Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Saudi-Arabien
Dem Henker entkommen?

Salman al-Auda hat über 13 Millionen Twitter-Abonnenten, ist beim saudischen Königshaus allerdings in Ungnade gefallen. Nun sollten er und weitere reformorientierte Islamgelehrte hingerichtet werden, doch große internationale Unterstützung hat ihnen offenbar das Leben gerettet. Vorerst.

Von Christian Röther | 27.06.2019
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Seit fast zwei Jahren nicht mehr aktualisiert: das Twitter-Profil von Salman al-Auda mit 13,4 Millionen Followern (Deutschlandfunk / Christian Röther)
"Salam aleikum, eid mubarak" - eine Aufnahme aus besseren Zeiten. Salman al-Auda ist nicht nur ein einflussreicher Islamgelehrter. Er kann auch mit sozialen Medien umgehen, veröffentlicht Selfie-Videos bei Youtube.
Bei Twitter hat er über 13 Millionen Abonnenten – obwohl seine letzte Nachricht dort schon fast zwei Jahre alt ist. Seitdem ist Salman al-Auda in Saudi-Arabien inhaftiert. Der Grund: Er hatte das saudische Königshaus kritisiert für dessen Boykott-Politik gegenüber dem Nachbarstaat Katar:
"Er hat seine Solidarität gewissermaßen mit Katar bekundet - in sehr vorsichtiger Form, muss man sagen - und hat seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Saudi-Arabien und Katar wieder zusammenfinden mögen", sagt Patrick Franke, Professor für Islamwissenschaft in Bamberg:
"Und das wurde ihm von der saudischen Führung im Grunde genommen schon als eine Art Illoyalität ausgelegt. Und er wurde wenige Tage später dann verhaftet."
"Einer der einflussreichsten Gelehrten der islamischen Welt"
Der Vorwurf: Salman al-Auda unterstütze Terrorismus. Ihm droht deshalb die Todesstrafe. Dabei liegt al-Audas Zeit als offensiver Kritiker des saudischen Königshauses eigentlich schon lange zurück: In den 90ern prägte er die Sahwa-Bewegung mit. "Sahwa", das heißt auf Deutsch "Erwachen". Die Bewegung steht der Muslimbruderschaft nahe, inhaltlich und personell. Das sieht das saudische Königshaus gar nicht gerne.
Al-Auda vertrat damals radikale islamistische Positionen und kritisierte das Königshaus unter anderem für dessen Rolle im Golfkrieg. Für diese Kritik landete er im Gefängnis.
"Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis 1999 hat sich Salman al-Auda gemäßigt, und er ist in den folgenden Jahren mit dieser sehr eigentümlichen Mischung aus Gedankengut der Muslimbruderschaft und der saudi-arabischen Wahhabia zu einem der einflussreichsten Gelehrten Saudi-Arabiens und der gesamten islamischen Welt geworden", so der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
"Aus meiner Sicht ist es vor allem diese Kombination, die Salman al-Auda so bedrohlich macht für den saudi-arabischen Staat. Er ist nämlich einerseits ein Muslimbruder, aber er ist andererseits jemand, der die Muslimbruderschaft in eine ganz neue Ära führen will. Also in eine Ära der islamisch-konservativen Mäßigung der Muslimbruderschaft."
Kein typischer Muslimbruder
Und das bedeutet ernstzunehmende Konkurrenz für Saudi-Arabien, das seinen eigenen innerislamischen Einfluss sichern will – vor allem gegenüber der Muslimbruderschaft. Dabei ist Salman al-Auda kein "typischer Muslimbruder", wie Patrick Franke erklärt:
"Er hat dazu aufgerufen, eine Kultur der Vielfalt zuzulassen innerhalb des Islams. Er hat auch zur Versöhnung mit Nicht-Muslimen aufgerufen - in der Weise, dass er gesagt hat: Wir müssen es schaffen, eine friedliche Koexistenz mit dem Westen zu finden. Und in diesem Rahmen hat er sich auch sehr stark gegen Anwendung von Gewalt durch Muslime ausgesprochen."
Patrick Franke
Patrick Franke, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Bamberg (Privat)
Al-Auda zählt damit zu einer reformorientierten Strömung innerhalb der Muslimbruderschaft, die sich auch offen zeigt für demokratische Ideen, so Franke:
"Das ist so eine Art Sublimierung des politischen Islams in ethische Gefilde, würde ich sagen, was da stattfindet. Und an diesem Prozess hatte er sehr großen Anteil."
