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Savonlinna
Das größte Musikfestival Skandinaviens

Einmal im Jahr reisen Zehntausende in die finnische Festspielstadt Savonlinna. Dann finden dort die Opernfestspiele statt. Zunächst fürchteten sich die gerade mal 17.000 Einwohner der Provinzstadt vor einer 'Fremdeninvasion'. Heute sind die Besucher auch wirtschaftlich wichtig.

Von Hildburg Heider | 03.08.2014
    Die bekannteste Sehenswürdigkeit Savonlinnas: die Burg Olavinlinna. Hier finden die Opernfestspiele statt.
    Die bekannteste Sehenswürdigkeit Savonlinnas: die Burg Olavinlinna. Hier finden die Opernfestspiele statt. (picture alliance / dpa / Lehtikuva Jussi Nukar)
    Der Festspieltag beginnt für uns mit einem Bad im sonnenwarmen See. Beim Blaubeerfrühstück lassen wir uns auf dem Floß von den Wellen schaukeln. Bevor es zu heiß wird, noch schnell eine Runde mit dem Ruderboot, und - kein Anglerlatein! - gleich beim ersten Wurf zieht mein Begleiter einen hübschen Hecht aus dem Wasser.
    Fernab der Zivilisation unterwerfen wir uns keiner Kleiderordnung. Badeanzug und Krawatte bleiben im Koffer. Aber: Wer diese finnischen Ferienfreuden erleben will, muss sich mit der Tierwelt arrangieren: sich nicht ekeln vor Fledermauskötteln auf dem Stuhl oder Ameisenstraßen am Gaskocher. Tapfer sein bei Mückenattacken oder beim Anflug der dreieckigen Bremsen mit den grünen Glotzaugen.
    Eine Burg und Wasser
    Wir werfen uns in Schale und verlassen die Wildnis in Richtung Savonlinna. Über eine hohe Brücke erreichen wir die Inselstadt und sehen dort von Weitem ihr Wahrzeichen: die mittelalterliche Olafsburg - Olavinlinna - mit drei runden Türmen.
    Luise Liefländer lehrt an der Universität Ostfinnland Germanistik: "Ohne die drei Türme wäre ich nicht in Savonlinna."
    "Spätmittelalter hat mich immer sehr interessiert und ich hab mal in Turku gearbeitet, auch da war ne alte Burg, und ich hab gesagt, ich leb nur in ner Stadt, wo ne alte Burg ist! Und in Savonlinna ist eine."
    "Was für die Stadt prägend ist, ist das Wasser. Wir leben hier auf sieben Inseln, die miteinander verbunden sind. Und was für die Festspiele prägend ist, ist die Burg Olavinlinna, umgeben von Wasser."
    Ein Festspieltag und der Markt
    Das Morgenritual im Operncafè am Saimaa-See: Pünktlich um zehn, wenn der Ausflugsdampfer ablegt, erschallen an der Uferpromenade die Aidatrompeten. Auf einem kleinen Podium eröffnet Arno Cronvall den neuen Festspieltag. Musikalische Kostproben und Künstlergespräche wecken bei den Cafébesuchern Appetit auf das Musikerlebnis am Abend.
    "Savonlinna ist noch eine Kleinstadt, in der man sich sicher fühlen kann. Daher kommen auch Minister, Diplomaten oder andere Prominente gern hierher. Jeder kann unbehelligt einkaufen gehen und auf dem Markt einen Kaffee trinken."
    Am 29. Juli feiert Savonlinna Geburtstag: Vor 375 Jahren hat es das Stadtrecht erhalten. Auf dem Markt zeigen junge Leute, was sie in der Musikschule gelernt haben. Vor der improvisierten Bühne hocken die Marktbesucher auf Holzbänken, während andere ihren Einkäufen nachgehen: Zu Zeit ist Erdbeerschwemme, und die Sorte "Polka" duftet verführerisch. Es leuchten Pfifferlinge und Erbsenschoten neben Strickmützen und Holzlöffeln. Auf Kleiderständern leuchten knallbunte Blusen, und am Eisstand steht man an nach Salmiakeis und Mango-Melone.
    Nach einer feierlichen Begrüßung sagt Bürgermeister Janne Laine, welche große Ehre er empfindet, am Olafstag dabeizusein.
