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Saudi-Arabien
Ein Kino im "Königreich der Langeweile"

In Saudi-Arabien eröffnet nach 35 Jahren Verbot das erste Kino. Ob sich das ultra-konservative muslimische Land damit aber wirklich kulturell öffnet, ist fraglich. "Ziel ist vor allem, sich wirtschaftlich neu aufzustellen", erklärte Kulturjournalistin Cornelia Wegerhoff im Dlf.

Cornelia Wegerhoff im Corsogespräch mit Juliane Reil | 18.04.2018
    Der saudische Kronprinz Salman bei einem internationalen Treffen in New York im März 2018.
    Unter Kronprinz Mohammed bin Salman erlebt Saudi-Arabien kulturelle Veränderungen (imago)
    Juliane Reil: Jede Art von Vergnügen lenkt vom Glauben ab. Das ist - in groben Zügen - das Dogma der Geistlichen im streng muslimischen Königreich Saudi-Arabien. Der 32-jährige Kronprinz Mohammed bin Salman denkt da aber anscheinend anders. Er will das Land liberalisieren. In der Hauptstadt Riad eröffnet heute das erste Kino des Landes seit den 80er-Jahren. Cornelia Wegerhoff ist Kulturkorrespondentin für den Nahen Osten. Frau Wegerhoff, welcher Film wird denn heute zur Premiere gezeigt?
    Cornelia Wegerhoff: Ja, daraus machen die Veranstalter bis jetzt noch ein großes Geheimnis, überhaupt um dieses ganze Event heute in Riad. Bisher ist nicht mal offiziell bekannt, um wie viel Uhr der Film läuft. Ist aber nicht schlimm, weil ich sag mal: Ahmed oder Khaled Normalverbraucher mit seiner Familie kommen gar nicht in den Saal. Die heutige Vorführung - und auch weitere, die diesen Monat noch folgen sollen, sind nur für Gäste mit persönlicher Einladung bestimmt, sagt AMC. Das ist die US-amerikanische Kinokette American Multi Cinemas, die dieses neue Kino in Riad betreibt und noch Dutzende weitere Kinos in den kommenden Jahren sollen da eröffnet werden.
    Reil: Kommt denn der Kronprinz selbst?
    Wegerhoff: Auch wer auf der Gästeliste steht, ist unklar. Kann durchaus sein, weiß man aber nicht. Es soll eine große Gala geben, das ist zumindest durchgesickert. Und Gerüchten zufolge soll der Hollywood-Blockbuster "Black Panther" gezeigt werden. Der läuft bei uns ja schon länger. Ein Science-Fiction-Actionfilm mit politischer Botschaft, wurde als "Fanal der Hoffnung für Afrika" bezeichnet. Und wer auf Saudi-Arabien blickt in den letzten Monaten, der muss sagen, da gibt es auch viele Hoffnungen jetzt auf eine Wende.
    "Es geht da auch um Wirtschaft"
    Reil: Aber eine interessante Wahl. Ist es denn Liberalisierung, würden Sie sagen? Oder steckt hinter dieser Kinoeröffnung eigentlich mehr wirtschaftliches Interesse?
    Wegerhoff: Genau diese beiden Dinge darf man nicht verwechseln! Wir haben ja auch die Aufhebung des Frauenfahrverbotes im Laufe dieses Jahres: Toll für die Frauen, die da jahrelang für gekämpft haben, aber das Vormund-System gibt es zum Beispiel immer noch. Wenn eine saudi-arabische Frau zum Arzt will, muss sie erst mal ihre männlichen Vormund um Erlaubnis bitten. Also das ist auch nur ein wirklich winziger Schritt zur weiblichen Befreiung. Und genau so ist es auch hier. Das Ganze beruht auf der "Vision 2030" von diesem Kronprinzen Mohammed bin Salman, 32 Jahre alt - der wirklich starke Mann in Saudi-Arabien, muss man sagen, hinter seinem Vater König Salman, 82 Jahre alt. Der fällt auf durch sehr aggressive Außenpolitik, die Eskalation des Jemen-Krieges mit mehr als 10.000 Toten ist auf ihn zurückzuführen.
    Aber gleichzeitig gilt er auch als "Prince Charming": Der hat diese strengen Bekleidungsvorschriften für Frauen infrage gestellt, hat erste Musikkonzerte erlaubt. Und eben diesen Kinostart.
    Ziel ist aber vor allem, wirtschaftlich sich neu aufzustellen: Die Öl-Einnahmen, da möchte man weniger abhängig sein, neue Wirtschaftszweige aufbauen. Und die Ausgaben der saudischen Haushalte für kulturelle und Vergnügungsaktivitäten sollen bis 2030 auf sechs Prozent verdoppelt werden. Und das würde 30.000 neue Jobs bringen. Also es geht da wirklich auch um Wirtschaft.
    Reil: Und wie viel neue Kinos sind da dann überhaupt geplant?
    Wegerhoff: Eine ganze Menge! Das Kulturministerium in Riad geht davon aus, dass bis 2030 mehr als 300 Kinos mit 2000 Leinwänden eröffnet werden sollen. Man muss sagen, da verdient Saudi-Arabien natürlich tüchtig mit. Denn eins muss man sagen: Ich glaube, die meisten saudi-arabischen Kinofans haben den "Black Panther"-Film schon gesehen. Die fahren nämlich einfach in die umliegenden Nachbarstaaten, in die Emirate, um Filme zu gucken. Und das Geld – das sollen Hunderte Millionen Dollar sein – möchte man lieber selber einnehmen.
