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Schabe lenkt Roboter

Das Motto "Hybrid" der diesjährigen Ars Electronica ist wie das Aufeinanderprallen zweier Welten zu verstehen. So etwa: Acht Centimeter große Schabe aus den Urwäldern Madagaskars lenkt einen Roboter. Oder: Orchidee wird von Computersystem künstlich ernährt und gesteuert. Oder: Mathematisches Programm löst die Bewegungen von Tänzern in poetisch visualisierte Algorithmen auf. Was vielleicht so klingt, als ob es schwer zu vereinen ist, kann also offenbar doch zusammengehören, lautet die Botschaft: "living in paradox", Technik, Tüftelei und Programmierung machen es möglich.

Von Walter Kittel | 04.09.2005
    Allerdings ist der technische Fortschritt in den großen Labors dieser Welt oft schon viel weiter. Die Interaktionen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Maschinen sind längst so vielfältig und ausgefeilt, dass die kleinen Experimente und Versuchsanordnungen eines Medienkunstfestivals davor erblassen müssen. Indem Künstler also mit wissenschaftlicher oder pseudowissenschaftlicher Attitüde in Konkurrenz treten zu einer Wirklichkeit, in der Wissenschaft schon heute nicht selten wie Kunst zelebriert wird, liegt das Scheitern sehr nahe.

    Ein denkbarer Ausweg aus diesem Dilemma ist etwa das bewusste Anknüpfen an Traditionen der Moderne, die weit ins 20. Jahrhundert zurückreichen, wie es Marc Downie aus den USA tut. Er analysiert mit Kameras die Bewegungen von Tänzern und übersetzt diese Muster in ein abstraktes, die Tänzer bei ihrer Performance begleitendes Linien- und Zeichensystem. Mit anderen Mitteln wird hier wiederholt, was Oscar Schlemmer und viele Künstler der 20er Jahre in einer mathematisch inspirierten Analyse von Bewegungsstudien längst erprobt haben. Heute vollenden die jungen Künstler gewissermaßen diese alten Träume.

    Ob das Avantgarde ist oder nur Aufgewärmtes, darüber lässt sich wohl streiten. Die Übersetzung von Tanz in eine mathematische Formensprache, war der Festivaljury immerhin einen zweiten Preis Wert. Den ersten Preis bekam ein Projekt, in dem mit Hilfe von Satellitennavigation die Transportwege von Milch aus Lettland bis zur Produktion von Käse in Holland verfolgt werden. Heraus kam, wie man sich denken kann, dass diese Wege viel zu weit und umständlich sind. Was also kann von einer solchen Arbeit mehr erwartet werden als nur die kritische Botschaft? Wenigstens doch, dass die visuelle Umsetzung des Problems mehr bedeutet als bloßes Design. Ein Unterschied, der hier nicht immer deutlich wurde.

    Bei den Museen und Sammlern hat sich interaktive Medienkunst, wie sie in Linz gezeigt wird, längst noch nicht etabliert. Auch weil die Wartung der Maschinen oft sehr zeit- und personalaufwändig ist. Ohne ein Team von Spezialisten können komplexere Ausstellungssysteme nach ihrem Zusammenbruch meist nicht so einfach wieder hergestellt werden.

    Keinen geringen Teil der Ausstellungsflächen hat die Ars Electronica dem studierenden Nachwuchs reserviert. In diesem Jahr kam neben Absolventen aus London und Istanbul auch ein 40 köpfiges Team aus dem indischen Bangalore angereist. In Indien ist interaktive Medienkunst etwas vollkommen Neues. Aufwändige Maschinen oder Programme sucht man bei den Künstlern vergebens. Meisten haben die Arbeiten einen deutlich sozialkritischen Charakter. Es sind Dokumentationen aus dem Alltag und sie dienen in erster Linie der Bewusstmachung gesellschaftlicher Missstände: Probleme von Frauen, Familien oder Handwerkern im Schatten der Globalisierung, so ließe sich der Grundtenor zusammenfassen.

    Dass ein großes Publikum von den Aktivitäten der Ars Electronica angesprochen werden soll, zeigen die vielen über die Plätze der Stadt verteilten Bühnen und Projektionsleinwände. Ein bisschen besteht die Gefahr, dass man sich angesichts der Fülle an Performances, Expertengesprächen und Symposien verläuft. Komplexität kann etwas Schönes sein, aber sie muss auch begreifbar bleiben und vermittelt werden. Wenn der Besucher alleingelassen in einem Raum nicht mehr unterscheiden kann, ob eine Installation noch funktioniert oder das System bereits abgestürzt ist, zeigt das, wie fragil aber auch erklärungsbedürftig einige Werke sind. An den ersten Ausstellungstagen sind die Künstler meistens noch anwesend. Später, wenn der Betrieb mit Konzerten und philosophischen Debatten so richtig brummt, verschiebt sich die Aufmerksamkeit. Nach den ersten, großen Vernissagen gehen später schon mal still und leise hier und da die Lichter aus. Auch weil die Erläuterungen der Arbeiten in den Räumen meistens unzureichend sind, haben Tagesbesucher im Schatten hochfliegender Diskussionen und Events dann unbedingt das Nachsehen.