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Sankt Mokka
Die Schmuggler-Kirche in der Eifel

Als sich vor 75 Jahren US-Soldaten und die Wehrmacht heftige Gefechte in der Rureifel lieferten, wurde die St. Hubertus-Kirche im Dörfchen Schmidt zerstört. Ihren Wiederaufbau finanzierten die Einheimischen nach Kriegsende mit Schmuggel, der Bau erhielt den Kosenamen "St. Mokka".

Von Gerd Michalek | 01.12.2019
Monschau Eifel
Postkarte aus der Eifel. Ab 1948 macht eine Kaffeesteuer das Getränk zum Luxus, viele Eifeler gingen dem Kaffeeschmuggel nach, um Geld zu verdienen - auch die Kirche profitierte vom illegalen Handel. (arkivi)
Hubertus-Kirche "Sankt Mokka" steht in weißen Buchstaben auf kaffeebraunem Hintergrund an der Kirchenfassade im Eifeldorf Schmidt. Und das aus einem ganz besonderen Grund:
"Zu Kriegszeiten wurde dort mit Kaffee geschmuggelt und teilweise – so wie ich es weiß - wurde er da auch gelagert."
Erzählt diese Schmidter Bürgerin. Im Innern der Kirche finden Besucher natürlich keine Kaffeesäcke mehr vor, dafür Informationen zur Kirche, ihrer besonderen Geschichte und zum Naturpark Eifel. Das Gotteshaus hebt sich auch optisch von anderen katholischen Kirchen ab:
"Wir sehen also eine total nüchterne Kirche. Hängt damit zusammen, dass nicht mehr Geld da war."
Keine schön gestalteten Deckengewölbe, keine prächtig-bunten Kirchenfenster: Sankt Hubertus stammt eben aus der Nachkriegszeit, sagt Konrad Schöller, Touristenführer aus Schmidt. Wo das heutige Gotteshaus steht, wüteten vor 75 Jahren Gefechte zwischen US-Soldaten und deutscher Wehrmacht. Spätestens im Dezember 1944 liegt die Kirche in Schutt und Asche. So muss der Pfarrer notgedrungen den Gottesdienst in eine Holzbaracke verlegen. Eine neue Kirche muss her, aber wie?
"Genau wie die Menschen aus anderen Nachbargemeinden im Monschauer Land gingen die Schmidter auch zum Kaffeeschmuggeln nach Belgien, viele gingen wohl bis nach Eupen, kauften dort billig Kaffee ein, um ihn dann in den Großstädten am Rhein gelegen, meistenteils mit sattem Gewinn wieder loszuwerden. Und einen erkläglichen Betrag einzuheimsen. Davon hatte wohl der Pfarrer gehört wohl und sah dabei zu, wie die Schmidter ihre Wohnungen wieder aufbauten. Dann hat er in seinen legendären Predigten an seine Schäfchen appelliert, ihm auch was von diesen Kaffee-Erlösen abzugeben."
Schmuggeln war verboten, anstrengend und gefährlich
Was das Schmuggeln lukrativ machte? Ab 1948 macht eine Kaffeesteuer das Getränk zum Luxus.
"Es kommt drauf an, wo man eingekauft hat in Belgien. Je weiter man sich von der Grenze entfernte ins Inland hinein, desto billiger wurde der Einkaufspreis. Es werden da drei Mark pro Pfund genannt. Und die Kaffeesteuer allein betrug 5 Mark pro Pfund. Ich habe auch Preiskalkulationen gesehen in verschiedenen Dokumentationen, da werden Schmuggelerlöse von bis zu 18 Mark pro Pfund genannt."
Altes Ehepaar beim Nachmittagskaffee, Deutschland 1960er Jahre.
Ehepaar beim Nachmittagskaffee in den 1960er Jahren (United Archives/Pilz)
Viele Menschen in der Eifel gingen dem Kaffeeschmuggel nach. Oft deshalb, weil ihnen Geld fehlte, um ihre im Krieg zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Rund 15 bis 30 Pfund Kaffee über 20 Kilometer aus Belgien zu schleppen, war natürlich sehr anstrengend, erinnert sich Ludwig Fischer, ehemaliger Ortsvorsteher von Schmidt:
"Ich weiß noch gut, wenn wir sonntags zur Frühmesse gingen, damals gingen alle, auch die Schmuggler noch zur Kirche. Die standen da hinten an der Wand und nickten schon mal ein und knickten ein, dass man die schon mal wecken musste."
