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Sagrada Familia
Ewiges Bauwerk und Symbol für die Katalanen

Bestseller-Autor Dan Brown nahm die Kathedrale als Kulisse für seinen jüngsten Thriller. Die Sagrada Familia ist seit mehr als einem Jahrhundert eine ewige Baustelle in Barcelona, Touristenattraktion - und das inoffizielle Wahrzeichen der Stadt.

Von Marc Dugge | 05.01.2020
Kathedrale "Sagrada Familia" des spanischen Architekten Antoni Gaudi in Barcelona.
Ewige Baustelle: Die Sagrada Familia in Barcelona (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
"In der Ferne, umgeben von Baukränen und Gerüsten und angestrahlt von Scheinwerfern, ragten die Türme der Sagrada Familia in den Himmel über Barcelona, glühend in der Dunkelheit – eine Gruppe gelblich-brauner, löchriger, schlanker Gebilde, die aussahen wie gigantische Seeschwämme, die vom Meeresboden aus dem Licht entgegenwuchsen."
Ein Zitat aus dem Buch "Origin", dem Thriller des US-amerikanischen Autors Dan Brown aus dem Jahr 2016. In ihm schickt er den Symbolforscher Robert Langdon nach Spanien, um es mit dunklen Mächten aufzunehmen – und geheimen Botschaften auf die Spur zu kommen. Die Sagrada Familia ist einer der Schauplätze in dem Roman. Da ist zum Beispiel die Steinplatte des katalanischen Bildhauers Subirachs, die an der Fassade befestigt ist. Auf ihr sind in vier Reihen jeweils vier Zahlen zu sehen. Touristenführerin Charo Fueyo:
"Das ist das magische Quadrat, ein Kryptogramm. Wenn man die vier Zahlen addiert – egal ob horizontal, diagonal oder vertikal –, kommt man immer auf die Zahl 33. Das ist das Alter von Christus, in dem er gestorben sein soll."
Die Zahl 33 hat in der christlichen Welt noch mehr symbolische Bedeutungen. Im Roman von Dan Brown steht die 33 für einen Geheimcode. Touristenführerin Charo Fueyo wird immer wieder auf das Buch angesprochen. Den Lesern nimmt sie dann erst mal einige Illusionen:
"Im Buch steht zum Beispiel, dass der Protagonist in einem Hubschrauber ankommt. Aber einen Vorplatz, auf dem man landen kann, gibt es nicht. Und dann ist da der Sturz in einem der Türme… In dem Turm gibt es viel zu wenig Platz, als dass dort ein Zweikampf stattfinden und der Übeltäter des Romans stürzen könnte! Die Treppe ist eng und spiralförmig."
Atemberaubender Innenraum aus Palmen und Licht
Gut möglich, dass Dan Browns Buch für zusätzliche Touristen gesorgt hat. Nötig hat sie die Sagrada Familia allerdings nicht. Auch so strömen jedes Jahr im Schnitt rund viereinhalb Millionen Besucher in die Kathedrale. Charo Fueyo:
"Was vielen besonders gut gefällt, ist der Innenraum. Der ist nicht von Gaudí geschaffen worden - aber er hat sich an die Vorstellungen von Gaudí angelehnt. Er erinnert an einen großen, spirituellen Wald mit Palmen. 'Das Licht', so sagte Gaudí, 'wird das Innere bemalen'. So ist es! Viele, die das erste Mal hereinkommen, sind überrascht – so schildert es auch der Roman. Keiner bleibt davon unbeeindruckt. Es kann einem gefallen oder nicht, allen steht der Mund offen."
Zeitgenössische Aufnahme - vermutlich aus den 20er Jahren - des spanischen Architekten Antoni Gaudi (eigentlich Antoni Gaudi y Cornet). Der Katalane wurde am 25.6.1852 in Reus geboren und starb am 10.6.1926 in Barcelona. Zu seinen bekanntesten Bauwerken gehören u.a. das Palais und der Park Güell, die Casa Mila und die ab 1883 erbaute Kathedrale Sagrada Familia in Barcelona, die unvollendet blieb. dpa (Nur s/w, zu dpa Korr.-Bericht "Verkanntes Baugenie wird zum Volk-Heiligen" am 20.06.2002) |
Der katalanische Architekt Antoni Gaudí (AFP)
Die Sagrada Familia kann einem tatsächlich den Atem rauben. Das gilt allerdings auch für die Eintrittspreise. Mindestens 17 Euro kostet der Eintritt pro Person. Wer auf einen Turm hinauf will, muss sogar 32 Euro bezahlen. Immerhin kommt das Geld dem Bau der Kirche zugute.
