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Salsa, Samba, Santería. Lateinamerikanische Musik

Politisch korrekt ist es zwar nicht, aber sagen muss man es trotzdem: Dass Spanier und Portugiesen sich Ende des 15. Jahrhunderts aufmachten, die Neue Welt nicht nur zu entdecken, sondern gleich auch zu erobern, gehört zu den großen kulturellen Glücksfällen der Geschichte. Sicher; Furchtbar waren die Verluste an Menschenleben, der Tod hunderttausender von Indios, hingerafft durch die Schwerter der Eroberer, europäische Krankheiten und härteste Zwangsarbeit. Aber vier-, fünfhundert Jahre später darf man auch einmal auf die Habenseite schauen. Und was ist dort nicht alles zu finden: Zwei wunderbare Sprachen, das Spanische und das Portugiesische, eine betörende, sinnenstürzende Literatur und eine Musik, die seinesgleichen sucht. Da tickt, tanzt und trommelt es über den Kontinent, singt, summt und säuselt bis in die hintersten Länderecken.

Kersten Knipp | 04.08.2003
    Salsa, Samba, Santería haben die beiden Autoren Arne Birkenstock und Eduardo Blumenstock ihr Buch über die Musik Lateinamerikas genannt – und sich mit ihrem Projekt noch nicht einmal übernommen. Beeindruckend klar haben sie die gewaltige Stoffmasse in gut 330 Seiten gegliedert, nahezu jeden Musikstil, von paraguayischer Harfenmusik bis zur fetten karibischen Salsa-Soße, ein eigenes Kapitel gewidmet.

    Und immer wieder betört der Klang, den die beigelegte CD dem Leser in die Ohren trägt. Alle Stilebenen deckt auch sie ab, die energisch vorantreibenden Rhythmen der des kubanischen Son ebenso wie die überzuckerten Schmachtfetzen des mexikanischen Boleros, der mit eigenem, ganz eigenem Charme betört.

    Ein schmachtendes Männchen zur Brunftzeit, könnte man dazu sagen. Doch Lateinamerika kennt auch eine andere Tradition der stillen, leisen, sanften Töne. Die Musik der Gauchos etwa, der Cowboys der argentinischen Pampa. Enorm lastet der Druck des Schweigens auf der endlosen Landschaft, in der der Horizont den Blick auf nichts als den nächsten Horizont freigibt, legt eine Stille frei, die man getrost "erhaben" nennen kann. Atahualpa Yupanqui alias Héctor Roberto Chavero heißt der große Interpret jener kaum bewohnten Weiten, die die großartige Kulisse des argentinischen Nationalepos "Martín Fierro" abgeben, dessen ruhiges Wesen man auch in der Stimme Atahualpa Yupanqui zu vernehmen meint.

    Dieser ruhige Klang setzt sich fort in ganz anderem Ambiente, dem städtischen Leben der 60er, 70er Jahre, der düsteren Zeit des starken, schließlich des autoritären, repressiven, terroristischen Staats. 1964 putscht in Brasilien das Militär, es folgen Staatsstreiche in Uruguay, Argentinien, Chile. Sie gebären das Unrecht, aber auch die großen Protestsänger, einen Víctor Jara etwa, oder eine Violeta Parra. Auch Parras Kinder Isabel und Angel gehören zu den Großen des politischen Liedes, das zuletzt doch zur Ohnmacht, zur Wirkungslosigkeit verurteilt ist – ein Umstand, den die beiden Geschwister 1967, mit kaum dreißig Jahren, nicht anders als durch Selbstmord zu quittieren wissen.

    "El pueblo unido/jamás será vencido", "Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden". So skandiert es die protestierende Menge später auf den Straßen von Buenos Aires. Vielleicht ist es zynisch, den politischen Einspruch auch metaphysisch zu deuten, als Bekenntnis zur Lebenslust und Lebenswillen. Doch verführerisch ist es, denn die Lebensfreude bläst einem in Lateinamerika in allen Tonlagen in die Ohren, orgelt sich durch sämtliche Instrumente, entlockt sogar dem schweren Akkordeon heitere, leichte, fast hymnische Rhythmen.

    Lebenslust. Karneval. Rio de Janeiro. Auch hierzu liefern die Autoren ein Kapitel, beschreiben den ungeheuren Mix der europäischen und afrikanischen Traditionen, die Geburt des Sambas aus dem Geist der Not, den Aufstieg der leichten, oft fast frivolen Rhythmen aus dem Gewimmel der Elendsviertel, der favelas.

    Kitschig, ja zynisch wäre es, das Glück der Musik auf das Elend der Straße zurückzuführen – und die Autoren tun dies auch gar nicht. Bei aller Begeisterung nähern sie sich ihrem Gegenstand doch durchgehend nüchtern, enthalten sich mit wachem Verstand aller Klischées, die man auf die Musik Lateinamerikas nur zu gern verwendet. Sehr überzeugend etwa das Kapitel über die Musik Kubas, das den Glanz, vor allem aber das Elend der Revolution souverän verarbeitet, den musikalischen Reichtum in konsequenten Gegensatz zur materiellen Dürftigkeit stellt, die der Diktator seinem Volk seit Jahren verordnet.

    Doch Salsa , Son , Merengue feiern auch dann noch die Ausgelassenheit. Und von der Karibik her drückt der Rhythmus auf den Kontinent, spült hinüber nach Venezuela und Kolumbien, wo er zu ganz eigenen Formen findet – der Cumbia etwa, die der Kolumbianer Álvaro José Arroyo zum Ausdruck purer Ausgelassenheit hochtreibt, auch wenn sie von der Versklavung der Schwarzen handelt.

    Doch längst ist die karibische Musik auch in den Norden gewandert, blüht in Miami, wandelt sich in New York seit 50 Jahren zu immer neuen Formen. Immer neue Rhythmen entstehen in der Neuen Welt, in beiden Hälften des Kontinents. Salsa, Samba, Santería: Musik, dein Name ist Glück.