Dienstag, 16. April 2024

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Salafismus und die Golfstaaten
"Mit keinem Land mehr derartige Verträge schließen"

Der Salafismus dürfe in Deutschland keinen Platz haben, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Uli Grötsch im DLF. Angesichts des Verdachts, dass wahabitische Orden mit dem Segen der saudi-arabischen Regierung die deutsche Salafistenszene unterstützen, forderte Grötsch, dies gegenüber Saudi-Arabien zu thematisieren und die Waffenexporte zu überdenken.

13.12.2016
    Uli Grötsch (SPD)
    Uli Grötsch (SPD) (picture alliance / dpa - Maurizio Gambarini)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Uli Grötsch (SPD), Mitglied des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag.
    Uli Grötsch: Guten Tag.
    Heinemann: Herr Grötsch, gehört der Salafismus zu Deutschland?
    Grötsch: Nein. Der Salafismus hat hier keinen Platz. Wir sind eine Gesellschaft, in der grundsätzlich natürlich jede Religion ihren Platz hat. Aber jede Religion, damit meine ich, dass die selbige sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen muss, und das tut der Salafismus meiner Einschätzung nach nicht.
    Heinemann: Warum dürfen Salafisten in Deutschland leben und predigen?
    Grötsch: Weil das Grundrecht auf Religionsfreiheit natürlich trotzdem für sie gilt und es geht darum, dass unter den Salafisten eine erheblich hohe Zahl an gewaltbereiten Salafisten ist. Wir haben in Deutschland den Umstand, dass fast alle, die nach Syrien ausreisen, um für Daesh und für den IS zu kämpfen, vorher in Kontakt mit salafistischen Strukturen in Deutschland waren.
    Heinemann: Der Salafismus gehört nicht zu Deutschland, aber die Salafisten sehr wohl?
    Grötsch: Salafisten haben ein Recht, hier zu leben, solange sie sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen.
    Heinemann: Aber das tun sie offenbar nicht.
    Grötsch: Wenn sie es nicht tun, dann sind sie ein Fall für die Sicherheitsbehörden.
    Ideologie des Salafismus wird oftmals in Hinterhof-Moscheen verbreitet
    Heinemann: 96 Prozent aller, nach Syrien oder in den Irak ausgereister Dschihad-Freiwilligen haben zuvor im salafistischen Milieu verkehrt. Wieso gelingt es nicht, diesen Sumpf trockenzulegen?
    Grötsch: Weil das oftmals so der Fall ist, dass die Ideologie des Salafismus in Hinterhof-Moscheen verbreitet wird, die man erst mal entdecken muss. Die sind oftmals nach außen auch überhaupt nicht erkennbar. Ich weiß aus meiner Arbeit im Bundestag in den verschiedenen Gremien, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und auch die Landesämter für Verfassungsschutz sehr, sehr aktiv sind darin, diese Hinterhof-Moscheen erst mal zu entdecken und dann entsprechend zu observieren.
    Ich glaube, dass wir dahingehend auch schon einen sehr, sehr hohen Überwachungsgrad in Deutschland haben. Aber zum Rechtsstaat gehört nun mal auch, dass man diese verfassungsfeindliche Gesinnung denjenigen, die es betrifft, auch nachweisen muss, und das ist oftmals nicht so einfach.
    Heinemann: Das klingt jetzt so ein bisschen wie, da können wir leider nichts machen.
    Grötsch: Nein, ganz im Gegenteil! Wir machen jede Menge sogar in diesem Bereich. Wir haben zum Beispiel im Bundeshaushalt 2017 einen erheblichen Aufwuchs an Stellen beim Bundesamt für Verfassungsschutz bewerkstelligt, damit noch mehr überwacht werden kann. Aber wie gesagt, ich sage das gerne noch mal: Zum Rechtsstaat gehört auch, dass die Taten und die verfassungsfeindliche Gesinnung auch nachgewiesen werden muss. Allein der Umstand, dass man in so eine Moschee reingeht, reicht nicht, um die Moschee trockenzulegen oder gar eine Person, die sich darin bewegt, zu verurteilen.
    Heinemann: Herr Grötsch, eine Erkenntnis der Dienste lautet offenbar, die sogenannten arabischen Verbündeten sind Teil des Problems. Was sollte daraus folgen?
    Grötsch: Daraus muss meiner Meinung nach folgen, dass man das bei den Regierungskonsultationen ganz deutlich und ganz unmissverständlich anspricht. Das hat auch mit Mut zu tun. Ich weiß etwa, dass Sigmar Gabriel bei seinem letzten Besuch in Saudi-Arabien dieses Problem sehr, sehr stark thematisiert hat. Saudi-Arabien ist ja auch eines der Länder, in das wir Waffen exportieren. Ich glaube, dass das auch dahingehend Konsequenzen haben muss, wenn von Saudi-Arabien aus - dort ist die Verflechtung zwischen dem wahabitischen Orden und den staatlichen Institutionen ja geradezu undurchsichtig -, dass das dann auch dahingehend Konsequenzen haben muss.
    Differenzieren zwischen wahabitischen Orden und saudischer Regierung
    Heinemann: Im ersten Halbjahr 2016 hat die Bundesregierung Waffenlieferungen an den Golf in Höhe von 484 Millionen Euro genehmigt. Wie passt das zu dem, was Sie gerade gesagt haben?
    Grötsch: Das hört sich im ersten Takt natürlich ganz und gar nicht danach an, dass das zusammenpasst. Aber die Lieferungen, von denen Sie eben gesprochen haben, das sind alte Verträge, die Deutschland mit Saudi-Arabien vor Jahren geschlossen hat, und diese Verträge müssen auch eingehalten werden, auch wenn es uns in diesem Fall natürlich ganz und gar nicht gefällt. Aber wir können nicht sagen, dass wir Verträge, die wir geschlossen haben, nicht einhalten, nur weil wir den Verdacht haben oder Hinweise darauf haben, dass wahabitische Orden mit dem Segen der saudi-arabischen Regierung in Deutschland einen negativen Einfluss ausüben.
