Vanessa Münstermann. Die Klägerin hat gute Chancen auf ein relativ hohes Schmerzensgeld, denn die gesundheitlichen Folgen des Säureangriffs sind gravierend - und lebenslang.

von Alexander Budde | 16.08.2018
    Das Säure-Opfer Vanessa Münstermann steht 2018 in einem Fotostudio.
    Vor zwei Jahren wurde Vanessa Münstermann von ihrem Ex-Freund absichtlich mit Schwefelsäure verätzt (dpa / Julian Stratenschulte)
    Viele Entstellte ziehen sich in ähnlicher Lage zurück, doch Vanessa Münstermann will sich nicht verstecken - auch an diesem Morgen vor dem Landgericht Hannover nicht. Kein Schal verhüllt das verbrannte Dekolleté, dafür hat sich die 29-Jährige extra für diesen Auftritt eine Silberscheibe in die verätzte Augenhöhle eingesetzt.
    Sie fordert mindestens 250.000 Euro Schadensersatz von ihrem Ex-Freund Daniel F. Der hat ihr als Vergeltung für die Trennung das Gesicht mit Säure verätzt. Münstermann geht es:
    "Natürlich um das Geld - und um ein Statement zu setzen, dass er nicht ruhig weiterleben kann und sagen kann, o.k. ihm geht’s gut – und ich muss jeden Cent umrechnen oder meinen Freund mal wieder anpumpen, wenn es um Kinderklamotten geht. Das schmerzt, diese finanzielle Unabhängigkeit, das habe ich nicht mehr!"
    Säureangriffe sind selten
    Vorsätzliche Säureangriffe sind hierzulande äußerst selten, sagt Rechtsanwalt Andreas Hüttl, der vor Gericht die Klage führt. Insoweit ist auch das geltend gemachte Schmerzensgeld ein Novum:
    "Das Gesetz sagt, dass das Schmerzensgeld ein Ausgleich für erlittene Beeinträchtigung sein soll, dass es aber auch eine gewisse Genugtuungsfunktion haben muss. Also, man muss schauen, wie sich das Leben der Mandantin durch diesen Anschlag verändert hat."
    Münstermann hatte den jungen Mann mit der Sportlerfigur in einem Chatforum kennengelernt. Der Ex-Freund war zuerst liebevoll, dann kippte es: Eifersucht, Vorwürfe, Schläge. Vanessa zeigte den wegen Gewalt und Drogendelikten Vorbestraften schließlich bei der Polizei an –der rächte sich. Im Februar 2016 – Münstermann führte gerade ihren Hund aus – lauerte er ihr im Gebüsch auf und schüttete ihr Schwefelsäure ins Gesicht.
    Die Schwefelsäure war ihr über das halbe Gesicht geflossen und hat bis zum Oberkörper wulstige Narben hinterlassen. Ohr und Mund sind verbrannt, das linke Auge komplett zerstört. Münstermann wird ein Leben lang nicht richtig sehen und hören können. Sie hat Dutzende Operationen überstanden, viele weitere stehen ihr noch bevor.
    12 Jahre Haft für den Täter
    50.000 Mark hatte der Täter bereits bezahlt. Daniel F. wurde vom Schwurgericht Hannover rechtskräftig verurteilt, sitzt eine 12-jährige Gefängnisstrafe ab. Weitere Zahlungen in Höhe von 80.000 Euro waren außergerichtlich in Aussicht gestellt, sagt Daniel F.'s Verteidiger Max Marc Malpricht:
    "Der Betrag wäre durch die Eltern zur Verfügung gestellt worden, aber die Eltern haben ein Interesse daran, dass sie nicht mehr in den Medien auftauchen, als Eltern des Täters. Und auch der Täter hat ein gewisses Interesse, dass seine Tat irgendwann in Vergessenheit gerät."
    Doch Münstermann weigerte sich, auf das Angebot einzugehen, weil sie nicht unter der Knute eines Schweigegebots leben wollte. Und die Prozessaussichten der Klägerin sind gut, sagt der Sprecher des Landgerichts Hans Christian Rümke.
    "Es gab, nachdem die Klage zugestellt ist, vom Beklagten bereits einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Und in diesem Prozesskostenhilfeverfahren hat die Kammer bereits Stellung genommen, und hat schon eine grobe Vorabwürdigung vorgenommen und hat die Prozesskostenhilfe versagt – und das deutet daraufhin, dass die Klage Aussicht auf Erfolg hat."
    Hier geht es nicht um eine Verletzung, die etwa durch einen fahrlässig herbeigeführten Unfall zustande kam. Hier plante der Täter seinen Säureangriff vorsätzlich, mit dem Ziel, eine junge Frau für's Leben zu zeichnen, stellt die Richterin fest.
    Gute Aussichten auf Erfolg für die Klägerin
    Auch Anwalt Malpricht geht davon aus, dass das Gericht ein relativ hohes Schmerzensgeld zusprechen wird. Aber ob Daniel F. auch zahlen kann?
    "Der Beklagte hat keinen Schulabschluss, er hat keine Berufsausbildung, er sitzt im Moment in der JVA in Einzelhaft, geht dort keiner geregelten Tätigkeit nach, und hat bislang eine Leibrente bekommen, die durch die Eltern wieder entzogen wurde. Das heißt, er verfügt momentan über keinerlei Einkommen. Und hat auch keine Vermögenswerte, die man veräußern könnte."
    Anfang Oktober will das Gericht entscheiden. Würde sie obsiegen, könnte Münstermann 30 Jahre lang versuchen, ihre Ansprüche per Gerichtsvollzieher einzufordern. Im letzten Jahr hat sie den Verein "AusGezeichnet" gegründet, um weltweit Säureopfer und Brandverletzte zum Austausch zusammenzubringen. Sie hat ein Buch geschrieben, das nächstes Jahr erscheinen soll. Sie hat mit ihrem neuen Freund eine Wohnung bezogen. Die beiden sind gerade Eltern einer Tochter geworden. Aber die Tat lässt sie nicht los:
    "Es ist natürlich jetzt belastender. Ich habe jetzt etwas Wertvolles zu verlieren, das Wertvollste in meinem Leben. Ich denke mal, das kann jede Mutter empfinden, dieses Kopfkino zu haben, jetzt ist er in zehn Jahren draußen. Die Angst ist immer da!"