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Sant'Egidio wird 50
Es begann in einer Baracke

Im Februar 1968 gründeten römische Schüler und Studenten eine Bewegung für Gebet und soziales Engagement: Sant'Egidio. Die katholische Laien-Bewegung ist heute in 70 Ländern aktiv und zählt mehr als 60.000 Mitglieder.

Von Corinna Mühlstedt | 08.02.2018
    Fototermin für eine Gruppe syrischer Flüchtlinge aus Lagern im Libanon am Flughafen in Rom. Zusammen mit dem Zusammenschluss evangelischer Kirchen in Italien (FCEI) ist Sant'Egidio auch am Projekt "Corridoi umanitari" beteiligt, das syrischen Flüchtlingen ermöglicht, auf sicherem und legalem Weg nach Italien einzureisen.
    Sant'Egidio ist auch am Projekt "Corridoi umanitari" beteiligt, das syrischen Flüchtlingen ermöglicht, auf sicherem und legalem Weg nach Italien einzureisen. (picture-alliance / dpa / Alvise Armellini)
    "Sant'Egidio ist Ende der 60er-Jahre entstanden. Das waren natürlich Jahre, wo man alles kritisiert hat, alles war auch sehr politisch. Die Jugendlichen, die die Gemeinschaft angefangen haben, haben dieses Klima ihrer Zeit geatmet. Aber es waren auch die Jahre nach dem zweiten Vatikanischen Konzil, mit diesem Aufbruch in der katholischen Kirche. Das Evangelium bedeutete für diese Jugendlichen auch zu entdecken, dass die erste Kritik die Kritik an sich selbst war. Die erste Änderung war die Änderung des eigenen Herzens. Wir sagten damals: Nur neue Menschen können eine neue Welt aufbauen."
    Der römische Politologe Cesare Zucconi ist heute Generalsekretär von Sant'Egidio. Allabendlich treffen er und seine Freunde sich in der Kirche Santa Maria im Stadtteil Trastevere zum gemeinsamen Gebet. Dies, so Cesare, sei von Anbeginn das spirituelle Zentrum der Basisgemeinschaft:
    "Wir sind hauptsächlich Laien, und 'Laien' bedeutet: Jeder von uns hat seinen Beruf oder studiert, verdient sich sein Brot mit der eigenen Arbeit, lebt bei sich zu Hause, bei der eigenen Familie. Und was wir in Sant'Egidio tun, der Einsatz von jedem Mitglied, das machen wir ehrenamtlich, also umsonst. Niemand ist bezahlt, auch nicht die Verantwortlichen von Sant'Egidio."
    Aktiv in 70 Ländern
    Die Gemeinschaft kümmert sich seit jeher um Arme. In den 1960er-Jahren gab es in Rom zahllose Elendsquartiere mit Wellblechbaracken. Dort versuchten all jene zu überleben, die in der Weltstadt ihre Chance gesucht, aber nicht gefunden hatten.
    "Diese Barackenviertel, wir spürten, dass das eine Herausforderung war für unser Leben. Es war eben nicht die Frage: Was macht der Staat? Was macht die Kirche? Sondern: Was machen wir für diese Leute, besonders Kinder? Kinder, die oft nicht die Pflichtschule besuchten, mit Analphabeten als Eltern. Kinder, die in sehr jungen Jahren bereits hart arbeiteten mussten. Wir haben mit einer Hausaufgabenhilfe angefangen. Wir waren Gymnasiasten. Wir konnten lesen, schreiben, wir konnten Fremdsprachen. Wir waren reich und spürten die Verantwortung, die Herausforderung, diesen Kindern Antwort und Hilfe zu geben."
    Die Arbeit von Sant'Egidio mit Kindern in Slumgebieten erhielt später den Namen "Friedensschule". Nach und nach bemühte sich die Gemeinschaft immer mehr Menschen in Not zu helfen: Behinderten, Obdachlosen und Gefangenen. In den 70er-Jahren entstand eine erste Niederlassung von Sant'Egidio in Neapel. 1981 formierte sich die erste Gruppe außerhalb Italiens in Würzburg. Heute ist Sant'Egidio in 70 Ländern rund um den Globus aktiv. Die rasche Ausbreitung der Gemeinschaft sei nicht zuletzt den positiven Erfahrungen zu verdanken, die Migranten und Flüchtlinge seit Jahrzehnten bei Sant'Egidio machten, erklärt Cesare Zucconi.
    "Ich glaube, dass diese Beziehung, die wir zu den Armen in unseren Städten aufgebaut haben, uns auch zu den Armen in der Welt gebracht hat. Und ich würde sagen, wir haben in diesen Jahren immer mehr entdeckt, dass der Krieg auch die Mutter jeder Armut ist, weil die ersten Opfer des Krieges oft die Armen sind und weil der Krieg nur Armut schafft und vermehrt."
    Dialog und Einsatz für Arme
    1992 gelang es Sant'Egidio, in Mozambique die verfeindeten Bürgerkriegsparteien zu einem Friedensabkommen zu bewegen. Das Ereignis machte die Gemeinschaft international bekannt. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde sogar für den Friedensnobelpreis nominiert.
    "Nach dem Friedensschluss in Mozambique haben viele andere an unsere Tür geklopft. Und so hat sich Sant'Egidio eingesetzt in anderen Situationen, in Algerien, in Burundi, teilweise im Sudan, aber ich denke auch an den Einsatz von Sant'Egidio in Albanien oder im Kosovo. Oder ich denke an die Befreiung einer italienischer Geisel in Kolumbien dank der Vermittlung von Sant'Egidio."
    Friedenstreffen der Weltreligionen in Krakau
    Friedenstreffen der Weltreligionen in Krakau (picture-alliance/ dpa / Communita di Sant' Egidio)
    Gleichzeitig erhielt die Friedensarbeit von Sant'Egidio noch eine weitere Dimension durch den interreligiösen Dialog: Johannes Paul II. bat die Gemeinschaft, die von ihm 1986 in Assisi ins Leben gerufenen Weltfriedensgebete mit Repräsentanten aller Religionen fortzuführen. Alljährlich organisiert Sant' Egidio seither in einem anderen europäischen Land ein interreligiöses Friedensgebet nach dem historischen Vorbild von Assisi. 2017 fand es in Münster und Osnabrück statt.
    "Manche sprechen heute von einer Unvermeidbarkeit einer kriegerischen, gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen der islamischen Welt und der so genannten westlichen Zivilisation. Wir glauben, dass es eine Alternative gibt, aber diese Alternative kann nur durch den Dialog verwirklicht werden. Ich denke dieses Gebet, hat immer mehr Menschen für den Dialog gewonnen, Menschen, die nicht unbedingt überzeugte Leute des Dialoges waren, die dazu gewonnen wurden und für die es heute eine gewisse Selbstverständlichkeit gibt, sich gemeinsam den Fragen unserer Welt zu stellen."
    Sant'Egidio geht davon aus, dass der interreligiöse Dialog und der Einsatz für Arme die Grundlagen einer erfolgreichen Friedenspolitik sind. Diese Ideale, meint der Gründer der Gemeinschaft, der Historiker Andrea Riccardi, seien heute so aktuell wie vor 50 Jahren:
    "Die Welt erwartet heute von den Religionen, dass sie ihr den Weg des Friedens zeigen: eines Friedens, der im eigenen Herzen beginnt. Wir von Sant'Egidio glauben, dass religiöse und humanitäre Werte eng zusammengehören und dass sie dazu dienen sollen, jedem Menschen in Not zu helfen. Die heutige Situation in der Welt sollte uns alle anspornen, uns mehr denn je gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen."