Mittwoch, 17. April 2024

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Saisonauftakt an den Münchner Kammerspielen
"Wo ist denn der rote Teppich?"

Mathias Lilienthal prägte die Münchner Kammerspiele durch Diskurs und Performance - und wurde dafür nicht geliebt. Jetzt eröffnete der Intendant seine vorletzte Spielzeit mit einem Roboter auf der Bühne und einem zehnstündigen Antikenprojekt.

Von Sven Ricklefs | 07.10.2018
    Ein Mann kippt Blut in eine Wanne mit zwei Personen.
    Rüping lässt seine Orestie im Grenzbereich zwischen Slapstick und Soap-Opera spielen (Kammerspiele München / Julian Baumann)
    "Wenn sie gekommen sind, um einen Burgschauspieler zu sehen, dann sind Sie hier falsch. Aber wenn Sie gekommen sind, um das Authentische zu sehen, dann sind Sie hier auch falsch."
    So hört er sich an, der weder Schauspieler ist noch authentisch, sondern das, was man einen humanoiden Roboter nennt. Er, der hochkomplex programmiert wurde, spricht, sieht aus, gestikuliert wie der Schriftsteller Thomas Melle, aber er ist nicht Thomas Melle.
    Auf eine kurze Stunde folgt ein langer Abend
    Da sitzt er mit aufgelegtem Bein und spricht über seine bipolare Störung, die Melle in seinem Buch "Die Welt im Rücken" vor zwei Jahren beschrieb, über die manisch-depressiven Schübe und den Kontrollverlust, den diese bedeuten. Zugleich sind Kontrolle und Kontrollverlust Themen aus der Robotik, mit denen sich Stefan Kaegis Projekt unter dem Titel "Uncanny Valley" beschäftigt: Fragen auch wie: Wie programmierbar sind wir selber oder: wie menschengleich sollten wir uns unsere Humanoide schaffen? Zugleich ist man mit den eigenen Reaktionen konfrontiert, die ein ebenso lebensnaher wie letztlich dann doch befremdlich tot in dieser Lebensnähe wirkender Roboter in einem selbst auslöst. Ein im wahrsten Sinne des Wortes also merkwürdiger Abend gleich zum Saisonstart der Münchner Kammerspiele, eine Stunde kurz, dem gestern als Kontrast die Antike in satten zehn Stunden folgte:
    "Seht mich gefesselt, unglücklichen Gott, Prometheus, seht mich: König allen Leidens, und in den Hass gekommen wegen zu großer Liebe für die Menschen."
    Ein Marathonlauf durch die Antike
    Mit ihm, Prometheus, dem unglücklichen Titanen, beginnt Regisseur Christopher Rüping sein Antikenprojekt an den Münchner Kammerspielen, das sich letztlich um jene Fragen dreht, die mit eben diesem Prometheus, dem Bewusstseinsbringer, in die Welt kamen. Denn: Was machen wir Menschen mit jenem Licht, das uns da einst in den Kopf kam? Und: Sind wir wirklich so selbstbestimmt, wie wir seitdem glauben?
    Zu diesen Fragen lädt Rüping seine Zuschauer ein - für zehn Stunden - anknüpfend an jene antiken Dionysien, die Theater als Fest und Rausch gleich mehrere Tage feierten. Dabei fordert die extreme Länge der Aufführung zu einer besonderen Art der Gemeinsamkeit heraus. Es ist, als stellte sich durch die gedehnte Zeit eine ungewöhnliche Gegenwärtigkeit im Theater ein und: eine besondere Atmosphäre zwischen Bühne und Zuschauerraum.
    Der Abend besteht aus mehreren Teilen. So zeigt er nach Prometheus gleich den Trojanischen Krieg als eben die ultimative und fürchterlichste Konsequenz menschlichen Bewusstseins. Schlachtenberichte fluten zu aggressivem Sound und projizierten Bilderwelten die Bühne: Krieg als theatrale Installation.
    Blutige Komik, heiliger Ernst
    Auf das kollektive Grauen dann folgt das private: die Orestie, in der man ja bekanntlich nicht davor zurückschreckt, aus Rache in der eigenen Familie herumzumorden. Das entbehrte bei aller Blutrünstigkeit noch nie einer gewissen Komik, und so lässt Rüping seine Orestie im Grenzbereich zwischen Slapstick und Soap-Opera spielen.
    "Wo ist denn der rote Teppich?
    Was denn für ein roter Teppich?
    Na der rote Teppich, den wir dann immer ausrollen, wenn Du aus dem Krieg kommst.
    Wir rollen immer einen roten Teppich aus, wenn ich aus dem Krieg komm.
    Ja."
    Christopher Rüping will viel und erreicht auch viel mit seiner Arbeit "Dionysos Stadt". Da ist das Theater als Fest, als Formenvielfalt, als Begegnungsstätte. Und: Da ist viel heiliger Ernst, da ist aber auch viel heitere Ironie, mit der das achtköpfige wunderbare Ensemble sowohl durch die Antike als auch gleich durch ein ganzes Spektrum von Theaterformen surft. Und so bedankte sich das Münchner Publikum gestern Abend zu Recht für diesen Antikenmarathon mit einem Begeisterungssturm und stehenden Ovationen.