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Sarotti-Werke in Berlin
Zartbittere Geschichte

Der weltbekannte "Sarotti-Mohr" in den roten Pluderhosen, dem blauen Jäckchen und den Schnabelschuhen stand mehr als 100 Jahre für feinste Schokolade. Auch heute gibt es "Sarotti"-Schokolade noch, political correct mit einem Magier statt einem Mohr. Das Prestige aus früheren Zeiten aber ist dahin.

Von Peter Kaiser | 20.12.2015
    Museumsbesucher schauen sich am 03.11.2012 in Köln (Nordrhein-Westfalen) im Schokoladen-Museum die Ausstellung an.
    Maskottchen des Schokoladen-Herstellers "Sarotti" (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "'84 habe ich angefangen, und da waren es noch so 1200 Mitarbeiter."
    Die alte Fabrik in der Berlin-Tempelhofer Teilestraße war einmal die größte Schokoladenfabrik der Welt. Auf Tausenden Quadratmetern wurde hier die berühmte Sarotti-Schokolade produziert. Tag und Nacht, sagt Joachim Prengel.
    "In drei Schichten sind wir gefahren, von Montag bis Freitag, und immer diesen süßen Geruch in der Nase."
    Bis zuletzt arbeitete er als Programmierer an den Verpackungsanlagen.
    "Hier haben mal 3000 Menschen gearbeitet, zu den besten Zeiten?"
    "Ja, da war wirklich in allen Etagen, ich sage mal, die Hölle los."
    Jetzt nicht mehr. Jetzt sind die Fenster blind, das Licht diffus. Man muss aufpassen wohin man tritt, in den Fabrikböden sind Löcher. Darin waren die Produktionsanlagen montiert. Joachim Prengel und ich fahren einen Stock höher.
    "Da war die letzte neue Anlage, die Nesquick-Anlage stand da früher. Kennen Sie den Nesquick-Snack? Jut und ja, die anderen sind inzwischen alle abgebaut,die sind ins Ausland gegangen, und teilweise produzieren sie wieder."
    "Ich habe gehört, das ist alles in den Iran gegangen?"
    "Ja."
    150 Jahre lang war Berlin - vor Dresden und Köln - die Schokoladenhauptstadt Deutschlands. Besonders hier, in der Tempelhofer Fabrik, wurden zu guten Zeiten, also in den 1920er, 1930er Jahren, täglich an die 300.000 Tafeln versendet. Jede einzelne Tafel mit dem Bild des Sarotti-Mohr, der nun als Magier umdeklariert ist.
    "Sarotti"-Cafe soll an glorreiche Zeiten erinnern
    Wenige Autominuten vom Tempelhofer Werk entfernt begann die Sarotti-Geschichte in der Belle-Alliance-Straße, dem Mehringdamm heute in Kreuzberg. Um die Ecke ist die bei Touristen so beliebte Bergmannstraße. Hierher war 1883 der Konditor Hugo Hoffmann mit seinem Betrieb zur "Herstellung feiner Pralinen, Fondants und Fruchtpasteten" von der Mohrenstraße in Berlin-Mitte gezogen. Und produzierte mit 162 Mitarbeitern so erfolgreich Schokolade, dass er wenige Jahre später die Hausnummern 82 und 83 in der Belle-Alliance-Straße aufkaufte, dort weitere Fabriken errichtete, und mit dann 1000 Mitarbeitern noch mehr Schokolade herstellte. Heute gibt es die süßen "Sarotti-Höfe" noch. Wenn auch nicht mehr ganz so süß.
    "In Kreuzberg war das früher wirklich so, die berühmt-berüchtigte Durchmischung von Industrie und Wohnen, wo es in den tiefen Hinterhöfen ganz viele Fabrikanlagen gab."
    Heike ist Kunsthistorikerin, Fachgebiet Architektur. Sie wohnt unweit der Bergmannstraße.
    "Und hier in den Höfen, das ist erst mal eine hübsche Gründerzeitschmuckfassade, wird jetzt Dienstleistung produziert. Geht los mit Booking-Agenturen, ein Dojo ist dabei, eine Schnell-Media-GmbH, Thalia ist hier, die UFA hat hier eine Zweigstelle, und eine Holzwerkstatt sind jetzt hier ansässig. Das ganze Areal wurde verkauft an einen Investor."
    Und weil der Investor ein kluger Mann ist, der stets auf Rendite und Gewinnmaximierung sein Handeln ausrichtet, entging ihm nicht die Bedeutung des Areals. Ergo gibt es einen "Sarotti-Laden" für Touristen. Darin entzückt besonders die Kühltruhe...
    "Natürlich meine geliebten Katzenzungen meiner Kindheit, das sind diese Schokoladenstäbchen, hauchdünn, ja, und dann noch ein paar Tafeln Sarotti-Schokolade. Ist halt sehr auf touristisches Schnickschnack zugeschnitten. Guck mal diese Tasse, abgefahren, der Sarotti-Mohr, dabei gibts es das alles nicht mehr so."
    Was es aber gibt, das ist das Sarotti-Cafe. Darin kann man Latte trinken, und in dem hinter dem Cafe liegenden Sarotti-Hotel ein Zimmer buchen. Wenn man ein Fan des Berliner Tons ist...
