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Saïd Sayrafiezadeh: "Kurze Berührungen mit dem Feind"
Die Atemnot im Mittelmaß

Von Sacha Verna | 31.03.2015
    Hätte Saïd Sayrafiezadehs Welt eine Farbe, wäre sie grau und mit schwarzem Humor gesprenkelt. Das klingt nicht besonders attraktiv, ist es aber. Schließlich sind auch Beerdigungen meistens interessanter als Hochzeiten. In "Kurze Berührungen mit dem Feind" herrscht Krieg. Das Wetter spielt verrückt, und die Ich-Erzähler der acht Geschichten stecken in geisttötenden Jobs in tristen Industriestädten fest. So sieht nicht nur in diesem schmalen Band, sondern überhaupt der Alltag von Millionen von Menschen aus. Sayrafiezadeh macht daraus etwas beunruhigend Neues und Eigenes.
    "Ich bin in Pittsburgh aufgewachsen. Und manchmal stelle ich mir mein Leben vor, wenn ich nicht als junger Mann nach New York gezogen wäre. Die Themen in meinen Geschichten basieren auf meinen eigenen Erfahrungen."
    Saïd Sayrafiezadeh ist 46 Jahre alt und "Kurze Berührungen mit dem Feind" sein literarisches Debüt. Davor hat er vier Theaterstücke verfasst und "Eis essen mit Che", Erinnerungen an seine Kindheit im Schoß der Sozialistischen Arbeiterpartei Amerikas.
    Hinter dem ungenannten Krieg in Sayrafiezadehs Geschichten steckt der Krieg im Irak. Genauer gesagt, die Kriege, die nun schon über zwanzig Jahre dauern und die manche als lästige Fliegen empfinden, die einfach nicht verschwinden.
    "Es geht um die Wirkung des Krieges auf Durchschnittsamerikaner, die nicht direkt davon betroffen sind. Außer in der Titelgeschichte findet der Krieg in dem Buch ja anderswo statt. Ich habe die Ereignisse aber absichtlich nicht datiert. Das Buch ist eher eine Meditation über den Krieg im Allgemeinen. Dennoch sollten meine Figuren auch daheim mit etwas Großem zu kämpfen haben. So kam ich auf die Idee mit dem Wetter. Jeder empfindet Hitze oder Kälte oder Regen oder Schnee. Das Wetter ist eine Art Krieg zu Hause."
    In den 30 Grad Celsius eines zu heißen Frühlings ärgert sich Dean über die Busse, die nicht fahren, um ihn zu einem Freund im Krankenhaus zu bringen, der sich beim Gewichtheben die Nase gebrochen hat. In einem zu kalten Sommer schippt Max Schnee von der Laderampe eines Supermarktes und erntet Komplimente dafür, wie toll er das für einen einarmigen Veteranen doch hinkriegt. Angestellte melden sich als Freiwillige in den Krieg und werden gefeiert und vergessen. Angestellte kommen aus dem Krieg zurück und werden gefeiert und vergessen. Angestellte kommen nicht aus dem Krieg zurück und sind sowieso längst vergessen.
    Seine Erzählungen seien so amerikanisch wie Baseball, sagt Sayrafiezadeh. Nicht Orte oder Zeiten sind identifizierbar, bloß Marken. Timberland Stiefel. Burger King. Der Verkaufsriese Walmart:
    "Die Frage ist doch: Warum handeln nicht mehr Bücher von Menschen, die bei Walmart arbeiten? Walmart ist der größte Arbeitgeber dieses Landes. Die allermeisten Menschen haben langweilige Jobs, führen langweilige Leben und kämpfen gegen die Mittelmäßigkeit. Ich tue es jedenfalls jeden Tag."
    Die Atemnot im Mittelmaß ist eine von Saïd Sayrafiezadehs Obsessionen. Ein anderes ist sein Name, das Erbe seines iranischen Vaters, der in den 1950er Jahren in die Vereinigten Staaten einwanderte und die Familie schon bald verließ, um sich dem Klassenkampf zu widmen.
    "Ich werde nie zuerst als Amerikaner wahrgenommen. Mein Name geht mir voraus, und der macht mich zum Fremden. In diesen Erzählungen gebe ich mich als typischer Amerikaner aus, als einer von den vielen, die den Status Quo akzeptieren."
    Dabei schreibt Sayrafiezadeh gegen den Status Quo an. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf jenen Punkt, wo die Krümel der rot-weiß-blauen Torte mit den Nachrichten aus Übersee kollidieren. Damit widmet er sich einem der ältesten Themen der Literatur. Nämlich dem Zusammenprall des Kleinen mit dem Großen, des Individuums mit der Geschichte.
    "Mit diesem Zusammenprall bin ich aufgewachsen. Meine Mutter war in der Sozialistischen Arbeiterpartei. Dort ging es nur um das große Ganze, vergiß das Individuum. Und wenn schon ein Individuum, dann bitte ein fortschrittliches, revolutionäres. Diese Philosophie unterwandere ich in dieser Sammlung. Ich stelle nicht nur den Einzelnen ins Zentrum, sondern schreibe auch über Soldaten, die töten, über Homophobe und Antisemiten - alles Figuren, die die Partei nicht gutheißen würde."
    So schlimm sind die Figuren in "Kurze Berührungen mit dem Feind" auch wieder nicht. Weshalb soll ein Hilfskoch nach Voltaire'scher Aufklärung streben, wenn er sich die Chancen auf eine Lohnerhöhung mit einem verkohlten Käsetoast verspielt? Derweil kommen einstige Schulkameraden als Helden zwar unter die Erde, aber eben auch in die Zeitung. Überhaupt diese Toten. Sie tauchen immer im falschen Moment auf. Auf dem Rummelplatz etwa, was eine romantische Fahrt mit der Achterbahn zur Reise ins Ungewisse werden lässt.
    George Orwells "1984" ist Saïd Sayrafiezadehs Lieblingsroman. Er bewundert Franz Kafka und Samuel Beckett. Und er räumt ein, dass er immer eher zur Schatten- als zur Sonnenseite des menschlichen Daseins tendiert. Trotzdem hat er eigentlich Bunteres im Kopf als Grau und Grauen. Daher die Tintenkleckse des Witzes in seinen Erzählungen:
    "Vielleicht bedeutet Grau Dunkel mit Humor. Dann ja, dann ist grau die Farbe, in der ich die Welt sehe."
    Nach der Lektüre von "Kurze Berührungen mich dem Feind" wünscht man sich die rosa Brille nicht zurück.