Dienstag, 16. April 2024

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Schäfer an der Ruhr
Lämmer statt Kohle

Wo früher Kohle abgebaut wurde und Schlote qualmten, grasen heute Schafe. Aus vielen Industriebrachen im Ruhrgebiet sind heute grüne Oasen geworden, aus stillgelegten Bahntrassen wurden Fahrradwege. Ideale Bedingungen für Schäfer Florian Preis.

Von Julia Demming | 13.04.2017
    Der Schäfer Holger Banzhaf aus Heldenfingen hütet am Freitag (22.08.2008) beim Leistungshüten des Landesschafzuchtverbandes in Markgröningen eine fremde Herde mit ca. 200 Schafen
    Viel Arbeit, wenig Urlaub: der Job des Schäfers. (dpa / Norbert Försterling)
    Vorbei an den qualmenden Schloten eines Chemiewerks komme ich über einen Schotterweg zu einem Stall, am Rand eines Gewerbegebiets in Oberhausen. Dort empfangen mich blökende Schafe – und Baulärm.
    Schäfer Florian Preis kommt wenige Minuten nach mir an und ist kurz verwundert. Ausgerechnet heute hatte er nicht mit der Baustelle gerechnet.
    "Ah, dann fangen die da heute an zu schottern. Die heben mir das aus und schottern mir das so wie den Weg hier."
    Die – das sind Bauarbeiter, die für die Firma Thyssen arbeiten. Sie sollen einen Wendekreis für Florian Preis bauen, damit er seine Schafe leichter verladen kann.
    Wo es heute grün ist, lagen Berge des "schwarzen Golds"
    Thyssen hat ihm 2013 30 Hektar Land zur Verfügung gestellt – fünf davon inklusive der Fläche für seinen Stall darf er dauerhaft nutzen. Bis in die 80er-Jahre lagerte auf dieser Fläche die nationale Kohlenreserve. Wo es heute grün ist, lagen Berge des "schwarzen Golds".
    Vor knapp vier Jahren hat Florian Preis die "Ruhrschäferei" gegründet, mit 30 Schafen. Heute hat er um die 200, Merinos und Tiroler Bergschafe. Den Stall hat der 35-Jährige mit Hilfe seiner Familie selbst gebaut. Durch den offenen Teil des Verschlags stecken ein paar Tiere neugierig ihre Köpfe.
    "Das ist halt mein Unterstand, hier packe ich die größeren Lämmer hin, die jetzt rausgefahren werden. Und im Stall stehen die frischen Lämmer. Von einer Woche bis fünf, sechs Wochen alt."
    Für mich ein entzückender Anblick. "Die sind ja schon süß".
    Nach ungefähr zehn Wochen kommen die Lämmer raus auf die Wiese. Die weiblichen wachsen dort auf und gebären in den kommenden Jahren, die Zukunft der männlichen sieht weniger rosig aus.
    "Ja, die haben leider das bittere Los gezogen, die gehen dann halt mit einem halben, dreiviertel Jahr zum Schlachter."
    Das Fleisch vermarktet Florian Preis direkt. Er schlachtet nur auf Bestellung. Die Wolle, die dabei abfällt, ist ein kleiner Nebenverdienst. All seine Produkte sind nachhaltig erzeugt.
    Kein Biosiegel, aber bio pur
    "Mein Fleisch ist halt praktisch Biohaltung. Ich hab zwar kein Biosiegel aber es ist bio, ich gebe nur Medikamente, wenn sie krank sind. Ansonsten sind sie ganzjährig draußen, bis auf die Lämmer, die darf ich im Winter nicht draußen lassen, sonst würden sie kaputt gehen."
    Artgerechte Haltung – mitten in einem der größten Ballungsräume der Bundesrepublik. Das geht unter anderem durch die Industriebrachen im Ruhrgebiet, sagt Florian Preis. Stillgelegte Bahntrassen zum Beispiel, die heute zu Fahrradwegen umgebaut sind. Entlang dieser Wege gibt es viele Flächen für den Schäfer. Und die haben den Vorteil, dass er kaum Straßen queren muss, wenn er von einer zur anderen zieht.
    Zu einer seiner Flächen nimmt mich Florian Preis mit. Wir fahren mit seinen drei quirligen Hütehunden vom Stall wenige Kilometer zur Emscher, einem Nebenfluss des Rheins. Am Ufer grasen die Schafe an einem Hang. Im Hintergrund rauscht die A42. Wie jeden Tag versetzt Florian Preis heute seine Netze, damit die Tiere einen halben Hektar frisches Gras zum Abfressen bekommen.
    "Da haben wir doch schon zwei Netze, die nehmen wir mit, brauchen wir nicht so weit schleppen".
    Heute sind die Schafe ohne ihn schon ein Stück weitergezogen.
    "Also eigentlich hätten die jetzt bis hier stehen sollen? - Genau, aber wie man sieht, ist da hinten ein Pinn umgekippt. Und da sind se dann anscheinend auch drüber."
    Zufriedene Schafe sind auch gehorsame Schafe
    Also pfeift der Schäfer seine Tiere erstmal zurück. "Komm, komm."
    Und tatsächlich kommen die Schafe angetrottet. "Ihr wisst, ich hab Presse da, also ist man gehörig, sehr weise von euch."
    Es liegt aber wohl nicht nur an mir: Zufriedene Schafe sind auch gehorsame Schafe, sagt Florian Preis.
    Für mich fühlt sich der Besuch beim Ruhrschäfer ein bisschen an wie Ferien auf dem Bauernhof – mitten im Ruhrgebiet. Florian Preis kann an Ferien erstmal nicht denken. Bevor er sich selbstständig gemacht hat, hat er eine Zeit lang bei einem Schäfer in Duisburg gearbeitet. Dadurch wusste er, worauf er sich einlässt.
    "Selbst mein Ex-Chef hat erst nach zehn Jahren das erste Mal Urlaub gemacht."
    Schäfer ist man eben mit Leib und Seele – sieben Tage die Woche.
    Nach einer guten Stunde sind die Schafe wieder im Zaun. Für heute ist der Ruhrschäfer hier fertig. Feierabend hat er aber noch nicht.
    "Jetzt wird der Stall versorgt – und dann kriege ich auch was zu Essen."