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Schaar warnt vor Datenzugriff aus den USA

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hält das zur Unterzeichnung anstehende Abkommen zwischen den USA und Deutschland zur Bekämpfung der Kriminalität für bedenklich. Durch den Vertrag bekämen die US-Behörden unter anderem Zugriff auf die Fingerabdrücke der europäischen Bürger, sagte Schaar. Dabei könnten auch Informationen über Asylbewerber und Demonstrationsteilnehmer weitergegeben werden, ohne dass der Datenschutz ausreichend garantiert sei.

Moderation: Sandra Schulz | 11.03.2008
    Sandra Schulz: Das Eifelstädtchen Prüm in Rheinland-Pfalz ist staatlich anerkannter Luftkurort und hat auch im übertragenen Sinne mit reiner Luft zu tun. Prüm ist Synonym für einen umfassenden Datenaustausch innerhalb Europas. Dort wurde vor knapp drei Jahren ein Abkommen geschlossen, der sogenannte Prümer Vertrag, nachdem Ermittler direkt auf Erkenntnisse ihrer Kollegen jenseits der Landesgrenzen zugreifen können, auch auf höchst sensible Daten, darunter DNA-Analysedateien und auch Fingerabdrücke. Künftig könnten diese Daten eine noch weitere Reise antreten, denn möglicherweise gilt der Prümer Vertrag bald auch zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. In Berlin treffen Innenminister Wolfgang Schäuble und Justizministerin Brigitte Zypries heute mit ihren US-amerikanischen Amtskollegen Chertoff und Mukasey zusammen. Nach einem Bericht des "Tagesspiegel" wollen sie eine entsprechende Verabredung heute unterzeichnen, technisch gesprochen paraphieren. Darüber möchte ich nun sprechen mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz Peter Schaar. Guten Morgen!

    Peter Schaar: Guten Morgen!

    Schulz: Herr Schaar, ein besserer Austausch von Daten, das ist für die Verbrechensbekämpfung doch eine gute Nachricht?

    Schaar: Ein Austausch von Daten muss sein, um schwere Kriminalität zu bekämpfen. Einen solchen Datenaustausch gibt es schon. Dafür gibt es Instrumente. Das Problem ist, dass dieses neue Instrument, dieser neue Vertrag, um den es hier geht, tatsächlich dieses System von Prüm des Online-Zugriffs auf die Vereinigten Staaten überträgt, und zwar ohne dass ein gleichwertiger Datenschutzstandard dabei garantiert wird. Bei Prüm ist es so, dass diese Vertragsstaaten sagen, wir machen sozusagen, wir heben den Datenschutzstandard auf ein gleichmäßiges Niveau an. Es gibt unabhängige Datenschutzkontrollen. Es gibt Datenschutzgesetze. Es gibt ein Auskunftsrecht des Betroffenen. All das ist zu garantieren in Europa. Aber wenn die Daten dann nach den USA übermittelt werden, dann kann davon gar keine Rede sein.

    Schulz: Das heißt, die Vereinigten Staaten von Amerika verstehen sich nicht auf Datenschutz?

    Schaar: Es gibt dort zwar ein Datenschutzgesetz, aber das gilt nur für US-Bürger und solche Personen, die sich dort langfristig aufhalten, ausdrücklich nicht für Daten, die aus dem Ausland kommen, insbesondere wenn es sich um Reisende handelt oder um sonstige personenbezogene Daten, die im Ausland erhoben worden sind. Und dementsprechend erheben die Vereinigten Staaten derzeit sehr massiv gerade Fingerabdruckdaten in aller Welt, im Irak und auch von Reisenden, die in die USA einreisen, und werten diese aus und speichern sie auf lange Zeit.

    Schulz: Und welche Bedrohung folgt daraus für mich als Bürgerin?

    Schaar: Das Problem ist, dass jetzt durch dieses Online-Verfahren eine zusätzliche Datenquelle erschlossen wird. Wenn jetzt US-Behörden Zugriff auf die Fingerabdruckdateien beispielsweise erhalten, dann sind das ja nicht nur Dateien von Schwerverbrechern, sondern das sind Daten, die stammen aus allen möglichen Situationen, bei denen eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt wurde, sämtliche Asylbewerber müssen sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen, Visumantragsteller, aber auch Personen, die ohne Fahrschein aufgegriffen worden sind und deren Personalien man sicherstellen will oder auch Demonstranten in Gorleben, die gegen die Atomkraft sind, entsprechend erfasst worden. All diese Informationen werden dann im Zugriff von Stellen auch außerhalb Europas, ohne dass ein angemessener Datenschutz wirklich gewährleistet ist.

    Schulz: In welche Richtung rechnen Sie da mit einem Datenfluss von Europa in die Vereinigten Staaten oder umgekehrt?