    "Hallo, darf ich Sie fragen was ein Zimmer kostet?"
    "Watt denn für ein Zimmer? Zwischen 101 Euro, und offen."
    1921 wurde am Mehringdamm die Produktion eingestellt, und in das gigantische Werk nach Tempelhof verlegt. Bis zu 3000 Mitarbeiter, heißt es, produzierten feine Schokoladenwaren, Pralinen, Kakao, Marzipanerzeugnisse und Fondants bis zu Likören. Da war die Werbefigur des Sarotti-Mohrs schon in der Welt, geschaffen vom Grafiker Julius Gipkens.
    Schon in den 1930er Jahren hatte der Schweizer Nahrungsmittelriese Nestle das Sagen bei Sarotti
    "Man kennt ihn noch von den alten Bildern, da trägt er ein Tablett, da ist er offensichtlich ein schwarzer Sklave. Man ahnt, die Figur ambivalent, und das macht ihn interessant. Deswegen glaube ich, dass auch so viele Leute ihre ganz persönliche Sarotti-Geschichte kennen, und eben eine ganz besondere Beziehung zu dem Mohren haben, weil der hat Persönlichkeit, der hat Charakter."
    Rita Gundermann hat mit Bernhard Wulff das Buch "Der Sarotti-Mohr. Die bewegte Geschichte einer Werbefigur" verfasst.
    "Julius Gipkens, damals ein ganz berühmter Reklamekünstler, hat Klischees des schwarzen Dieners mit dem schwarzen Gesicht und mit der Pluderhose und dem Turban aufgenommen, hat schon relativ spät, also 1918, als der Kolonialismus schon längst in die Krise geführt hat, nämlich den Ersten Weltkrieg, diese Figur genommen, und hat sie auf Pralinen, auf Schokoladentafeln gemacht, und hatte damit einen unglaublichen Erfolg. Also wenn man den Sarotti-Mohr 1918 sieht, da schwingen mehrere Jahrhunderte Kulturgeschichte mit."
    "Es gibt noch Leute, die kennen Sarotti, den Mohren, der ja heute nicht mehr Mohr sein darf, sondern der Magier jetzt ist, den kennt glaube ich noch fast jeder, aber die Schokoladenmarke Sarotti, als Tafel, ist fast schon nicht mehr existent", sagt Norbert Seibel, Werksleiter des Berlin-Marienfelder Sarotti-Stollwerk-Werkes. Schon in den 1930er Jahren hatte der Schweizer Nahrungsmittelriese "Nestle" das Sagen bei Sarotti. 1998 übernahm die Stollwerck GmbH die Traditionsmarke. Stollwerck wurde 2011 an den belgischen Süßwarenhersteller "Sweet Products / Baronie" verkauft. Rendite mit Süßem... Kurzum: hier wird die Sarotti-Schokolade produziert. Noch.
    "Wir produzieren als richtigen Sarotti-Artikel eine Flachtafel hier. 100 Gramm, in mehreren Variationen, Orange, Vollmilch und eine 85-prozentige Santo-Domingo. Die 100 Gramm Standardtafel im Papier, wie man sie von früher her von Sarotti kennt, die läuft zum Jahresende aus."
    Altes Sarotti-Werk wird Platz für junge Kreative
    Und wenn man sich vorgestellt hat, das Schokolademachen vielleicht etwas Lasziv-Geschmackliches ist, ein Hinschmecken gar dem süßen Glück und etwaiger Kakao- und Nuss-Ovationen entgegen, der wird von den Förderanlagen, dem Krach in der Fabrik enttäuscht.
    Und doch, sagt Norbert Seibel, hat Schokolade mit allem Glück der Welt etwas zu tun.
    "Manche Leute verbinden das ja, wenn sie Schokolade essen und das lesen, diesen exotischen Namen auch, mit Urlaub, und Träumen von fernen Ländern. Equador, Santo Domingo, Sao Tome, Papua-Neuguinea... da gibt es überall Kakaobohnen. Die großen Mengen kommen ja aus Westafrika, Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria, Kamerun."
    "Es wirkt ein bisschen so, als wenn es hat sterben sollen, das Sarotti-Werk."
    "Na ja, nichts anderes ist dabei herausgekommen."
    "Aber überall ist so ein bisschen Geräusch, Leute laufen hier durch, es beginnt, sich wieder so ein bisschen zu beleben."
    "Ja. So ein bisschen ja."
    So ist es. Nach und nach belebt sich das alte Sarotti-Werk wieder. Ateliers ziehen ein, eine Bäckerei auf mehreren Etagen, Handwerksbetriebe, Design-Start-Ups.
    "Dann machen wir das mal zu hier. Das war der Rundgang im alten Sarotti-Werk."
    Und am Ende der Führung treffe ich einen anderen ehemaligen Sarotti-Mitarbeiter. Andreas Kastner arbeitet jetzt nebenan in einer Baumaschinenfirma. Auf Sarotti angesprochen, schaut er hoch zu den rotbraunen Fabrikfassaden.
    "In Tempelhof ist man aus der U-Bahn ausgestiegen, und da hat man das schon gerochen gehabt, nicht. Eigentlich habe ich mir gedacht, ich werde hier bis zu meiner Rente arbeiten, aber leider hat sich die Sache total verändert."