    "Ein schöner Tag zum Entspannen. Mit vielen Unterhaltungsangeboten: kulturellen Veranstaltungen in Museen und anderswo. Auch die Burg ist zur Besichtigung geöffnet."
    Die größte Burg Skandinaviens
    Wir spazieren vom Marktplatz die Promenade entlang zur Burg. Ein winziges Flugzeug wartet auf kühne Gäste, die sich das Wasserlabyrinth mit seinen unzähligen grünen Inselchen von oben anschauen wollen. Vorbei an Kinderspielplatz und Badesteg erreichen wir die hölzerne Ponton-Brücke über den Kyrönsalmi.
    "Während der Führung müssen wir über 300 Stufen hinauf und hinabklettern, und die sind unterschiedlich hoch und uneben, Vorsicht bitte und Vorsicht auch am Kopf!", sagt eine Touristen-Führerin.
    Vom äußeren Burghof lassen wir uns von der Fremdenführerin in den Festsaal lotsen. Im Mittelalter aßen hier die Soldaten, heute sind es die Touristen.
    "Im Mittelalter enthielten die Lebensmittel viel Salz. Um den Durst zu stillen bekamen die Leute wochentags fünf Liter Bier und sonntags noch mehr nämlich sieben Liter. Und durch diese Türöffnung kommt man zur Manege, dass heißt zum ehemaligen Übungsraum der Soldaten."
    Hier beginnt die Hauptwendeltreppe der Burg. Sie verläuft im Uhrzeigersinn. Wenn ein Verteidiger zurückweichen musste, konnte er mit der rechten Hand kämpfen und sich mit der linken Hand an das Holzgeländer in der Mitte stützen. Der Angreifer war gezwungen, mit der linken Hand zu kämpfen.
    "Dort hinten ist das älteste Plumpsklo von Finnland. Die Wasserspülung war sicher garantiert, unten fließt ja der Kyrönsalmi. Die verheirateten Frauen wohnten im Kirchturm im Frauengemach. Dieses Zimmer konnte von innen mit einem Holzriegel abgesperrt werden. Wahrscheinlich haben die Soldaten ab und zu hereinkommen wollen und deshalb aus Sicherheitsgründen wurde der Raum mit diesem Holzriegel versehen."
    Die ersten Balken dieser größten Burg Skandinaviens legte der schwedische Kommandant Erik Akselsson Tott im Jahr 1475. Er baute die Burg als Schutz gegen den Grenznachbarn Russland und weihte sie dem Wikingerkönig Olaf, der das Christentum nach Skandinavien brachte und später heiliggesprochen wurde. In der Zentralhalle der Burg steht seine überlebensgroße Statue. In Wirklichkeit war Olaf nur 1,40 m groß. Doch für den Wirtschaftswissenschaftler Heikki Leskinen ist Olaf ein starkes Symbol:
    "Er gibt mir Einblick in die Geschichte und macht mir Mut in der Gegenwart zu leben."
    Angst vor einer Fremdeninvasion
    Aus den Schießscharten der Festung bietet sich ein weiter Blick über den Saimaa-See. Hier verlief früher einmal die Grenze zu Russland. Nach Ansicht der Russen stand die Burg auf ihrem Territorium. So wurde sie zum Zankapfel zwischen Schweden-Finnland und dem russischen Nachbarn. Nachdem der russische Zar Finnland im Jahr 1809 geschluckt hatte, verlor sie ihre militärische Funktion. Bald jedoch entdeckten die ersten Reisenden ihre Reize. Und schließlich - seit 100 Jahren - ist Olavinlinna ein Traumziel für Opernliebhaber aus aller Welt:
    "Für sone kleine Stadt wie Savonlinna - wir haben so ungefähr 17.000 Einwohner nur - sind die Opernfestspiele ganz wichtig. Auch wirtschaftlich ganz wichtig. Denn es gibt doch tatsächlich einige Unternehmer, die in den wenigen Sommermonaten so viel einnehmen, dass sie damit das ganze Jahr über existieren können," sagt Luise Liefländer, Professorin für Germanistik an der Universität Ostfinnland.
    Anfangs standen die Einwohner der Provinzstadt den Festspielen ablehnend gegenüber. Sie fürchteten sich vor einer Fremdeninvasion.
    Mozarts Oper "die Zauberflöte" leitete die Wende ein: Der damalige künstlerische Leiter Martti Talvela engagierte den deutschen Regisseur August Everding, und der inszenierte 1973 den Erfolgsschlager der Festspiele. Aarno Cronvall, PR-Manager der Festspiele, kalauert: "Everding- Evergeen".
