Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Satellitenbild-Auswertung
Klimaforschung per Pinguin-Kot

Eisbohrkerne, Sedimentproben, Baumringe - sie alle werden ganz selbstverständlich eingesetzt, wenn es darum geht, das Klima des Planeten zu rekonstruieren. In der Antarktis gibt es jedoch noch eine weitere aufschlussreiche Datenquelle: Pinguin-Exkremente.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Ralf Krauter | 12.12.2018
    Kaiserpinguine (Aptenodytes forsteri) in der Antarktis
    Kaiserpinguine (Aptenodytes forsteri) in der Antarktis (picture alliance / dpa / Roger Tidman)
    Ralf Krauter: Um das Klima längst vergangener Erdzeitalter zu rekonstruieren, nutzen Forscher oft Eisbohrkerne, Sedimentproben oder versteinerte Baumringe. In der Antarktis sind sie jetzt – mehr oder weniger durch Zufall – auf eine weitere wertvolle Informationsquelle gestoßen. Auf Guano nämlich, den Kot von Pinguinen. Auf die Spur dieses ungewöhnlichen Klimaarchivs kamen die Wissenschaftler, als sie Bilder des Erdbeobachtungssatelliten betrachteten. Was genau der Guano der arktischen Pinguinkolonien über die Klimageschichte verrät und über seine Verursacher, war gestern Thema bei der Herbsttagung der Amerikanischen Geophysikalischen Gesellschaft in Washington. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich hat den Vortrag via Internet verfolgt. Um welche Pinguine ging's da?
    Dagmar Röhrlich: In der Antarktis brüten vier Pinguinarten - darunter die Adélie-Pinguine. Sie sind für die Klimaforscher das, was die Kanarienvögel für die Bergleute waren: Sie warnen - durch ihr Verschwinden. Deshalb sind die Forscher in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, Pinguinkolonien auch aus dem Weltraum zu beobachten - und zwar über ihre Hinterlassenschaften, sprich: rosa Flecken, über die ihre Exkremente auf den Satellitenbildern zu erkennen sind. Und insgesamt gibt es - abgeschätzt aus der Guano-Menge - in der Antarktis 3,8 Millionen Brutpaare von Adélie-Pinguinen. Und die Forscher haben aus dem Weltall heraus auch mehrere bislang unbekannte Kolonien entdeckt. Darunter auch eine Superkolonie.
    Krauter: Wo ist diese Superkolonie?
    Röhrlich: Auf den Danger Islands vor der Ostküste der Antarktischen Halbinsel. Dort brüten - diesmal drohnengezählt - 751.527 Adélie-Pinguinpaare. Bei einer Expedition zu der Insel haben die Forscher aber nicht nur diese Volkszählung durchgeführt, sondern auch den anrüchigen Teil ihrer Arbeit gemacht und den Pinguin-Kot untersucht: nicht nur den der derzeit dort lebenden Tiere, sondern auch den - wenn man so will - historischen, die dicken Guanoablagerungen, die sich im Lauf der Zeit dort gebildet haben.
    Kälte der Antarktis konserviert Pinguin-Guano
    Krauter: Was lässt sich daraus ablesen?
    Röhrlich: Pinguin-Guano besteht aus Kot, Eierschalen und Federn, und alles wird in der Kälte der Antarktis konserviert. Aus den Federn lässt sich die DNA extrahieren, so dass man die genetische Geschichte der Pinguine nachvollziehen kann, die Analyse von stabilen Isotopen von Stickstoff und Kohlenstoff in Guano und Eierschalen verrät, ob die Pinguine mehr Fisch oder Krill fraßen. Außerdem können die Forscher den Kot selbst analysieren, auf Reste von Gräten oder Otolithen oder Schnäbel von Tintenfischen hin. Das lässt dann auf Veränderungen in den Größen und Häufigkeiten der Fische und Tintenfische schließen. Und der Guano lässt sich mit C-14 datieren. Die Hinterlassenschaften der Pinguine sind also eine wahre Fundgrube.
    Krauter: Diese bis vor kurzem unbekannte Pinguinkolonie - ist sie neu entstanden?
    Röhrlich: Die Landsat-Aufnahmen decken bislang den Zeitraum zwischen 1984 bis 2017 ab. Die Auswertung zeigt, dass diese Superkolonie bis in die 1990er Jahren größer war, dass sie - anders als bei den Adélie-Kolonien an der Westküste der Halbinsel - seitdem zwar stetig, aber nur langsam abnimmt.
    Wenn man jetzt weiter zurück in die Zeit schaut: Die C-14-Datierung des Dungs von den Danger Islands zeigt, dass die Tiere seit rund 2.900 Jahren dort brüten. Damals muss sich also das Eis - nach dem Ende der jüngsten Eiszeit vor rund 10.000 Jahren - so weit zurückgezogen haben, dass die Felsen frei lagen und die Lebensbedingungen den Pinguinen gefielen.
    Diese Daten lösen ein Rätsel. Denn während die Klimarekonstruktionen aus Sedimentkernen genau das nahegelegt haben, waren alle anderen Pinguinkolonien in diesem Teil der Antarktis wesentlich jünger, nur ein paar hundert Jahre alt. Nun stimmen die Archive überein und der Zeitpunkt, ab wann die Antarktis einem Pinguin als gemütlich erschienen sein sollte, ist gleich.
    Farbe des Pinguin-Kots verrät den Speisezettel
    Krauter: Gibt es eine Verbindung zwischen den am Boden gewonnenen Daten und denen aus dem All?
    Röhrlich: Beispielsweise lässt sich das Fressverhalten der Pinguine jetzt aus dem Weltraum heraus ablesen. Wenn die Tiere mehr Krill fressen, wird die Farbe des Guanos intensiver rosa, und es wird weißlicher, wenn sie mehr Fisch verspeisen. Den Satellitendaten zufolge bildet Krill die Lebensgrundlage für sämtliche Pinguinkolonien in der Westantarktis und auch über weite Bereiche der Ostantarktis. Bis man sich der Australien zugewandten Seite nähert: In diese Richtung mischt sich mehr und mehr Fisch darunter, bis der schließlich dominiert.
    Krauter: Wovon hängt es ab, wer was frisst?
    Röhrlich: Wer wo was frisst, hängt anscheinend mit dem Meer um die Brutkolonien herum zusammen. Man frisst, was es gibt. Anders als gedacht, scheint die Dynamik des Meereises keine Rolle zu spielen. Außerdem zeigt sich in der Zusammensetzung des Adélie-Pinguin-Speisezettels - von Schwankungen von Jahr zu Jahr abgesehen - trotz des schnell ablaufenden Klimawandels kein Trend. Das hat die Forscher überrascht.
    Allerdings sind die Kolonien nur in den Regionen stabil, wo das Meereis stabil ist. Und angesichts der schnell wachsenden Krill-Fischerei sollten sich Satellitendaten eignen, so betonen die Forscher, das Management dieses entlegenen Meeresgebietes zu ermöglichen.