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Satire darf alles

An meinem Kühlschrank hängt eine typische Greser&Lenz-Zeichnung. Darauf zu sehen ist ein Frankfurter Müllmann, der an einem regnerisch trostlosen Tag erschöpft an einer Bushaltestelle sitzt und seinem Arbeitgeber übers Mobiltelefon mitteilt: "Chef, das ist nicht mein Wetter und ich habe schlechte Beine. Ich kann heute nicht arbeiten." Und darunter steht der Satz: "Versager Ullrich macht Schule". Die Zeichnung ist während der Tour de France in der FAZ erschienen und ein Beispiel für den komischen Zeitgeist der beiden Zeichner Achim Greser und Heribert Lenz. Aussprüche sowie Begebenheiten aus Politik, Sport, Wirtschaft und Kultur werden pointiert in den Alltag des vermeintlich kleinen Mannes überführt. Wer nicht weiß, dass Ullrich vieles aufs Wetter und manches auf seine schlechten Beine schob, wird vermutlich nicht darüber lachen können. Man muss die Zeitung schon gelesen haben, um Greser&Lenz-Zeichnungen zu würdigen.

Von Shirin Sojitrawalla | 23.09.2004
    Mittlerweile arbeiten die beiden außer für das Satiremagazin Titanic und die FAZ auch regelmäßig für den Stern. Man kann durchaus von einer Erfolgsgeschichte sprechen.

    Nun erscheint im Verlag Antje Kunstmann ein neuer Band unter dem verheißungsvollen Titel Der Aufschwung ist da!. Außer ihren Zeichnungen sind auch einige Skizzen hinzugefügt; es sind Vorentwürfe, die sie an ihre Auftraggeber faxen, bevor sie sich an die Arbeit machen. Früher wurde mach ein Vorschlag von der FAZ auch gerne mal abgelehnt. Und wie ist das heute, Heribert Lenz?

    Also Mittlerweile werden eigentlich immer weniger Zeichnungen abgelehnt. Das hat wohl ne ganze Zeit lang gedauert, bis sich die Leserschaft der FAZ an diese Art der Herangehensweise gewöhnt hat, aber jetzt fast gar keine mehr.

    Dabei ist die Aufbauarbeit, die Greser&Lenz in Sachen Humor in der FAZ geleistet haben, gar nicht hoch genug einzuschätzen. Seit 1996 zeichnen sie für die Frankfurter Zeitung, und mittlerweile finden das wohl nur noch wenige kurios. Natürlich gibt es immer noch Leser, die das, was Greser&Lenz abliefern, als geschmacklos, niveaulos oder gar als pietätlos empfinden und sich in Leserbriefen beschweren. Das können die beiden Zeichner naturgemäß überhaupt nicht verstehen und entgegnen:

    Wer will sich auch erdreisten, eine Geschmacksgrenze aufzustellen. Die stellen wir auf in den Arbeiten, die wir zeichnen.

    Dazu Achim Greser:

    Beziehungsweise war das ganz grundsätzlich schon immer die Aufgabe von Satire, also unter dem Mantel von Humor und Heiterkeit über die Stränge zu schlagen und gegen die irgendwie definierte Geschmacksgrenze anzugehen und den Grenzpfahl da ein Stück weiter vorne einzupflanzen.

    Jeder Witz hat für das Zeichner-Duo auch Opfer, er muss auf Kosten von jemanden gehen. Dabei schauen sie den Stammtischlern genauso aufs Maul wie den Alt-68ern. Ganz nach dem Tucholsky-Motto "Die Satire darf alles" sind sie der Meinung, dass man im Grunde genommen über alles Witze machen kann. Dabei kommt ihnen zugute, dass die Figuren, die sie erschaffen, fast immer so liebenswert daherkommen, dass es der satirischen Übertreibung die bösartige Spitze nimmt. Selbst die bärtigen Taliban mutieren bei ihnen zu doch noch irgendwie niedlichen Männchen. Und der eingangs beschriebene Müllmann ist ein typischer Vertreter seiner Art: rundlich gutmütig schaut er ein wenig debil in die Welt, hat zuviel Speck um die Hüften und ist alles in allem ein Normalmensch, wie er zu Hunderten durch deutsche Fußgängerzonen stapft. Sie können aber auch anders: verhärmte Frauen und zickige Großmütter gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie verklemmte Anzugträger.

    Aber die spaßig-spießigen Hausmeister und Hausfrauen sind doch in der Überzahl. Und in ihrem neuen Buch karikieren sie nicht nur das deutsche Kabinett, sondern auch George Bush und Saddam Hussein. Doch die Figuren werden nicht denunziert, sondern durchaus menschenlieb abgebildet. Claudius Seidl schreibt im Nachwort von der ästhetischen Kategorie der Menschenfreundlichkeit, die er den Zeichnungen attestiert.

