Donnerstag, 28. März 2024

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"Salome“ an der Berliner Lindenoper
Grenzbereiche zwischen Tod und Liebe

Die Oper "Salome" von Richard Strauss nach dem Theaterstück von Oscar Wilde ist für viele bis heute ein Schocker. In Berlin feierte nun die Inszenierung des skandalumwitterten Regisseurs Hans Neuenfels Premiere – eine gelungene, meint die Musikkritikerin Julia Spinola.

Julia Spinola im Gespräch mit Michael Köhler | 05.03.2018
    Salomé steht zwischen 42 Köpfen, die auf der Bühne liegen.
    Die Oper Salomé an der Staatsoper Berlin (Credits: Monika Rittershaus)
    Am Dirigentenpult der Staatskapelle stand nach "künstlerischen Differenzen" mit dem alt-ehrwürdigen Christoph von Dohnányi der erst 24jährige Thomas Guggeis. Der hat als Assistent von Staatsopern-General-Musikdirektor Daniel Barenboim schon Repertoirevorstellungen dirigiert und wird in der kommenden Spielzeit Kapellmeister an der Stuttgarter Oper sein. Für die "Salome"-Premiere blieb ihm jedoch nur die Generalprobe. Damit eine durchgegorene Interpretation zu erwarten, wäre ein Wunder. Manches klang etwas zu unausgeglichen und im Orchester zu laut. Doch habe er mit großem Sinn für Pointen dirigiert, findet die Musikkritikerin Julia Spinola.
    Katzenhafte Salome im Look der 1930er
    Das Sängerensemble überzeugte - und insbesondere Ausrine Stundyte halte sie für eine Entdeckung. Silbrig hell, sehr beweglich und zugleich kraftvoll singt sie die Salome und erlebt trotzdem Buhrufe: vermutlich, so Spinola, weil das Rollenbild hier nicht den Erwartungen nach einer orientalisch-verführerischen Kindfrau entsprach. In Berlin zieht sich Salome auch nicht aus in ihrem Schleiertanz.
    Die Darstellung einer eher androgynen Salome verdeutliche die Grenzbereiche zwischen Tod und Liebe und zwischen den Geschlechtern.
    Zerwürfnisse im Vorfeld
    Zu einer künstlerischen Entzweiung gehören zwei, resümierte Julia Spinola über die schlagzeilenträchtigen "künstlerischen Differenzen". Dohnanyi kannte das Regiekonzept von Neuenfels schon wochenlang vorher. Darum verwundere es umso mehr, dass es dann drei Tage vor der Premiere zum Bruch kam. Die "Salome" sei dirigentisch betrachtet zwar ein harter Brocken für einen 88-Jährigen. Doch zeige Neuenfels eher ein unterkühltes Kammerspiel, das kaum Anlass biete, um den Bettel hinzuschmeißen.
    Okay – das Bühnenbild zeige ein riesiges Phallussymbol, eine Art Spielzeugrakete, die meistens schräg im Bühnenhimmel hängt: Gefängnis von Jochanaan, der als verklemmter Fundamentalist in seiner eigenen unterdrückten Sexualität gefangen ist. Insgesamt erinnere die Atmosphäre an die Stummfilme von Fritz Lang, unterstützt durch das Bühnenbild in Art eines Lichtspielhauses oder Varietétheaters, in dem streitende Juden wie Comedian Harmonists auftreten.
    Sinn des Lebens
    Religionskritik, sagt Julia Spinola, gebe es nur am Rande. Dafür aber Sympathien ganz bei Salome, die verzweifelt nach dem Sinn ihres Lebens suche. Und ihn am Ende findet: in 42 abgeschlagenen Propheten-Köpfen. Vielleicht Anspielung auf den Kult-Roman "Per Anhalter in die Galaxis", in dem der Computer 42 errechnet als Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.