    Für Aarno Cronvall steht die Qualität im Vordergrund: Ihm ist es egal, ob in Savonlinna finnische oder ausländische Opern gegeben werden.
    "Natürlich sind Klassiker wie 'die Zauberflöte' oder 'Aida' weiterhin sehr wichtig, aber doch nicht jedes Jahr!"
    Ein anziehendes Kraftfeld
    Der Festspielabend beginnt. Die Besucher strömen zum Seeufer. Schnell noch ein Gläschen im "Linnankrouvi", dann geht es über eine schwenkbare Ponton-Brücke zum Granitfelsen, auf dem sich die imposante Burg Olavinlinna erhebt – ein Kraftfeld, das alle anzieht.
    Die Besucherschlange windet sich über Holzplanken, gewundene Gänge und steile Treppen bis in den inneren Burghof. Die groben Mauern dienen als natürliche Kulisse. Ohne distanzierenden Vorhang, aber unter einem raffinierten Regendach, nimmt das Publikum teil am musikalischen Drama.
    Laufenberg : "Dann ist man wirklich in einer mittelalterlichen völlig intakten Burg, wo ja nur durch das Dach ein Fremdmittel reingebaut worden ist. Und auch die Kulisse beschränkt sich ja größtenteils auf die Burg. Es ist ja nicht so, dass man Theater geboten kriegt, indem man da einen falschen Kulissenzauber hingestellt kriegt, sondern man macht Musiktheater in einem authentischen Ort."
    "In den drei Anfangsakkorden steckt die ganze Spannung, was nun passieren wird," sagt Okku Kamu wenige Minuten vor der Vorstellung von Mozarts Zauberflöte in dem fensterlosen Verlies, das als Dirigentenzimmer dient.
    Die Zauberflöte gehört zum eisernen Repertoire, als einzige ausländische Oper in finnischer Sprache.
    Die "böse" Königin
    Mit der Königin der Nacht hat ihre Karriere begonnen: Sie gewann damit einen Gesangswettbewerb und wurde sofort für die Opernfestspiele engagiert. Die 26-jährige Sopranistin Tuuli Takala steht nach ihrem Auftritt in Maske und Kostüm im Empfangssaal der Burg: glutvolle Augen unter Glitzerwimpern, die Silberkrone noch im schwarzen Haar. Sie liebt die Rolle der Königin, denn sie ist so ganz anders als die meisten sanften Sopranfiguren.
    "Die Königin ist richtig böse und egoistisch, und es hat mir Spaß gemacht, meine eigene dunkle Seite durch sie zu entdecken. Und dann auf der Bühne zu überzeugen."
    "Ich hab die Zauberflöte 1978 zum ersten Mal erlebt, und das ist eigentlich der Grund, warum ich ein Opernfan immer noch bin. Das ist die Schlussszene mit den Sternen in der Burg Olavinlinna, wo alles ganz hell ist und sehr schön beleuchtet, das hat einen Rieseneindruck damals gemacht."
    Gute Besucherzahlen
    Helena Kontiainen, Marketing-Chefin der Savonlinna-Festspiele freut sich, dass dieses Jahr schon über 70.000 Besucher gekommen sind. Diese Berliner sind zum ersten Mal hier.
    Frau: "Wir haben uns gefragt, ob das überhaupt geht, die Zauberflöte auf finnisch zu singen. Aber es hat uns sehr gut gefallen."
    Mann:"Es war sehr warm, und viele haben sich Luft zugefächert, und es ist sehr viel gestört worden in der Vorstellung. Die Leute haben was getrunken. Es war nicht so ruhig wie bei uns."
    Frau: "Ich fand auch sehr schön, dass sehr viele Kinder hier mit waren, und dass die Zauberflöte auch sehr schön war, mit Drachen und mit Tieren und nicht so modern dargestellt."
    Wir verlassen die Burg und die Stadt Savonlinna und fahren heim durch einsame Wälder zu unserer Blockhütte am See. Unter dem Schritt bricht das trockene Moos. Der See dampft in Nebelschwaden. Die Zeit dehnt sich, die Luft, das Licht. Noch schnell ein paar Holzscheite in den Ofen geworfen, und fertig ist die Mitternachtssauna!