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Salisbury
Eine Stadt im Ausnahmezustand

Vor wenigen Tagen wurde die 45-jährige Frau in Salisbury beerdigt, die tragisches Opfer einer Nowitschok-Vergiftung geworden war. Nur vier Monate nach dem Giftgas-Anschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in Salisbury herrscht ein weiteres Mal Ausnahmezustand in der Stadt.

Von Anne Demmer | 04.08.2018
    Polizeiabsperrung im südenglischen Salisbury
    Polizeiabsperrung im südenglischen Salisbury (Deutschlandradio / Anne Demmer)
    Mark Leonard lehnt an seinem Taxi. Die Sonne strahlt ihm ins Gesicht. Auf seinem T-Shirt steht mit schwarzer Schrift geschrieben: "I survived the Russian Nerve Agent Attack." Salisbury 2018. Ich habe die russische Nervengift-Attacke überlebt.
    "Mich gucken die Leute schon komisch an. Manche sind wahrscheinlich irritiert. Es soll nicht zynisch klingen, ich will mich auch nicht lustig machen."
    Der Taxifahrer wünscht sich einfach nur Normalität. Eigentlich ist für ihn Hochsaison. Wie viele andere lebt Mark Leonard, von den Touristen, die nach Salisbury kommen. Doch seit dem zweiten Nowitschok-Vorfall bleiben die Besucher aus. Normalerweise zieht die kleine Stadt Tagesausflügler an - wegen der schönen Kathedrale, dem historischen Marktplatz und der Nähe zu Stonehenge.
    Sicherheitskräfte suchen immer noch nach Spuren
    Nur wenige hundert Meter von dem Taxistand entfernt befinden sich die Queen Elizabeth Gardens. Der idyllische Park mit großen Bäumen und Blumen, an einem Fluss gelegen, ist derzeit nicht zugänglich. Er ist weiträumig mit blau weißem Band der Polizei abgesperrt. Hier hat sich das Paar, das vor wenigen Wochen mit Nowitschok in Berührung gekommen war, am Abend zuvor aufgehalten. Alle zehn Meter steht ein Polizist. Sicherheitskräfte mit Spezialausrüstung suchen immer noch nach Spuren und möglichen weiteren Behältnissen mit dem Nervengift. Auch in Salisbury und im Nachbarort Amesbury sind nach wie vor Bereiche abgesperrt. Ein älterer Herr läuft am Park vorbei, er will von einem Polizisten wissen, wann er dort wieder spazieren gehen kann.
    "Ich fühle mich wie in einem James-Bond-Film. Aber es ist wirklich eine ernste Angelegenheit. Diese Leute haben wirklich hochgiftiges Zeug verbreitet. Ich kann es immer noch nicht glauben."
    Täter noch nicht identifiziert
    Der Rentner ist verunsichert. Wer die Täter sind, darüber gibt es - zumindest für die Öffentlichkeit - keine neuen Erkenntnisse.
    Absperrung am Queen Elizabeth Gardens
    Absperrung am Queen Elizabeth Gardens (Deutschlandradio / Anne Demmer)
    Der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge soll die Polizei anhand von Überwachungskameras und Einreisedaten mehrere russische Tatverdächtige identifiziert haben. Das wurde allerdings nie offiziell bestätigt. Experten untersuchen derzeit, ob das Nervengift, mit dem das Paar in Berührung gekommen war, aus derselben Charge stammt wie das, mit dem die Skripals vergiftet wurden.
    Vor wenigen Tagen ist die 45-jährige Frau unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen im kleinen Kreis beigesetzt worden. Ihr Partner hatte ein Parfumfläschchen gefunden und ihr geschenkt. Sie spritzte sich die Flüssigkeit auf den Puls, Nowitschok wie Experten nachher feststellten. Sie hat es nicht überlebt, sie ist an den Folgen der Vergiftung gestorben. Ihr Partner wurde mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen. Er kann es immer noch nicht richtig fassen.
    "Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern, weder wo, noch wann ich das Parfumfläschchen gefunden habe. Kann sein, dass es in Salisbury war, aber auch in Amesbury." Sagt der 44-Jährige Mann gegenüber einem britischen Fernsehsender. Er suche immer mal wieder nach etwas Brauchbarem im Müll. Der Polizei ist er aus dem Drogenmilieu bekannt.
    "Die letzten Wochen waren schlimm"
    Alistair Cunningham von der Gemeindevertretung ist für die Unterstützung der Geschäfte und Unternehmen in Salisbury verantwortlich, die nach den beiden Nowitschok-Vorfällen hohe Einbußen haben, weil die Besucher ausbleiben. Sie erhalten finanzielle Unterstützung.
    "Die letzten Wochen waren schlimm, seitdem das passiert ist. Nach dem ersten Vorfall, der Vergiftung des russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seiner Tochter, da dachten wir noch: Ok, wir schaffen das. Aber nach nur vier Monaten dieser zweite Vorfall. Und zu wissen, dass da draußen jemand rumläuft, der dafür verantwortlich ist. Jetzt hat es ja ein Paar getroffen, das sicherlich nie Angriffsziel sein sollte, und das macht es natürlich umso tragischer."
    Dennoch betont er: Für die breite Öffentlichkeit besteht keine Gefahr.
    Das Leben geht weiter
    Doch die Menschen sollten eines berücksichtigen:
    "Wenn Du es nicht selbst fallengelassen hast, dann heb es nicht auf."
    Das hat dieses elfjährige Mädchen in der Schule gelernt. Unbekannte Gegenstände, Behältnisse, Spritzen soll sie nicht anfassen. Das wird ihr auch immer wieder von ihrer Mutter eingeschärft. Aber weitere Vorsichtmaßnahmen - die Mutter winkt ab.
    "Wir leben hier direkt um die Ecke, nur vier Minuten von einem abgesperrten Bereich entfernt. Wir machen einfach so weiter wie immer. Wir müssen den Experten vertrauen. Das Leben geht weiter."