Der heute 84-Jährige ging selbst nicht Schmuggeln. So hatte es sein Vater, als der aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, für die ganze Familie beschlossen. Doch viele Nachbarn und Bekannte mischten mit.
"Normalerweise dauerte so eine Schmugglerrunde von hier bis Eupen und wieder zurück so zwei bis zweieinhalb Tage. Unter Umständen musste man alles wegwerfen, wenn die Zöllner unterwegs waren und dann den Leuten auflauerten. Aber die waren meistens so klug, dass die irgendeinen vorschickten, der nichts dabei hatte und der dann die Leute warnte, wenn da irgendwo ein Zöllner war."
Schmuggeln war bei Strafe verboten. Darüber wachten Zöllner auch in der Nähe von Schmidt, erinnert sich Ludwig Fischer. Als Schulkind beobachtete er einen Schmuggler namens Martin, der mit ihm in den Bus stieg.
"Der legte seinen Rucksack vorne in den Bus und ging nach hinten. Wie es damals üblich war, kamen damals die Zöllner unten in Nideggen-Brück mit dem Motorrad. Die hatten damals eine 750er-Zündapp, einer fuhr die Maschine, einer stieg dann in den Bus und kontrollierte die Gepäcke und Taschen."
Von der ständigen Angst, entdeckt zu werden
Der Zöllner sah den Rucksack, fragte nach dem Besitzer, doch keiner antwortete. So nahm er ihn mit zu seinem Zöllnerkollegen.
"Martin stieg dann bei der nächsten Haltestelle aus und ging dann zu Fuß wieder zurück. Jedenfalls geht er dann zum Bahnhof, sieht dann das Motorrad der Zöllner unter einem Baum stehen, auf dem Rücksitz liegt sein Rücksack, den sehen und nehmen war eines. Er ist dann natürlich einen anderen Weg zurückgekommen. Dann hat er seinen Schmuggel wieder gut zurückgehabt."
Nicht immer ging es so glimpflich aus für die Schmuggler!
"Einmal weiß ich, als wir aus der Frühmesse kamen, da kamen fünf dieser Motorräder vom Zoll, die hatten fünf Harscheider Jungen in ihrem Beiwagen sitzen. Die hatten sie kurz vor der Haustüre geschnappt, da war natürlich alles weg!"
Riskant war auch der Wiederverkauf des Kaffees, für den oft Frauen zuständig waren:
"Eines Tages kommt eine Frau von der Tour zurück, die sitzt vor mir im Bus. Sie fing an zu weinen: 'Mir ist was passiert!' Die hatte ihren Kaffee nach Düsseldorf gebracht. Als sie dann Geld haben wollte, hat der Kunde gesagt, Geld kriegte sie nicht, weil das ja geschmuggelte Ware wäre, da könnten sie nicht für bezahlen. Da war natürlich der Verdienst weg! Allerdings sind dann am Wochenende danach vier kräftige junge Leute nach Düsseldorf gefahren und haben das Geld mitgebracht."
Legenden ranken sich um den Wiederaufbau der Kirche
Andere Schmuggler wurden erwischt und wanderten für Tage - oder gar Wochen - ins Gefängnis. Schließlich wird 1953 die Kaffeesteuer abgeschafft. Das macht Schmuggeln überflüssig. Doch ebenso abenteuerlich wie das Schmuggeln war, entwickelt sich nun die Mythenbildung um Sankt Mokka. Stichwort Baukosten. Konrad Schöller hingegen beruft sich auf Originaldokumente.
"Ich halte aus persönlicher Anschauung die Zahlen, die offiziell kursieren seit nach der Nachkriegszeit von 250.000 Mark Spendengeldern für maßlos übertrieben, weil ich seinerzeit als Rendant Einblick in die Buchführung der Kirchengemeinde auch aus früheren Zeiten hatte. Nach den eigenen Aufzeichnungen des Pfarrers werden Zahlen genannt, die bewegen sich zwischen 47.000 und 56.000 Mark für einen Drei- bis Vierjahres-Zeitraum."
Schöller geht davon aus, dass auch viele andere Eifelkirchen vom Schmuggel profitierten. Doch die Schmidter Bürger waren wohl die ersten, die dies vermarktet haben, sagt der Touristenführer:
"Was mir auffällt ist, dass immer wieder - selbst nach 70 Jahren - eine große Nachfrage gerade nach dem Schmugglerthema herrscht."