Viele Baupläne im spanischen Bürgerkrieg zerstört
Unter Europas Kathedralen ist die Sagrada Familia ein Säugling. Ein Riesenbaby, das auch mit 130 Jahren noch nicht ausgewachsen ist. Auch wenn der Vater schon seit bald einem Jahrhundert tot ist: Barcelonas berühmtester Architekt, Antoni Gaudí. Mehr als 40 Jahre hat er dem Projekt gewidmet. Hier liegt er deswegen auch begraben. Wie Gaudí sich diese Kathedrale genau vorgestellt hat, lässt sich nicht mehr leicht nachvollziehen. Denn viele Modelle und Baupläne von Gaudí wurden im Spanischen Bürgerkrieg zerstört. Jordi Faulí, leitender Architekt der Sagrada Familia:
"Es gibt zwar keine Pläne zu Details, aber wir haben von Gaudí umfassende Informationen über die allgemeinen Formen des Gebäudes und Detailangaben zu wichtigen Einzelteilen. Unsere Aufgabe ist es, die Gesamtheit seiner Zeichnungen zu interpretieren, die Modelle genau zu analysieren und sie umzusetzen. Natürlich, Gebäude, die wie dieses mitten in der Stadt liegen, werden immer kritisiert. Aber jeder neue Bauteil, der fertig gestellt wird, löst auch Bewunderung aus. Und zwar nicht nur aus einer intellektuellen Haltung heraus, sondern weil man etwas fühlt, die Wirkung erlebt."
Auf eine große Wirkung hatten auch die Drahtzieher der Terroranschläge gehofft, die Barcelona im Sommer 2017 erschütterten. Nach Aussage einer der Täter hatten die Terroristen ursprünglich vor, die Sagrada Familia zu sprengen. Der Sprengstoff, der dafür vorgesehen war, explodierte allerdings versehentlich schon vorher.
Ein schwer bewaffneter Polizist steht am 20.08.2017 während einer Messe zum Gedenken der Opfer des Terroranschlags vor der römisch-katholischen Basilika La Sagrada Familia in Barcelona (Spanien). Auf der Flaniermeile Las Ramblas war am 17.08. ein Lieferwagen in eine Menschenmenge gefahren. Bei dem Terroranschlag wurden am Donnerstag mehrere Menschen getötet und viele verletzt. Foto: Matthias Balk/dpa | Verwendung weltweit
Nach Terroranschlag in Barcelona (dpa)
Der Architekt als Vorkämpfer für die katalanische Kultur?
Sie wussten schon, warum sie die Kirche treffen wollten. Die Sagrada Familia ist nicht nur der ganze Stolz der Christen von Barcelona. Sie ist auch das inoffizielle Wahrzeichen der Stadt. In Katalonien weist man gern darauf hin, dass der Querdenker Gaudí bei seinem Schaffen von seiner Liebe zu seiner Heimat getrieben gewesen sei. Viele katalanische Separatisten sehen in ihm einen Vorkämpfer für die katalanische Kultur. Historikern zufolge war Gaudí allerdings ein eher introvertierter kreativer Mann, der sich mit politischen Äußerungen zurückhielt. Das ändert aber nichts daran, dass die Sagrada Familia eine Ikone des katalanischen Selbstbewusstseins ist – mit Strahlkraft in die ganze Welt. Dessen sind sich auch die katalanischen Separatisten bewusst: Mitte Oktober blockierten sie die Zugänge zur Sagrada Familia, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Die Kathedrale blieb geschlossen, die Touristen mussten draußen bleiben.
2026 soll die Sagrada Familia fertiggestellt sein - pünktlich zum 100. Todestag von Antoni Gaudí. Architekt Faulí ist zuversichtlich, dass das klappen wird. Aber wie sagte schon Gaudí damals: "Mein Kunde hat keine Eile." Er wusste schon, wen er damit meinte.