    Im neuen Buch dreht sich alles vornehmlich um politische Katastrophen: Von den Naturkatastrophen zur Bildungskatastrophe über die Katastrophen USA und Afghanistan hin zu Wirtschaftskatastrophen. Natürlich widmet sich auch ein Kapitel der Katastrophe Rot-Grün. Aber war der Regierungswechsel nicht eigentlich auch der FAZ- Karriere der beiden förderlich?

    Achim Greser: "Was uns einerseits in unserer Arbeit in den letzten Jahren da befördert hat und andererseits uns mittlerweile aber auch mächtig auf den Sack geht, ist diese Debattiererei oder dieses Reformgebabbel, das natürlich in Verbindung gebracht wird mit Rot-Grün und auch, wie es derzeit ja aussieht in all den Umfragen auch zu deren Lasten geht. Das ist natürlich ein herrlicher Hintergrundsrahmen für allerlei Witze diese Debattierei, die jetzt allerdings mittlerweile so lange währt, dass es selbst nervt, weil man eigentlich Witze, die wir vor 8 Jahren gemacht haben unverändert ohne jeden Zusatz heute wieder oder immer noch veröffentlichen könnte und die würden immer noch genauso aktuell erscheinen wie damals. Das ist also eher eine Arbeitsgrundlage, die nicht sehr angenehm ist."

    Kennen gelernt haben sich die beiden Zeichner schon während ihres Grafik-Studiums in Würzburg. Inzwischen ist daraus eine eheähnliche Arbeitsgemeinschaft geworden. Und es ist natürlich nicht so, dass einer zeichnet, und der andere die Texte schreibt. Die Zeichnungen sind Gemeinschaftsproduktionen und die Ideen dazu entstehen mittlerweile oft in ihren Gesprächen. Beide kommen schon einigermaßen gut vorbereitet ins Atelier, sprich, sie haben die FAZ schon mal durchgeblättert und geschaut, was sie so an humorfähigem Material hergibt. Haben Sie eine Idee im Kopf, machen sie einen Vorentwurf, den sie den Redaktionen anbieten. Die endgültige Zeichnung fertigt aber nur einer an, auch wenn man als Laie auf den ersten Blick keinen Unterschied erkennt. Heribert Lenz:

    Die Ideen werden zusammen entwickelt, aber dann muss einer von uns das Blatt übernehmen. Wir haben uns halt so weit angenähert, dass es ein Außenstehender nicht gleich sieht, wer’s gezeichnet hat. Und so soll’s ja auch sein.

    Dass das neue Buch in der Verlagsvorschau als Geschenkbuch beworben wird, ist nicht einzusehen. Denn zum Verschenken ist es wirklich zu schade. Die Zeichnungen sind im besten Sinne aufwändig und werden auch noch ganz altmodisch mit Tusche gezeichnet. Wer sich mit ihnen beschäftigt, findet immer neue Details, die einem beim ersten Blick entgangen sind.

    Denn die Zeichnungen gehen weit über den festgehaltenen Moment hinaus, blättern vielmehr beiläufig ganze Biografien auf. Längst haben Greser&Lenz dabei ihren ganz eigenen Stil gefunden, der nicht zu verwechseln ist.

    Und sie versprechen so lange weiterzumachen, bis sie mit einer ihrer Karikaturen auf die Titelseite der FAZ kommen. Zur Beruhigung ihrer Fans sei gesagt, dass bisher nur zweimal, zum Mauerfall und zum 11. September, überhaupt ein Bild auf Seite 1 der FAZ abgebildet war. Die Chancen stehen also gut, dass ihre Zeichnungen auch weiterhin Komik-Oasen in der Bleiwüste bilden.

    Der Schriftsteller Martin Mosebach hat die Wirkung der Bilder einmal treffend mit einem glücklich-besoffenen Blick auf die Welt verglichen, der die Bereitschaft, ohne besonderen Anlass in Gelächter auszubrechen mit einschließe. Doch nicht immer lacht man wirklich laut heraus, oft fühlt man sich auch ein wenig ertappt oder zumindest unwohl, weil man ahnt, dass die Welt so ist, wie sie auf den Zeichnungen erscheint. Eine der bekanntesten Karikaturen zeigt einen Stammtischler vor seinem Bier und über ihm schwebt die Sprechblase "Saufen ist Urlaub im Kopf". Das ist gleichzeitig komisch und traurig, vor allem aber zumindest für manche Menschen doch auch wahr. Claudius Seidl versteigt sich im Nachwort gar zu der Aussage, dass jene Zeichnungen, die überhaupt nicht lustig seien, zu ihren besten gehörten. Sehen die beiden das auch so? Heribert Lenz:

    Nee, eigentlich nicht. Eigentlich ist unser höchstes Kriterium, dass wir eine Geschichte komisch finden. Wir haben ja praktisch einen Zweierausschuss. Wenn einer ne Idee hat, guckt der andere drauf, und wenn er’s ebenfalls komisch findet, dann ist durch die Ausschüsse gegangen und dann wird’s gezeichnet. Und wie gesagt, das ist unser Kriterium: es muss komisch sein.

    Greser & Lenz
    Der Aufschwung ist da
    Verlag Antje Kunstmann, 239 S., EUR 9,90