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Schach als Fach
Das Spiel der Könige erobert die Schule

Manche Pädagogen halten Schach für einen richtig guten Zug, um den Denksport ins Klassenzimmer zu holen. In verschiedenen Schulen in Deutschland steht das Spiel deshalb inzwischen regelmäßig auf dem Stundenplan. In der Grundschule Genslerstrasse in Hamburg-Barmbek will man es ganz genau wissen – und plant eine wissenschaftliche Begleitung der Schach-Stunden.

Von Thomas Samboll | 23.10.2015
    Ein Schachbrett
    Damit das Brettspiel in Schulen noch mehr Anklang findet, bräuchte es allerdings vielmehr brettsichere Pädagogen… (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    Lehrerin: "So wie wir auf die Wasserflasche den Stöpsel machen, müssen wir auch beim Schach den Stöpsel rauf machen. Auf welches Feld müssen wir Stöpsel machen? Wer sieht das? Auf welches Feld?"
    Wenn es in der Grundschule Genslerstraße um Wasserflaschen, Stöpsel und die richtigen Felder geht, dann ist mal wieder Zeit für "Schach als Fach". Lehrerin Sandra Lengwenus bringt ihrer 4b gerade die Taktik der "Blockade" bei. Die Schüler erklären, was das mit Stöpseln zu tun hat:
    O-Ton Kinder:
    "Also man hat jetzt eine Stellung, und dann ist da halt noch eine Lücke frei, wo der König hingehen kann, dass man dieses Loch halt mit einer Figur zustopft."
    "Ja, und wenn das Loch dann verstopft ist, dann nimmt man zum Beispiel den Turm und stellt den da hin, wo es denn Schachmatt ist."
    Die Kinder grübeln, machen Vorschläge, sind hoch konzentriert. Dabei lernen sie auch, schon mal ein paar Schritte voraus zu denken, betont Lehrerin Silvia Gerstel. Und das kann sich dann zum Beispiel in Mathe auszahlen:
    "Also die Kinder müssen ja beim Schach wirklich ganz, ganz viel nachdenken und sich auch länger mit etwas beschäftigen. Also es geht ja nicht darum, dass man ganz schnell einen Zug macht, sondern wirklich den durchdenkt und auch weitere Schritte schon plant. Und das kann man schon auch auf den Matheunterricht dann übertragen. Sei es jetzt auch einfach Sachaufgaben. Also da sehe ich schon, dass die Kinder da anders herangehen. Also man kann´s bestimmt nicht auf alle verallgemeinern, aber ich denke schon, dass viele Kinder da große Vorteile rausziehen."
    Noten gibt's für das Schachspielen nicht
    Auch Kollegin Sandra Lengwenus hat gute Erfahrungen mit dem Spiel der Könige in der Schule gemacht. Sie ist Fachleiterin Schach in der Genslerstraße:
    "Selbst im Sachunterricht, wenn ich mit Karten zum Beispiel arbeite, mit Planquadraten, dann können die Kinder das vom Schachbrett her. Ich habe im Sport Sachen, die ich wiederfinde, ich habe diesen Umgang mit Sieg und Niederlage. Und klar, wir können mit Figuren rechnen, so wie wir mit Zahlen rechnen können. Die Figuren sind verschieden viel wert. Also ich hab' die Dame mit neun, wir sagen immer "Eiskugeln", also neun Eiskugeln, den Turm mit fünf Eiskugeln, Springer, Läufer drei Eiskugeln, Bauer eine Eiskugel, und der König ist halt die ganze Eisdiele, so. Es gibt in allen Fächern immer so Überlappungen, die mich wirklich beeindrucken."
    Zudem gäbe es viel mehr Ruhe und weniger Streit, sagen die Lehrerinnen. Noten gibt's für Schach übrigens nicht. Aber: Für das Brettspiel wird einem anderen Fach eine Stunde geklaut. In der dritten Klasse gibt's dadurch zum Beispiel weniger Mathe. Einige Eltern und Lehrer befürchteten deshalb, dass die Kinder in dem betroffenen Fach nicht genug lernen würden. Doch Schulleiterin Monika Küsel-Pelz beruhigt:
    "Ich hab' die weiterführenden Schulen angeschrieben, und es hat sich wirklich herausgestellt, dass unsere Schüler keinerlei Lücken hatten und gut weitergekommen sind in weiterführenden Schulen. Ich bin der Überzeugung, dass mit Schach die Kinder gut ausgerüstet ins Leben auch starten werden."
    Den Beweis dafür soll eine wissenschaftliche Auswertung des Projekts durch die Uni Rostock liefern. Die Wissenschaftler begleiten bereits andere Schulen, in denen Schach als Fach auf dem Stundenplan steht, zum Beispiel die Grundschule Lankow bei Schwerin. Dort soll es im nächsten Jahr erste Ergebnisse geben. Weitere Studien sind in Planung, etwa in Nordrhein-Westfalen, wo u.a. die Gutenberg-Grundschule in Dortmund Schach-Unterricht anbietet. Damit das Brettspiel noch mehr Anklang findet, bräuchte es allerdings auch noch vielmehr brettsichere Pädagogen, räumt Monika Küsel-Pelz von der Schule Genslerstraße ein:
    "Ich glaube einfach, es würden mehr Schulen Schach anbieten, wenn sie entsprechende Lehrkräfte zur Verfügung hätten."
    Zudem hält sich die Begeisterung der Bildungsbehörden noch in Grenzen. Die Gutenberg-Grundschule in Dortmund versucht zum Beispiel schon seit längerem, das Kultusministerium in Düsseldorf von den Vorteilen des Schachunterrichts zu überzeugen – und wurde bislang immer matt gesetzt. Kein Platz für ein neues Fach, so die landläufige Begründung, übrigens auch in Hamburg. Wo sich die Schüler in der Genslerstraße darüber freuen, dass sie trotzdem Schach haben:
    "Ja, also seitdem ich Schach spiele, kann ich mich besser konzentrieren."
    "Man wird davon halt klüger, schlauer."
    "Im zweiten Schuljahr hatte ich in Mathe..., war ich da noch gar nicht so gut. Und dann hatte ich im dritten Schuljahr plötzlich 'ne 1!"
    Inzwischen hat die 4b auch ihr Schach-Problem gelöst, die "Blockade" – und damit den "Stöpsel" auf die "Wasserflasche" gemacht...
    Lehrerin: Wow! Was sagst Du jetzt zum König? Und zwar so was von laut und deutlich?"
    Kinder: "Schachmatt!"