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Sala São Paulo in Bredouille
Konzertsaal trotzt Drogensüchtigen und Kürzungen

Die Sala São Paulo gehört zu den schönsten Konzertsälen der Welt. Aber die Umgebung des Saals ist gefährlich: um die tausend Crack-Süchtige halten sich dort auf. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit des Gebäudes.

Von Niklas Rudolph | 12.08.2019
    Marcelo Lopes im Konzertsaal der Sala in Sao Paolo.
    Der Geschäftsführer der Fundação OSESP, Marcelo Lopes. (Niklas Rudolph)
    Es ist das dritte von drei Sinfoniekonzerten und auch jetzt ist der Saal brechend voll. Etwa 1.200 Konzertgäste sind gekommen, um die Welturaufführung eines neuen Cello-Konzerts des brasilianischen Komponisten Marlos Nobre zu erleben.
    Musik: Cello-Konzert von Marlos Nobre
    Das Konzert ist eine Auftragskomposition des Sinfonieorchesters von São Paolo. Marlos Nobre widmete es dem Cellisten Antonio Meneses, dem Dirigenten Giancarlo Guerrero – und dem Geschäftsführer des Orchesters, Marcelo Lopes:
    "Das Konzert war sehr gut ausverkauft. Ein Star wie Giancarlo Guerrero, der schon seit zehn Jahren zu uns kommt und ein großartiger Dirigent Ist. Antonio Meneses ist ein anerkannter Solist und hat einen guten Bezug zum Publikum. Und Marlos Nobre ist der wichtigste lebende Komponist Brasiliens. So sieht die Formel für ein erfolgreiches Konzert aus."
    Die Sala São Paulo gilt als schönster Konzertsaal zwischen Alaska und Feuerland. 1938 bauten die Kaffeebarone São Paulos den Saal, um das Handelszentrum mit dem Hinterland zu verbinden. Noch heute erzählen Fliesen mit Kaffeebohnen und Fahrkartenschalter von der Geschichte des Gebäudes. 1999 zog das Sinfonieorchester von São Paulo in den Saal.
    Marcelo Lopes: "Samstags haben wir eigentlich immer volles Haus. Wir haben eher Probleme unter der Woche – wegen der Umgebung des Saals."
    Crackolândia, die Umgebung des Saals
    Etwa anderthalb tausend Drogenabhängige bevölkern jeden Abend das Viertel um die Sala São Paulo. Auf dem großen Platz direkt vor den großen Flügeltüren der Sala stehen verlumpte Gestalten in Gruppen zusammen, ihre Blicke grau und leer. Plötzlich unterbricht eine Explosion das Interview.
    [Explosion] Marcelo Lopes: "Desliga um pouquinho."
    Marcelo Lopes bittet darum, das Mikrofon auszuschalten. Er geht ans Fenster und schaut auf den Vorplatz der Sala São Paolo. Ein Müllwagen kommt um die Ecke, die Mitarbeiter auf dem Wagen schimpfen. Anscheinend stößt die Müllabfuhr bei den Crackheads auf Wiederstand. Es ist tatsächlich schwierig zu unterscheiden, ob es sich bei rumliegenden Pappkartons um Müll oder einen Schlafplatz handelt. Jetzt schwanken dutzende Abhängige über den Platz, im Hintergrund das Blaulichtgewitter einer Polizeikolonne. Schüsse fallen, schließlich zerstreut ein Hubschrauber die Menge. Jeder Politiker, der in São Paulo Gouverneur werden will, verspricht, dass er dem Drogenproblem ein Ende bereiten will. Doch nach jeder Razzia dauert es nur ein paar Stunden, dann sind die Crackheads wieder da. Dementsprechend leben vor allem Familien mit geringem Einkommen in dem einst so prestigeträchtigen Stadtteil.
    Marcelo Lopes: "Für uns sind diese Menschen auch eine große Chance. Denn trotz ihrer niedrigen Einkünfte sind die Anwohner für uns potenzielles Publikum. Wir wollen ihnen die großen Flügeltüren zum Vorplatz öffnen und den Anwohnern die Möglichkeit geben, an unserem Programm teilzuhaben."
    Bolsonaro hat Kulturministerium abgeschafft
    Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Denn für Kultur sieht es in Brasilien schlecht aus. Seit den letzten fünf Jahren steckt Brasilien in einer schweren Krise, die Wirtschaft schrumpft und die Schuldenberge wachsen. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten Jair Bolsonaro war die Abschaffung des Kulturministeriums. Weitere Kürzungen ließen nicht lange auf sich warten.
    Marcelo Lopes: "Vor fünf Jahren betrug der Kulturanteil im Budget des Bundesstaats noch etwa 0,7 Prozent. Heute liegt er bei 0,34 Prozent, also nicht mal die Hälfte. Darunter leiden alle Projekte. Die Wirtschaftskrise hat die Kultur einfach geschluckt."
    Dabei spülten Kulturinvestitionen ein Zehnfaches wieder in die öffentlichen Kassen zurück, erzählt Marcelo Lopes. Er hat untersuchen lassen, wie sich das größte Klassikfestival Brasiliens "Campos de Jordão" 2019 auf die lokale Wirtschaft auswirkte. Das Ergebnis:
    Marcelo Lopes: "Viel mehr als wir erwartet hätten. Jeder Real, der in das Festival investiert wurde, sorgte für Einkünfte von 17 Reals in Form von Arbeitslohn, Steuern oder Gewerbeeinnahmen. Kurz gesagt: Kultur schafft Arbeitsplätze und zahlt sich aus. Denn für jeden investierten Real gingen 13,50 Reals gingen direkt zurück an den Staat."
    Kulturinstitutionen wie die Sala São Paulo wollen nicht vollständig von staatlichen Mitteln abhängig sein. Darum gehören das Orchester und die Sala São Paulo einer Stiftung an, der Fundação OSESP. Sie bezieht die Hälfte ihres Etats aus Steuermitteln. Den Rest stemmen Unternehmen und Einzelpersonen, die mit ihrem Investment Steuern sparen können.
    Das Geld wird weniger
    "Die brasilianischen Unternehmer tragen eben auch eine Verantwortung für die Gesellschaft. Und sie wollen von uns sehen, dass wir ihre Mittel effizient einsetzen", sagt Marcelo Lopes, Geschäftsführer der Fundação OSESP. Das wird in Zukunft schwerer sein. Erst vor kurzem hat die rechtsextreme Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro die Gesetze geändert, die festlegen wie viel Geld Projekte bekommen und wie viel Unternehmen geben können. Zusammengefasst: deutlich weniger.
    Welche Auswirkungen die Gesetzesänderung auf die Arbeit von Marcelo Lopes und das Sinfonieorchester von São Paulo haben wird, zeigt sich erst nächstes Jahr, wenn die in diesem Jahr beantragten Projekte durchgeführt werden. Der Gegenwind nimmt auf jeden Fall zu. Trotzdem ist Lopes davon überzeugt, dass seine Arbeit weitergehen muss.
    Marcelo Lopes: "Die Menschen kommen zu uns und erleben etwas, dass sie inspiriert und sie verändert. Allein schon, dass es diesen Saal und dieses Orchester gibt, ist ein Zeichen dafür, dass es São Paulo besser gehen kann, dass Brasilien besser sein kann und dass das Leben besser sein kann."