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Sammeln, Ordnen und Dokumentieren von Obstsorten

Heute hat in Berlin die "Fruit Logistica 2003" ihre Tore geöffnet, die internationale Fachmesse für den Handel mit Obst, Gemüse und Früchten - wir hatten am vergangenen Montag bereits über Einzelheiten informiert. Auf der Messe dreht sich alles vor allem um die marktgängigen Sorten und um Neuheiten. Genau ums Gegenteil geht es in den pomologischen Kabinetten. In diesen "Obstkundemuseen" werden alte Sorten gesammelt, geordnet und dokumentiert und auch für Neuzüchtungen bekommt man dort Rat und Hilfe. Das älteste deutsche Kabinett steht seit 200 Jahren in Bamberg im Bundesland Bayern.

Von Stephan Haufe | 16.01.2003
    Wenn sie so ein Modell in die Hand nehmen, werden sie feststellen, dass das federleicht ist, das besteht nur aus einer ein bis zwei Millimeter dünnen Wachswand, ist also ganz fragil und innen hohl. Wir können das an einigen zerbrochenen Früchten sehen.

    ...beschreibt Matthias Mäuser, Leiter des Naturkundemuseums im fränkischen Bamberg. Wir stehen vor einer weißen Vitrine, darin befindet sich das erste deutsche pomologische Kabinett, eine Sammlung von Früchtemodellen aus Wachs. Auf Watte gebettet liegen insgesamt 193 unterschiedliche Früchte, unter anderem Äpfel, Birnen, Nüsse oder Aprikosen. Sie heißen Venusbrust, Rotes Seidenhemdchen oder Schweizer Hose.

    Zusammengestellt hat das Kabinett der Schweizer Pfarrer Lindner vom Benediktinerkloster Banz. Ein pomologisches Kabinett hat die Funktion eines Obstlexikons. Pomologie ist die Lehre vom Obst. Abgeleitet ist das Wort von der griechischen Göttin der Früchte Pomona. Ihre Blüte hatte die Pomologie im 19. Jahrhundert:

    Es gab damals tausende von Apfel- und Birnensorten und die hatten zum großen Teil auch noch Lokalnamen. Es gibt Sorten, für die sind 40–50 Synonyme nachgewiesen. Jedes Dorf in jeder Gegend hatte eigene Bezeichungen für doch dann die gleiche Obstsorte. Die Pomologen waren bestrebt, tatsächlich wichtige, empfehlenswerte Sorten aufzuzeigen und das war auch der Zweck des Kabinetts, wirklich wichtige Sorten zu dokumentieren.

    Soweit Mattias Mäuser zur Bedeutung der pomologischen Kabinette. Einer der ersten Versuche, System in das Sortenwirrwarr hineinzubringen, unternahm der thüringische Geistliche Johan Volkmar Sickler. Gemeinsam mit dem Verleger Friedrich Justin Bertuch ließ er von Konditormeistern naturgetreue Früchtenachbildungen anfertigen. Nach ihren Begründern wird das Kabinett auch Sickler-Bertuch´sche Sammlung genannt. Die Mehrzahl der Wachsfrüchte wird im Stadtmuseum von Weimar sorgfältig verwahrt. In Bamberg sieht man nur einen Bruchteil der Sickler-Bertuch'schen Sammlung. Die Modelle stellen Größe, Farbe sowie Stiele und Blüten der Sorten dar, die in den Gärten der damaligen Zeit wuchsen:

    Früher waren die Züchtungen so ausgerichtet, dass überall vor Ort gezüchtet und angebaut wurde. Diese Riesentransporte von Äpfeln und Birnen über die ganze Welt gab es nicht. Jeder baute für das entsprechende Klimagebiet Früchte an. Man achtete darauf, dass man einen Apfel hatte, der von Anfang August bis Mitte August reifte und einen anderen von Mitte August bis September. So hatten die einen ganzen Kalender von Früchten.

    Erläutert Jürgen Götze, Biologe und wissenschaftlicher Sachbearbeiter im österreichischen Benediktinerstift zu Admont. Mit Hilfe der pomologischen Kabinette versuchten Züchter, nicht nur die Obstsorten zu systematisieren, sondern auch die Namen der Früchte innerhalb des deutschsprachigen Raumes zu vereinheitlichen. Damit sich die Namen leichter einprägen, fielen sie bildhaft und lautmalerisch aus. Wie Matthias Mäuser am Beispiel der ”Schweizer Hose” erklärt:

    Die hat schöne bunte Farbstreifen, und die erinnern eben sehr an die aufgeplusterten Hosenbeine der Schweizer Garde und deshalb heißt diese Birne ”Schweizer Hose”. Aber es waren auch sehr viele Namen, ja liebevolle Phantasienamen, wie das Rote Seidenhemdchen, die Venusbrust, die Jungfernbirn, die Liebesbirn, Frauenschenkel...

    Solche zum Teil erotischen Bezüge findet man bei der Namensgebung, wie sie heute bevorzugt wird, nicht mehr. Es wird schematischer vorgegangen. Sorten, die gegen Schädlinge resistent sind, erhalten Namen mit der Vorsilbe Re-, wie Resi oder Relinda zum Beispiel. Pinova oder Pirella mit der Vorsilbe –Pi- deuten auf den Ort Pillnitz hin, wo sich eine der größten Obstzuchtanstalten befindet.

    Der Großteil der Sorten des Kabinetts gilt heute als verschollen. Als Raritätensammlung hilft es darum, alte Arten wiederzufinden und erneut zu züchten. Zum Beispiel auf Streuobstwiesen. Die Sortenvielfalt im pomologischen Kabinett regte beispielsweise Naturschützer aus dem Landkreis von Bamberg an, solche Wiesen wieder anzulegen.