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Satire gegen Terror
Eine saudische Fernsehserie karikiert den IS

In der arabischen Welt macht zurzeit eine Ramadan-Fernsehserie Schlagzeilen, weil sie sich kritisch mit dem Terror und der religiös verbrämten Ideologie des IS auseinandersetzt. "Selfie" heißt die Sitcom, die ausgerechnet in Saudi-Arabien spielt, dem Land, das als Mutterland des IS angesehen wird.

Von Martina Sabra | 10.07.2015
    Der saudische Schauspieler Nasser Al Qasabi
    Star der Serie "Selfie" ist Nasser Al Qasabi, ein populärer saudischer Fernsehschauspieler. (AFP)
    Der populäre arabische Unterhaltungssender Middle East Broadcasting, kurz MBC, überraschte zum Auftakt des Ramadans im Juni mit einer neuen Sitcom. "Selfie" heißt die Serie - ein Selbstporträt der saudischen Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen und ihren Fehlern. Thema ist nahezu alles, was die Gesellschaft prägt, von Gewalt in der Familie über Doppelmoral bis zu Diabetes und Übergewicht. Bevorzugtes Ziel des Spottes "Made in Saudi-Arabia" sind jedoch religiöse Fanatiker jeder Art, ob Hassprediger, IS-Terroristen oder allzu fromme Künstler.
    Die Vorbilder sind real: In einer Folge wird der populäre saudische Gesangsstar Mohammed Abdu karikiert, der einst unter großem Mediengetöse aus dem Musikbusiness ausstieg, weil die Musik angeblich nicht zu seinem neu entdeckten radikalislamischen Bewusstsein passte. In einer anderen Folge geht es um den Islamischen Staat. Ein saudischer Familienvater reist verzweifelt nach Syrien, um seinen Sohn aus den Fängen der Terroristen zu befreien. Er müht sich unter anderem in einem Trainingslager für künftige IS-Kämpfer ab, was teilweise durchaus komische Züge annimmt. Doch dann wird der alte Herr festgenommen, die Situationskomik schlägt um in bitteren Ernst.
    Hauptdarsteller mit dem Tod gedroht
    Statt mit seinem Vater nach Hause zurückzukehren, besteht der mittlerweile beim Islamischen Staat kämpfende Sohn darauf, seinem Erzeuger eigenhändig die Kehle durchzuschneiden. Rettung ist am Ende der Folge nicht in Sicht. Es ist die Umwertung aller arabischen Werte. Star der Serie "Selfie" ist Nasser Al Qasabi, ein populärer saudischer Fernsehschauspieler. Viele Zuschauer drücken in sozialen Medien ihre Zustimmung aus, doch einige finden seinen Auftritt in "Selfie" offenbar nicht amüsant: Aktuell quillt der Twitteraccount des Schauspielers über vor bösartigen Beschimpfungen und Morddrohungen. Er sei vom Glauben abgefallen, ein Apostat, heißt es da, und "Kann er sich nicht über schiitische Rechtsgelehrte lustig machen?" Andere fordern unverblümt, ihm die Kehle durchzuschneiden wie dem Vater in der Serie. Loay Mudhoon ist Nahostexperte der Deutschen Welle und beobachtet als solcher die Medien in der arabischen Welt.
    "Der Hauptdarsteller ist ein berühmter Comedian in Saudi-Arabien, der dafür bekannt ist, dass er immer in der Lage war, gesellschaftliche Debatten mit dem Mittel der TV-Satire anzustoßen. Und der Erfolg seiner aktuellen Serie gibt ihm zweifelsohne Recht. Aber sicher gehört auch Mut dazu, weil die IS ihm und seiner Familie inzwischen mehrfach mit dem Tode gedroht haben."
    Der Künstler nimmt es anscheinend gelassen. "Liebe Leute, regt euch nicht auf, wir haben Ramadan", ist auf seinem Twitteraccount zu lesen. Er werde weitermachen. Saudi-Arabien brauche Intellektuelle, die sich trauten, gegen den Strom zu schwimmen, sagte er zum Start der Serie in einem Fernsehinterview mit dem arabischen TV-Sender Al Arabiya.
    Das Wort Dschihad sei im Arabischen ein friedlicher Begriff, so der Schauspieler. Es heiße: Sich bemühen, eine Sache möglichst gut zu machen. Diese Bedeutung sei von den Terroristen gestohlen worden. Al Qasbi zählt zur liberalen Elite Saudi-Arabiens. Humor sei die beste Waffe gegen Ignoranz und Rückständigkeit, findet er. Doch manchen geht der Spaß zu weit, auch in westlichen Medien. Satirische Spitzen gegen den Terror des Islamischen Staates – darf man das?", fragten renommierte Medien wie der Fernsehsender CNN. Für Loay Mudhoon von der Deutschen Welle ist die Antwort klar: Man darf nicht nur, man muss sogar.
    "Diese Debatte und vor allem die große Solidarität mit dem Hauptdarsteller sind irgendwie symptomatisch für die Veränderungen in der saudischen Gesellschaft, wo zunehmend Künstler, Kulturschaffende und Filmemacher sich gegen Fanatismus und Brutalität im Namen der Religion wehren."
    Es sei höchste Zeit für die saudische Gesellschaft, sich mit diesen Themen aktiv auseinanderzusetzen, sagt Loay Mudhoon. Denn die Ideologie des islamischen Staates sei nicht weit weg vom in Saudi-Arabien herrschenden Wahhabismus und der Islamische Staat drohe mittlerweile offen damit, Saudi-Arabien ins Chaos zu stürzen.