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Saudische Ramadan-Serie "Um Haroun"
Frieden durchs Fernsehen?

Der Ramadan ist in der arabischen Welt die Zeit der TV-Serien. Dutzende Serien werden extra dafür produziert. Eine sorgt aktuell für besonderes Aufsehen: "Um Haroun" im saudischen Sender MBC. Das Außergewöhnliche: Die Heldin ist eine Jüdin. Ein Zeichen interreligiöser Entspannung?

Von Christian Röther | 13.05.2020
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Die kuwaitische Schauspielerin Hayat El Fahed als Um Haroun in der gleichnamigen Fernsehserie (MBC)
Um Haroun ist eine gutmütige ältere Frau mit langen grauen Haaren. Sie ist Krankenschwester und lebt irgendwo auf der arabischen Halbinsel, in den 1940er-Jahren. Um Haroun – auf deutsch: Mutter Aarons - sie ist zwar nur eine fiktive Figur aus einer gleichnamigen Fernsehserie, doch sie sorgt für ordentlich Gesprächsstoff: Nicht nur arabische Medien berichten, sondern auch die israelische Haaretz oder die New York Times. Denn die arabische Serien-Heldin Um Haroun ist Jüdin.
"Die Serie ist ungeheuer interessant. Aus meiner Sicht vor allem deshalb, weil sie doch zeigt, wie sehr zumindest ein Teil der Bevölkerung in den Golfstaaten sich auf die eigene Geschichte zurückbesinnt", meint der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
"Diese Serie 'Um Haroun' passt nun genau in diese Entwicklung hinein, dass da die Bevölkerung der Golfstaaten sich erstmals nach 70 Jahren wieder bewusst wird, dass die Geschichte des Golfs eben nicht religiös und kulturell so homogen ist, wie das heute häufig scheint. Sondern dass es dort eine Menge Juden gegeben hat, die dann mit der Gründung des Staates Israel 1948 doch recht schnell verschwunden sind. Also insgesamt hatte ich da einen sehr positiven Eindruck."
Guido Steinberg
Für Guido Steinberg ist klar, dass das saudische Königshaus mit der Serie ein Zeichen setzen will (dpa, Karlheinz Schindler)
"Es muss ein politisches Okay gegeben haben"
Die Serie zeigt ein arabisches Dorf, in dem Juden, Muslime und auch Christen leben, zunächst in guter Nachbarschaft. "Um Haroun" läuft bei MBC, dem größten Privatsender Saudi-Arabiens. Er wird von der saudischen Königsfamilie kontrolliert. Vor einigen Jahren wäre eine solche Serie mit positiven jüdischen Charakteren noch undenkbar gewesen in Saudi-Arabien, meint Guido Steinberg:
"Es ist aus meiner Sicht vollkommen klar, dass es hier ein politisches Okay gegeben haben muss. Dass diese Serie gerade jetzt, dieses Jahr im saudi-arabischen Fernsehen kommt, ist auf keinen Fall ein Zufall."
Seit drei Jahren hat der Kronprinz Muhammad bin Salman im Königreich Saudi-Arabien das Sagen. Politisch verfolgt er eine Doppelstrategie, erläutert Nahost-Experte Steinberg. Innenpolitisch wird der Staat autoritärer, Abweichler werden verfolgt:
"Gleichzeitig ist das Königreich aber religiös etwas liberaler geworden. Es geht dem Kronprinzen nicht so sehr darum, ob jemand Sunnit, Schiit, Christ oder Jude ist. Und zweitens sehen wir, dass Muhammad bin Salman auf eine außenpolitische Annäherung an Israel setzt. Aus seiner Sicht, und aus Sicht der gesamten saudi-arabischen politischen Elite, ist Iran der Hauptfeind. Und wenn man den bekämpfen will, dann braucht man die Unterstützung Israels. Das ist der politische Hintergrund für diese Serie."
Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman bei einem Gipfeltreffen in Jeddah am 18. September 2019.
Der saudische Kronprinz Muhammad Bin Salman setzt auf politische Annäherung an Israel (AFP / MANDEL NGAN)
Politischer Einfluss durch Ramadan-Serien
Die Fernsehserie soll also offenbar die politische Strategie der Saudis unterstützen. Dieses Rezept stamme aus der Türkei, erklärt Steinberg. Vor allem in den Nuller-Jahren habe die Türkei viele Ramadan-Serien produziert und in die arabische Welt exportiert.
Denn im Ramadan sitzen viele muslimische Familien besonders häufig vor dem Fernseher, beim gemeinsamen Fastenbrechen. Mit den Serien habe die Türkei ihr eigenes Image aufpoliert und zugleich ihr modern-konservatives Islamverständnis verbreitet. Ein Erfolgsrezept, das jetzt am Golf kopiert werde, so Steinberg:
"Es ist seitdem ganz ganz klar, dass Staaten versuchen, über die Kontrolle solcher Ramadan-Serien einmal das eigene Bild zu prägen, aber auch Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen."
"Diriliş Ertuğrul" - Verschwörung in Serie
Die türkische Erfolgsserie "Diriliş Ertuğrul" erzählt vom Aufstieg des Helden Ertuğrul. Dessen Sohn gründete später das Osmanische Reich. Bezüge zum derzeitigen Staatspräsidenten sind unübersehbar. Und der ist begeistert von den Inhalten.
Soll das Fernsehen also Frieden schaffen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn? Das vermuten auch andere.
"Grundlage für bessere Beziehungen zu Israel"
Kritik daran kommt vor allem von palästinensischer Seite. Ein Sprecher der Hamas bezeichnete die Serie "Um Haroun" als "kulturelle Aggression" und als "Gehirnwäsche".
"Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber hier wird doch versucht, die kulturelle Grundlage zu schaffen für bessere Beziehungen zum Staat Israel", so der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
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Können sie etwas zum Frieden im Nahen Osten beitragen? Hayat El Fahed und Alaa Al Hendi in "Um Haroun" (MBC)
Der Sender MBC weist Kritik zurück. In der Serie gehe es ja nicht um das heutige Israel, sondern um die gemeinsame Geschichte von Judentum, Christentum und Islam am Golf. Und der Hauptautor der Serie, Ali Shams, sagt, er habe ein Drama schreiben wollen, das zeige, dass die Gesellschaften am Golf mal viel toleranter waren, als sie es heute sind. Diese Werte wünsche er sich zurück, so Shams.
"Konflikt der Vergangenheit"
Auch Guido Steinberg beobachtet, dass viele Menschen am Golf den Konflikt Israel-Palästina überwinden wollten:
"Viele Golfaraber zeigen sich doch sehr genervt, dass die Palästinenser in den Konflikten der Vergangenheit verharren, und nicht wie sie – das ist zumindest das Bild am Golf – in die Zukunft denken. Der palästinensisch-israelische Konflikt gilt am Golf als Konflikt der Vergangenheit."
So könnte Um Haroun, die herzliche jüdische Krankenschwester, vielleicht tatsächlich ein Stück weit dazu beitragen, dass sich die politischen und religiösen Konflikte in Nahen Osten ein wenig entspannen.