    "Das Königreich der Langeweile"
    Reil: Was würden Sie sagen? Ist die Filmszene selbst auch relativ lebendig dort?
    Wegerhoff: Absolut. Und das wissen die meisten Leute nicht. Das ist noch eine sehr junge Szene dort, aber einer der wichtigsten Namen ist weiblich. Das ist die Regisseurin Haifaa al Mansour. Sie hat die deutsch-saudische Koproduktion "Das Mädchen Wadjda" gedreht über ein trotziges Mädchen, das sich den gängigen weiblichen Rollenvorstellungen da gar nicht anpassen will, sondern auf der Straße Fahrrad fahren. 2012 ist das herausgekommen. Das war damals bei den Filmfestspielen in Venedig eine absolute Sensation, denn es war der erste komplett in Saudi-Arabien gedrehte Kinofilm. Aber an den Drehorten war es tatsächlich so, dass Haifaa Al Mansour allen Ernstes ihre Anweisungen aus einem Kleinbus, aus einem Van heraus, per Walkie-Talkie geben musste. Also die konnte nicht auf der Straße stehen und da die Kameraleute herumkommandieren, das macht keine Frau in Saudi-Arabien. Die saß dann im Büschen. Und Haifaa al Mansour hat sich jetzt auch geäußert zum Kinostart in Saudi-Arabien:
    "Das Land wurde gern als das Königreich der Langeweile bezeichnet, denn es gibt wirklich nichts zu tun in Saudi-Arabien. Es ist schön, dass man jetzt Filme schauen kann. Und es sehr wichtig, von militanten Ideen abzulenken und dieser konservativen Literatur, die sehr dominant in dieser Gesellschaft sind. Es ist wichtig, dass die junge Generation das Gefühl bekommt, mehr Teil der Welt zu sein und nicht dagegen. Dieser Kinostart ist toll und ich blicke wirklich sehr gespannt auf Saudi-Arabiens Zukunft."
    Und daran wird sie auch mitwirken. Sie wurde nämlich vor elf Tagen vom saudi-arabischen Kulturminister in ein neues Gremium einberufen, das die kulturellen Aktivitäten des Landes fördern soll.
    Reil: Wird es denn Zensur bei den Kinoprogrammen geben, wie schätzen Sie das ein?
    Wegerhoff: Das wird sich zeigen müssen. Es gab viele Sprüche schon von den saudi-arabischen jungen Leuten, die gesagt haben: "Fifty Shades of Grey" wird es ja bei uns nicht geben – vielleicht "Fifty Days of Pray" stattdessen. Und Haifaa al Mansour, die saudi-arabische Regisseurin, die ist natürlich auch gefragt worden, wie sieht es mit der Zensur aus in den neuen Kinos:
    "Natürlich wird es Zensur geben. Wir sind sehr konservativ. Das wird so ähnlich sein wie in den Nachbarländern, etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ich halte es für wichtig, die Leute am Anfang nicht zu schockieren, sondern ihnen Filme zu geben, die unterhalten, die Spaß machen, die ihre Werte nicht infrage stellen. Es ist sehr wichtig, dieses Medium erst mal aufzunehmen.
    "Ohne die Befreiung von Raif Badawi sind solche Reformen nicht glaubwürdig"
    Reil: In Riad gibt es heute also eine große Gala zum ersten öffentlichen Kino-Abend nach 35 Jahren. Aber was ist denn eigentlich mit den Künstlern, die in Saudi-Arabien im Gefängnis sitzen? Gibt es für die Hoffnung?
    Wegerhoff: Also, da tut sich leider bisher ziemlich wenig. Gestern jährte sich zum Beispiel zum sechsten Mal die Inhaftierung von Raif Badawi – das ist dieser junge saudische Blogger. Der hat die Religionspolizei kritisiert und zu zehn Jahren Haft ist der verurteilt worden und zu 1.000 Peitschenhieben. Die ersten 50 gab es 2015, da war schwer verletzt. Der ist immer noch in Haft. Und ich habe die Sprecherin Raif Badawis in Europa nach ihrer Meinung gefragt zu diesem Kinostart, Elham Manea:
    "Ich begrüße diese kulturelle Öffnung, besonders weil die saudische Bevölkerung unter der fundamentalistischen Lesart des Islam sehr gelitten hat."
    Aber Elham Manea warnt: Völlig vorbehaltlos kann man jetzt nicht von einer neuen Kulturfreiheit in Saudi-Arabien sprechen. Sie erinnert daran, dass er nur deshalb im Gefängnis sitzt, nur deshalb öffentlich ausgepeitscht wurde, weil er Blogs geschrieben hat, die mehr Freiheit gefordert haben:
    "Er hat das Verbot von Kinos und Konzerten sehr stark kritisiert. Er hat auch verlangt, dass das religiöse Establishment aufhört, die Gesellschaft zu kontrollieren. Deswegen, und mit allem Respekt, sehe ich die jetzigen Reformen in Saudi-Arabien nicht wirklich vollständig. Ich bin der Meinung, ohne die Befreiung von Raif Badawi und anderen politischen Gefangenen sind solche Reformen nicht glaubwürdig."
    Also, heute Abend heißt es vielleicht "Leinwand frei" in Riad, aber nicht Freiheit für alle Kulturschaffenden in Saudi-Arabien.
    Reil: Meint die Kulturjournalistin Cornelia Wegerhoff. Danke Ihnen für diese Einschätzung.
    Wegerhoff: Gern.