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Sagen & Meinen
Warum es erst mal egal ist, ob Opfer "unschuldig" sind

Wenn Menschen bei Amokläufen oder Terrorangriffen ums Leben kommen, gelten sie oft als "unschuldige" Opfer - ein unpräziser Begriff, der in der Berichterstattung direkt nach einer Tat nichts zu suchen hat, findet Stefan Fries.

Von Stefan Fries | 14.10.2021
Kerzen und Blumen im norwegischen Kongsberg, wo ein Mann fünf Menschen ermordet und zwei verletzt hat
Fünf Menschen hat ein Mann im norwegischen Kongsberg ermordet - das Tatmotiv war zunächst unklar (Imago / Aftonbladet / Anna Tärnhuvut)
In Berichten über kriegerische, terroristische, kriminelle Auseinandersetzungen heißt es immer wieder, dass auch "unschuldige Opfer" getötet wurden. Vermutlich wird das betont, damit die Tat verwerflicher klingt. Aber ist es auch von Belang?

"Schuldige" Opfer kommen nicht vor

Die Formulierung impliziert nämlich, dass der Tod Schuldiger weniger schlimm ist, weil entweder verdient oder selbstverschuldet. Dabei haben wir uns in unserer Demokratie ja darauf verständigt, dass niemand den Tod verdient hat.
07.05.2019, Berlin: Ein Schild mit der Aufschrift "BlaBla Ende" steht auf der Tincon, dem Festival für Jugendkultur, im Rahmen der Internetkonferenz "re:publica". Die Konferenz der Netzszene findet noch bis zum 08.05.2019 statt. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Sagen & Meinen - Der Sprachcheck
Viel zu oft setzen sich fragwürdige Begriffe und Euphemismen in Medien fest, zum Beispiel das "Gute-Kita-Gesetz", das "Familiendrama" oder der "Lockdown". Solche Formulierungen hinterfragen wir in der Reihe "Sagen & Meinen – der Sprachcheck"
Auch deshalb sind in der Berichterstattung über derartige Taten Schuld und Unschuld eigentlich keine relevanten Kategorien. Zum einen, weil es ohnehin schwierig ist, zwischen beiden zu unterscheiden – vor allem direkt nach solch einer Tat. Zum anderen, weil eine solche juristische Wertung Journalistinnen und Journalisten in der Regel gar nicht zusteht. Zumal nie jemand von "schuldigen Opfern" berichtet.

Gemeint sind Unbeteiligte

Mit "unschuldig" meinen Medien eigentlich zivile Opfer, Unbeteiligte oder zufällig in die Schusslinie geratene Menschen. So sollten sie sie auch nennen. Denn wenn sie nach Schuldigen und Unschuldigen unterscheiden, relativieren sie unbeabsichtigt das Verbrechen.