    Schaar: Das wird in beide Richtungen gehen. Es werden ja immer mehr Daten gesammelt und man verspricht sich offensichtlich, dass man gegenseitig daraus Vorteile ziehen kann. Der Prümer Vertrag ist ja in sich schlüssig. Da sagt man, in Europa fallen die Grenzkontrollen weg, man weiß nicht, wer reist ein, wer reist aus. Und wenn dann jemand ein Verbrechen begeht und eine Tatortspur, ein Fingerabdruck beispielsweise, bleibt zurück, dann will man auch diese Person ausfindig machen. Wer aber in die Vereinigten Staaten einreist, der muss ja erst mal seine Fingerabdrücke abliefern. Insofern frage ich mich, welchen Sinn macht es, den US-Behörden zusätzlich den Zugriff auf die Fingerabdruckdateien des Bundeskriminalamtes, der Landeskriminalämter oder der Ausländerbehörden zu eröffnen.

    Schulz: Die Ermittler argumentieren ja auch damit, dass über einen schnellen und automatisierten Abgleich auch Entlastungen schneller gehen können. Was ist daran falsch?

    Schaar: Die Tatsache, dass ein Fingerabdruck in Deutschland nicht gespeichert ist, wird keinen US-Richter dazu veranlassen, eine Person, die einer Straftat verdächtig ist, dann freizulassen oder ein Verfahren einzustellen. Ich kann das überhaupt nicht verstehen.

    Schulz: Es gibt Erhebungen darüber, über den Erfolg oder über eine Zwischenbilanz des Prümer Vertrags. Im Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich hat das Abkommen seit 2005 zu 40 Treffern geführt im Bereich der Tötungsdelikte. Ist Ihnen das zu viel oder zu wenig?

    Schaar: Das ist völlig richtig. Ich war deshalb auch für den Prümer Vertrag. Wie gesagt, wenn ich von Deutschland nach Österreich einreise, dann findet keine Grenzkontrolle statt. Und dementsprechend kennen die österreichischen Behörden auch dann nicht meinen Fingerabdruck, wenn ich in Deutschland erkennungsdienstlich behandelt worden bin. Dementsprechend halte ich es für völlig richtig, dass die österreichischen Behörden eine solche Zugriffsmöglichkeit erhalten haben. Bei den US-Behörden ist es ganz anders. Wenn ich in die USA einreise, dann werden ja erst mal meine zehn Finger schon erfasst. Das heißt, wenn ich dann eine Straftat begehe und hinterlasse dort einen Fingerabdruck, dann bin ich anhand der dort abgegebenen und gespeicherten Fingerabdrücke zur identifizieren. Ich frage mich also, warum muss ein automatisierter Abgleich mit europäischen, mit deutschen Fingerabdruckdateien zusätzlich erfolgen.

    Schulz: Daraus schlussfolgere ich, dass Sie sich auch generell dagegen wehren, dass Fingerabdrücke von Tatverdächtigen genommen werden?

    Schaar: Nein, überhaupt nicht. Die Frage ist, wem werden diese Fingerabdrücke zur Verfügung gestellt. Wenn ich in Gorleben an einer Demonstration teilgenommen habe und dabei meine Personalien festgestellt worden sind und auch ggf. meine Fingerabdrücke genommen worden sind, dann mag das für die deutsche Polizei wichtig sein, es mag rechtmäßig sogar sein. Aber berechtigt das dann die USA, wenn ich dort einreise und ich dort vielleicht den falschen Stempel im Pass habe, dann auf diese Daten zuzugreifen? Ich würde sagen nein.

    Schulz: Obwohl wir ja seit November 2007 ohnehin unsere Fingerabdrücke in den Reisepässen auch hinterlassen müssen, das heißt, wir müssen unsere Fingerabdrücke ja auch schon hinterlassen, um auszureisen, könnte das auch die Entwicklung sein, in die es geht?

    Schaar: Wobei das ein völlig anderes System ist. Entschuldigen Sie, die Fingerabdrücke werden bei uns nur im Reisepass gespeichert. Das heißt, sie werden nicht in zentralen Dateien gespeichert, und sie werden auch nicht an Drittstaaten übermittelt. Hier geht es darum, dass ein Land, das sich weigert, den Datenschutz auf dem Niveau zu garantieren, wie das in Europa üblich ist, zum Beispiel mit einer unabhängigen Datenschutzkontrolle, mit einer gerichtlichen Überprüfung auch der Datenverarbeitung, dass ein solches Land Zugriff auf die Fingerabdrücke der europäischen Bürgerinnen und Bürger bekommt, hier der deutschen. Das halte ich schon für mehr als problematisch.

    Schulz: Herr Schaar, mit dem Blick in die Zukunft, rechnen Sie denn damit, dass mit den Fingerabdrücken, die in den Pässen im Moment gespeichert werden hier in Deutschland, in der Zukunft noch weitere Dinge passieren?

    Schaar: Es geht nicht um die Fingerabdrücke, die in den Pässen gespeichert werden hierbei. Aber es geht schon darum, ob noch in weiteren Dokumenten Fingerabdrücke gespeichert werden. Es ist ja geplant vom Bundesinnenministerium, dass auch in den Personalausweisen die Fingerabdrücke gespeichert werden. Und immer wieder gibt es ja Forderungen, diese Fingerabdrücke auch in zentralen Dateien und teilweise in auch lokalen Dateien abzulegen außerhalb der Dokumente. Ich denke, dass das ein Thema ist, mit dem wir uns als Datenschützer auf Dauer auseinanderzusetzen haben.

    Schulz: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, war das. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

    Schaar: Vielen Dank!