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Saudische Frauenrechtlerin Manal al-Sharif
Stimme einer verdeckten weiblichen Revolution

Seit Jahren kämpft sie maßgeblich für Veränderungen für Frauen in Saudi-Arabien. In ihrem neuen Buch gibt sie einen tiefen Einblick in die Mechanismen einer ultra-patriarchalischen Gesellschaft. Während ihrer Lesereise durch Europa vermeidet Al-Sharif allerdings allzu konkrete Kritik an den saudischen Machthabern.

Von Cornelius Wüllenkemper | 03.10.2017
    Die saudische Frauenrechtlerin Manal al-Sharif
    "Der Regen beginnt mit einem Tropfen": Mit dieser Erkenntnis schließt Manal al-Sharif ihren Bericht über den mutigen Kampf für ihre persönliche Freiheit. (picture alliance / dpa / Filip Singer)
    "Der saudische Buchmarkt ist der größte im gesamten arabischen Sprachraum. Aber für mein Manuskript habe ich keinen Verleger gefunden, sondern musste es zunächst auf Englisch in den USA veröffentlichen. Die saudischen Verleger haben Angst, die staatliche Zulassung zu verlieren. Und genau diese Drohung funktioniert eigentlich immer."
    Natürlich gebe es immer Wege, das arabische Original-Manuskript ins Land zu bringen, betont Manal al-Sharif. Al-Sharif möchte ausdrücklich nicht als Aktivistin bezeichnet werden, denn ihre Reaktion auf den saudischen Unterdrückungsapparat hält sie für eine Selbstverständlichkeit. Die 38-jährige IT-Expertin, die als erste Frau Sicherheitsverantwortliche im staatlichen Öl-Konzern Aramco war, gibt einen tiefen Einblick in die Mechanismen einer ultra-patriarchalischen Gesellschaft. Frauen stehen grundsätzlich unter männlicher Vormundschaft, ihre Bewegungsräume, ihr Erscheinungsbild und auch jeglicher Außenkontakt sind strengstens reglementiert. Für ihren eigenen Weg von einer streng salafistischen Muslima zu einer Frau, die ihre Menschenrechte einfordert, habe unter anderem die Entdeckung ihrer Kreativität als Autorin, Zeichnerin und Fotografin eine wichtige Rolle gespielt, so Manal al-Sharif.
    "Künstler erhalten in Saudi-Arabien keinerlei Unterstützung, es gibt weder Museen noch Galerien, und wenn, dann nur unter strenger staatlicher Kontrolle. Mittlerweile existieren aber alternative Räume für Künstler, in denen man sich treffen und entfalten kann, eine Art Untergrund-Bewegung. Leider darf ich nicht mehr dazu sagen. Jedenfalls gibt es diese Bewegung. Viele meiner Freunde sind Künstler, Schauspieler, Sänger, Fotografen, Maler. Es ist wunderbar, wie man mit Kunst gegen eine Diktatur vorgehen kann. Denn in der Kunst geht es um die Befreiung von Kopf und Seele. Und genau das führt zur Befreiung unseres Landes."
    Kritik an großen deutschen Automobilhersteller
    Während ihrer Lesereise durch Europa vermeidet Manal al-Sharif allzu konkrete Kritik an den saudischen Machthabern, äußert sich grundsätzlich nicht zu Fragen über ihre religiöse Einstellung. Es geht um den Schutz ihrer Familie. Das Manuskript ihres Buches "Losfahren" basiert auf Briefen an ihren Sohn in Saudi-Arabien, der wegen seiner Mutter angefeindet und misshandelt wurde. Spätestens seit der überraschenden Ankündigung des saudischen Königshauses, das Fahrverbot für Frauen aufzuheben, gilt Manal al-Sharif als wichtigste Frauenrechtlerin des arabischen Raums. Dennoch trifft sie auch in Deutschland auf Grenzen der Freiheit.
    "Das Kundenmagazin eines großen deutschen Automobilherstellers wollte ein umfangreiches Porträt über mich veröffentlichen. Plötzlich wurde der Plan vom Management aber völlig unvermittelt verworfen, denn der Konzern hat sehr wichtige Kunden ich Saudi-Arabien. Hier wird die Meinungsfreiheit von wirtschaftlichen Interessen überlagert. Dieser Konzern wollte seine Marktanteile nicht dadurch verlieren, dass er mit meinem Namen seinem Ruf in Saudi-Arabien schadet. Dieses Risiko gehen sie nicht ein. Menschenrechte sind nicht mehr als eine Feder, mit der man sich schmückt, wenn es gerade passt. Die großen westlichen Firmen sind auf die Unterstützung der saudi-arabischen Regierung angewiesen. Es geht um Geld, nicht um Frauenrechte."
    Die Revolution hat längst begonnen
    Saudi-Arabien, so wird vermutet, übt Druck auf wichtige Handelspartner aus, um die augenfälligen Krisensymptome der Monarchie zu kaschieren. Unlängst schränkte das Königshaus bereits die Rechte der gefürchteten Religionspolizei ein und verfügte eine Lockerung des Vormundschaftsrechts. "Der Regen beginnt mit einem Tropfen", mit dieser Erkenntnis schließt Manal al-Sharif ihren ebenso verstörenden wie hoffnungsvollen Bericht über den mutigen Kampf für ihre persönliche Freiheit, für die Rechte der saudischen Frauen und für die Zukunft ihres Landes. Manal al-Sharif ist die Stimme einer verdeckten weiblichen Revolution, die längst begonnen hat.