"Müssen uns um Audas Leben Sorgen machen"
Mittlerweile ist Salman al-Auda zwar schon über 60 Jahre alt, mit solchen Botschaften erreicht er aber besonders junge Menschen.
Franke: "Er hat einen gewissen Appeal gehabt für die muslimische Jugend, weil er so ganz andere Themen angesprochen hat. Also sehr sehr ethisch: Wie kann man eine Gesellschaft auf Beziehungen von Freundlichkeit bauen, auf Versöhnung."
Dass das bei der Jugend so gut ankommt, kommt beim saudischen Königshaus gar nicht gut an, sind sich Patrick Franke und Gudio Steinberg einig:
Franke: "In der jetzigen politischen Situation, unter der jetzigen saudischen Führung mit dem Kronprinzen Muhammad bin Salman, der sich selbst als der große Reformer sieht, sieht man solche Gelehrte wie Salman al-Auda insofern als gefährlich an, weil sie eventuell zu viel Sympathie auf sich ziehen und dann eventuell auch Kritik äußern können, die dem Regime gefährlich werden kann."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Guido Steinberg, Islamwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (dpa, Karlheinz Schindler)
Steinberg: "Salman al-Auda ist vor allem deshalb eine Gefahr, weil er den Islamismus der Muslimbruderschaft, den Salafismus der saudi-arabischen Wahhabiten in einer gemäßigten Form aufgearbeitet hat, die das Regime offenbar als existentielle Bedrohung sieht. Deshalb müssen wir uns auch um Auda, um sein Überleben Sorgen machen."
Saudi-Arabien bekämpft die Muslimbrüder
Al-Auda ist also wohl auch deshalb im Gefängnis, weil er dem Königshaus zu einflussreich wurde – zumal sich der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und der Muslimbruderschaft in den vergangenen Jahren wieder verschärft hat, erklärt Guido Steinberg:
"Meines Erachtens ist seine neuerliche Inhaftierung im Jahr 2017 ein Indiz dafür, dass Saudi-Arabien sich entschlossen hat, die Muslimbruderschaft in der arabischen Welt und darüber hinaus massiv zu bekämpfen. Wenn man dieser Ansicht ist, dass die Muslimbruderschaft eine extremistische, wie die Saudis sagen sogar terroristische Organisation ist, dann ist es durchaus folgerichtig, Salman al-Auda zu verhaften, ganz einfach deshalb, weil er über so großen Einfluss verfügte, und weil er immer noch jung genug war, um eines Tages so eine Art geistige Führungsposition für die Muslimbruderschaft in der gesamten arabischen Welt und vielleicht sogar darüber hinaus zu übernehmen."
Ende Mai hieß es, al-Auda und zwei weitere Gelehrte sollen nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan hingerichtet werden. Seitdem sind nun allerdings schon drei Wochen vergangen, und al-Auda lebt offenbar noch. Ein Grund dafür könnte die große internationale Unterstützung für al-Auda sein. Viele namhafte Islamgelehrte haben sich für ihn eingesetzt – oft stehen auch sie der Muslimbruderschaft nahe. Und auch die Türkei sprach sich gegen die Hinrichtung aus.
"Seine Hinrichtung würde auf Widerstand stoßen"
Ist Salman al-Auda also gerettet? Schwer zu sagen, weil es kaum gesicherte Informationen dazu aus Saudi-Arabien gibt.
"Das, was ich gehört habe, ist, dass er weiter inhaftiert ist, dass es ein Strafgerichtsverfahren gegen ihn gibt. Davon dringt nichts nach außen. Es wird gemunkelt, dass König Salman ihn begnadigen wolle. Das ist aber noch überhaupt nicht sicher. Das Verfahren läuft noch an, und es ist noch völlig unklar, wie das ausgehen wird", so Patrick Franke, Professor für Islamwissenschaft in Bamberg.
Ähnlich vage stellt sich die Situation auch dar für Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
"Es ist sehr schwer abzuschätzen, ob Salman al-Auda wirklich die Hinrichtung droht. Es gibt ein Muster in den saudi-arabischen Exekutionen der letzten Monate: Es sind vor allem islamistische Terroristen, es sind angebliche iranische Spione und es sind Beteiligte an den großen Protesten in der Ostprovinz in den Jahren 2011 und 2012, die gnadenlos getötet werden. Salman al-Auda ist sehr viel populärer. Sein Tod, seine Hinrichtung würde sicherlich international, in der islamischen Welt vor allem, auf großen Widerstand stoßen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das die saudische Regierung - so, wie sie im Moment gestrickt ist - davon abhält, ihn zu töten."