    Heinemann: Was heißt das für künftige Verträge?
    Grötsch: Ich würde so weit gehen und würde sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland mit keinem Land mehr derartige Verträge schließen darf, von dem aus solche Agitation ausgeht, wie das offenbar im Falle von Saudi-Arabien der Fall ist, wenngleich ich davor warne, das über einen Kamm zu scheren. Die wahabitischen Orden gleichzusetzen mit der saudischen Regierung fällt leicht, wenn man darüber redet, aber ich glaube, dass man auch dahingehend differenzieren muss.
    "DITIB ist als erstes mal ein Verein"
    Heinemann: Herr Grötsch, weiten wir das Thema ein bisschen. DITIB, die sogenannte türkisch-islamische Union, soll offenbar Gegner des türkischen Staatspräsidenten Erdogan und Unterstützer auch des Predigers Gülen melden, Namen nach Ankara durchgeben. Darüber hat die Zeitung "Cumhuriyet" berichtet. Wie sollten wir mit dieser türkischen Stasi in Deutschland umgehen?
    Grötsch: Das ist ein Gerücht, das sich jetzt schon über Wochen sehr hartnäckig hält. Ich weise aber diesen Begriff türkische Stasi aufs Schärfste zurück. DITIB ist als erstes mal ein Verein, der in Deutschland für die muslimische Bevölkerung, die türkeistämmig ist, enorm wichtig. DITIB ist der Verein, der für die türkeistämmigen Menschen in Deutschland bewerkstelligt, dass sie ihre Religion ausüben können. DITIB leistet auch gesamtgesellschaftlich einen wichtigen Beitrag und bei DITIB ist es genau so, wie es in allen gesellschaftlichen Gruppen ist, auch übrigens in Bundestagsfraktionen, in Schulklassen, in Betrieben und in allen anderen Vereinen. Das mag schon sein, dass es dort auch schwarze Schafe gibt. Aber DITIB unter eine Art Generalverdacht zu stellen, das würde ich auf gar keinen Fall machen. Da würde ich sehr davor warnen, weil wir überhaupt keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse darüber haben.
    Heinemann: Und wenn sich dieser Verdacht der Denunziation erhärten sollte?
    Grötsch: Dann muss man im Einzelfall natürlich dagegen vorgehen.
    Heinemann: Wieso im Einzelfall?
    Grötsch: Na ja, weil es ja DITIB nicht generell ist, die hier eine Art Nachrichtendienst sind. DITIB - ich sage das gerne noch mal - ist ein Verein, der hier Moscheen betreibt, der dafür sorgt, dass die türkischstämmige Bevölkerung (und das sind in Deutschland deutlich mehr als drei Millionen Menschen) ihren Glauben ausüben können. Und ich will noch sagen: Derjenige, dem das nicht passt, dass DITIB von der Türkei aus gesteuert wird, von der türkischen Regierungsbehörde, der muss nicht nur A sagen, sondern auch B sagen, wenn es etwa darum geht, DITIB den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen. Dann nämlich ist DITIB nicht mehr auf Imame aus der Türkei angewiesen, sondern kann sich die Imame selber aussuchen.
    Heinemann: Bei allem Respekt, Herr Grötsch, kann man Ihre Haltung auch ein bisschen als Beschwichtigungspolitik beschreiben?
    Grötsch: Nein, ganz und gar nicht. Ich versuche nur, das ganze Türkei-Thema sehr differenziert zu beleuchten. Ich bin im Bundestag und auch bei mir in meinem Wahlkreis sehr, sehr intensiv mit der türkeistämmigen Bevölkerung im Austausch und ich will den Menschen auch sagen, hier ist nach wie vor euer Platz bei uns im Land. Auch wenn es unter Erdogan natürlich in der Türkei in eine Richtung läuft, die nach unseren und auch nach meinen persönlichen Maßstäben eine Katastrophe ist, hat das nichts damit zu tun, dass diejenigen, die hier seit Jahren und Jahrzehnten wohnen, auch in Zukunft ihren Platz haben.
    Heinemann: Die Soziologin - und Sie kennen Sie - Necla Kelek und andere warnen seit Jahren vor falscher Toleranz, davor, dass einige Zuwanderer der Mehrheitsgesellschaft auf der Nase herumtanzen. Ist dieser Staat schwach?
    Grötsch: Nein, ganz und gar nicht. Ich glaube, dass es vor ein paar Jahren mal eine Situation gab, in der dieser Staat tatsächlich zu schwach war, indem man bei allen möglichen staatlichen Institutionen, seien es die politischen Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, sei es die politische Bildung alles in allem, seien es Schulen, Lehrerstellen, Sicherheitsbehörden, Nachrichtendienste, in welcher Ausprägung auch immer gespart hat und immer mehr Personal abgebaut hat.
    Diese Trendwende haben wir jetzt in der Großen Koalition hinbekommen. Wir haben in allen Bereichen einen erheblichen Aufwuchs, weil jetzt auch den konservativsten Mitgliedern des Deutschen Bundestages aufgefallen ist, dass es gerade in Zeiten wie diesen, in denen Hass wieder salonfähig geworden ist, den starken und handlungsfähigen Staat braucht.
    Heinemann: Uli Grötsch, Mitglied des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, SPD-Politiker. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Grötsch: Sehr gerne. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.