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Schach-WM
"Kreatur zweiter Klasse"

Weltmeister Magnus Carlsen musste gleich zum Auftakt der Schnellschach-WM in Saudi-Arabien eine überraschende Niederlage einstecken: Der Norweger verlor seine erste Partie gegen den Chinesen Bu Xiangzhi. Doch diese Nachricht wurde von der Meldung überschattet, dass die Ukrainerin Anna Musytschuk die WM boykottiert.

Von Klaas Reese | 27.12.2017
    Schnellschachspielerin Anna Musytschuk
    Schnellschachspielerin Anna Musytschuk (imago sportfotodienst)
    An der Schnellschach- und Blitzschach-WM des Weltverbandes FIDE nehmen laut Angaben der Organisatoren 236 Spielerinnen und Spieler aus 70 Ländern teil.
    Nicht dabei sein wird eine zweifache Goldmedaillengewinnerin der letzten Weltmeisterschaften: Anna Musytchuk aus der Ukraine gab auf ihrer Facebook-Seite bekannt, dass sie aufgrund der Missachtung von Frauenrechten in Saudi-Arabien nicht antreten wolle. Sie wolle nicht nach Regeln spielen, die ihr das Tragen eines Kopftuches vorschreiben und ihr nur in Begleitung das Verlassen des Hauses erlauben. Musytchuk wolle nicht wie ein Wesen zweiter Klasse behandelt werden.
    Der Weltschachverband hatte die Organisatoren vor der WM noch dazu bewegen können eine Verschleierung nicht zur Pflicht während der Partien zu machen. Für Auftritte in der Öffentlichkeit wurden den Spielerinnen allerdings Abayas, also lange Überkleider, ausgehändigt. Bei der vergangenen WM in Teheran gab es auch eine Kopftuchpflicht. Damals spielte auch Musytschuk noch mit.
    Musytschuk nicht die einzige mit Boykott
    Doch diese WM muss für die ukrainische Schachspielerin ein prägendes Erlebnis gewesen sein, denn sie schrieb, dass sie lieber auf die Teilnahme bei einem WM-Turnier verzichtet, bei dem sie nach eigener Aussage mehr Geld verdienen könnte als bei einem Dutzend anderer Turniere zusammen, als sich "wie eine Kreatur zweiter Klasse zu fühlen." Auch Musytschuks jüngere Schwester Marija, ebenfalls Schachprofi, sprach sich gegen eine Teilnahme aus. "Ich bin froh, dass wir uns da einig sind", schrieb Musytschuk.
    Der amerikanische Schachgroßmeister Hikaru Nakamura, hatte bereits im November auf eine Teilnahme verzichtet und auf Twitter geschrieben: "Eine Schach-WM dort auszurichten, wo wesentliche Menschenrechte nicht geachtet werden, ist der Horror. Schach ist ein Spiel, bei dem unterschiedlichen Menschen zusammenkommen können und keins, das Leute trennt wegen ihrer Religion oder Abstammung."
    Nächste zwei Weltmeisterschaften in Saudi-Arabien
    Bleiben die Schachprofis konsequent, dann werden sie auch bei den beiden folgenden Weltmeisterschaften auf eine Teilnahme verzichten, denn der Weltverband hat die Ausrichtung der WM für drei Jahre an Saudi-Arabien vergeben.
    Nicht nur die Missachtung von Frauenrechten führen zu Unruhe im Weltschach, sondern auch politische Zerwürfnisse und der Umgang mit Spielern aus Nationen, die im politischen Streit mit Saudi-Arabien stehen.
    Spieler aus Katar und aus dem Iran stritten lange für ein Visum. In einer offiziellen Pressemitteilung des Weltverbands, die am Sonntag veröffentlicht worden war, heißt es: "FIDE und die Saudi-arabischen Organisatoren sind jederzeit bereit, alle Teilnehmer willkommen zu heißen."
    Israelische Sportler ausgeschlosssen
    Israelischen Sportlern bleibt der Zugang zu den Weltmeisterschaften jedoch verboten. Als Begründung für diese Entscheidung gab eine Sprecherin des saudi-arabischen Botschafters in den USA fehlende diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern an.
    Der israelische Schachverband reagierte darauf mit Unverständnis. Verbandssprecher Lior Aizenberg forderte in der "New York Times", dass Politik und Sport kategorisch zu trennen seien. "Beziehungen zwischen Ländern sollten keinen Einfluss auf internationale Veranstaltungen wie Weltmeisterschaften haben."
    Der israelische Schachverband fordert in einem offenen Brief, dass die israelischen Spieler zu entschädigen seien und Saudi-Arabien das Recht auf die Austragung der Weltmeisterschaften 2018 und 2019 entzogen werden müsse.