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Sauer macht orientierungslos

Umwelt. - Das Treibhausgas Kohlendioxid lässt nicht nur die Temperaturen steigen, sondern macht auch die Meere saurer. CO2 löst sich im Wasser und bildet dort Kohlensäure, die Kalkschalen und Skelette aus Kalk angreift. Doch nicht nur Muscheln, Korallen und Co. geraten in Stress, wenn der pH-Wert sinkt. Auch Fische könnten ernsthaft in Schwierigkeiten geraten.

Von Christine Westerhaus | 30.08.2013
    In 100 Jahren könnte das Wasser doppelt so sauer sein, wie heute. Wie wird es den Meeresbewohnern dann gehen? Phil Munday hat sich in seiner australischen Heimat Korallenfische angesehen. Der Biologe von James Cook Universität verfrachtete Jungfische in ein Säuremilieu, wie Forscher es für das Jahr 2100 voraussagen. Körperliche Schäden hat er nicht beobachtet. Doch er machte eine andere interessante Entdeckung.

    "Es war sehr überraschend zu sehen, dass sich das Verhalten der Fische unter hoch CO2 dramatisch änderte. Der erhöhte Kohlendioxid-Gehalt wirkte sich offenbar auf ihren Geruchssinn aus. Sie konnten nicht mehr zwischen verschiedenen Gerüchen unterscheiden. Wir haben sogar gesehen, dass sie plötzlich vom Geruch ihres Feindes angelockt wurden, obwohl sie normalerweise davor fliehen würden. Offensichtlich ändert sich das Verhalten also recht dramatisch - was wahrscheinlich nicht besonders gut für ihr Überleben ist."

    Das saurere Wasser wirkte nicht nur auf den Geruchssinn der Tiere. Es machte sie auch orientierungslos.

    "Sie reagierten auf andere Geräusche und waren nicht mehr in der Lage, zu lernen. Sie konnten auch keine Feinde erkennen und vor ihnen fliehen. Und: sie zeigten auch keine Vorliebe mehr für die linke oder rechte Seite. Fische machen das genauso, wie wir Menschen. Sie sind links- oder rechtsflossig. Aber wenn sie unter hohen Kohlendioxidwerten aufwachsen, verlieren sie diese Präferenz."

    Dass kalkbildende Meeresbewohner in Stress geraten, wenn das Wasser saurer wird, ist längst bekannt. So sagen manche Forscher beispielsweise voraus, dass die aus Kalk gebildeten Korallenriffe in 90 Jahren verschwunden sein werden. Immer deutlicher zeichnet sich jedoch ab, dass die Ozeanversauerung auch Fische und andere Meeresbewohner in Schwierigkeiten bringen wird. Sam Dupont hat sich ein paar von ihnen genauer angesehen. Im Labor des Sven Lovén Zentrums für Marine Forschung im schwedischen Kristineberg hält der Forscher Seeigel, Seesterne und anderes Meeresgetier in schreibtischgroßen Aquarien. Dupont deutet auf eines der Becken. Ein faustgroßer Schlangenstern hat hier seine fünf langen Arme ausgebreitet.

    "Wenn ihr mal einen der großen Verlierer im Ozean der Zukunft sehen wollt: Dieser Schlangenstern ist ein Cousin der Seesterne und eine wichtige Art im Ökosystem. Wir haben seine Eier und Spermien in saureres Meerwasser mit einem pH-Wert verfrachtet, wie er voraussichtlich in 40 Jahren herrschen wird. Die sich daraus entwickelnden Larven starben alle innerhalb von fünf Tagen! Sie kommen also überhaupt nicht mit den saureren Bedingungen zurecht. Sollte diese Art aussterben, wird sich das auf das gesamte Ökosystem auswirken – auf alle Spezies, die mit diesem Schlangenstern interagieren."

    Zum Beispiel auf Arten, die sich von dem Schlangenstern ernähren oder selbst von ihm gefressen werden. Eine der wichtigsten Aufgaben der Forscher sei deshalb, das zukünftige Miteinander der Arten unter sauren Bedingungen möglichst gut abschätzen zu können, meint Dupont.

    "Das wird eine der großen Herausforderungen sein: Jede Art reagiert anders auf die Ozeanversauerung und wir müssen verstehen lernen, warum manche empfindlich reagieren und andere nicht. Wenn die Leute mich fragen, wie der Ozean in Zukunft aussehen wird, sage ich ihnen: Ich habe keine Ahnung. Ich kann ihnen nur sagen, dass er anders sein wird."

    Hinweis: Am Sonntag, 1. September, 16:30 Uhr, sendet der Deutschlandfunk in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" das Feature Auflösungserscheinungen zum Thema.