Donnerstag, 28. März 2024

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Schäuble warnt vor Terrorgefahr in ganz Europa

Eine terroristische Bedrohung wie in Großbritannien besteht nach Einschätzung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auch in jedem anderen europäischen Land. Es sei Glück gewesen, dass auf den britischen Inseln Schlimmeres verhindert wurde, sagte der CDU-Politiker. Zugleich bekräftigte Schäuble seine Forderung, eine gesetzliche Grundlage für Online-Durchsuchungen durch das Bundeskriminalamt zu schaffen.

Moderation: Silvia Engels | 02.07.2007
    Silvia Engels: Die vereitelten Bombenanschläge von London und der Attentatsversuch auf den Flughafen von Glasgow hängen zusammen. Das hat die britische Polizei bestätigt. Sehr viel mehr ist über die Hintergründe nicht offiziell bekannt. Britische Medien berichten heute darüber, dass die bislang fünf festgenommenen Verdächtigen keine britischen Staatsangehörigen seien. Zugleich gehen die Zeitungen dort von einem islamistischen Hintergrund aus. In der Nacht blieb es in Großbritannien ruhig, doch auf der Insel gilt nach wie vor die höchste Alarmstufe.

    Lassen sich Querbezüge zur Situation in Deutschland ziehen? Am Telefon ist der Bundesinnenminister. Guten Morgen, Herr Schäuble!

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Gestern haben Sie gesagt, dass Sie bislang keine Erkenntnisse haben, dass die Anschlagsvorbereitungen in Großbritannien einen direkten Bezug zu Deutschland haben. Ist das auch der Stand heute Früh?

    Schäuble: Das ist auch der Stand heute Früh, ja.

    Engels: Diese Querbezüge, von denen ich sprach, die haben Sie ja auch nicht ganz ausgeschlossen mit Blick darauf, dass Sie sagen, ja, Ihre Warnungen von vor einigen Wochen hängen damit vielleicht zusammen. Können Sie da konkreter werden?

    Schäuble: Na ja, es ist so: Der islamistische Terrorismus arbeitet ja weltweit, und er arbeitet in Form eines Netzwerkes. Europa insgesamt ist im Fadenkreuz dieser Bedrohungen. Das ist die gemeinsame Beurteilung aller, die sich international weltweit mit diesen Fragen beschäftigen. Deswegen ist es natürlich so. Jetzt haben wir Anschlagsplanungen in Großbritannien gesehen oder einen versuchten Anschlag, der zum Glück nicht schlimmere Folgen noch gehabt hat, aber der ganz schlimme Folgen hätte haben können. Aber dasselbe kann uns in Deutschland passieren. Und wir haben ja auch Anzeichen dafür, dass wir im Fadenkreuz der Bedrohung unmittelbar sind. Das haben ja die Sachverständigen der Sicherheitsdienste in einer sehr zurückhaltenden Form der Öffentlichkeit mitgeteilt. Daran hat sich nichts geändert. Wir arbeiten mit großer Intensität daran.

    Engels: Sie haben gestern auch bestätigt, dass Sie eng mit den britischen Behörden zusammenarbeiten. Bislang waren ja die Briten relativ häufig erfolgreich. Nützen denn die Erkenntnisse auch der Terrorabwehr in Deutschland?

    Schäuble: Natürlich, wir lernen bei jeder konkreten Erfahrung voneinander. Wir haben ja einen sehr engen Austausch vor allen Dingen auch an Informationen. Das ist ganz wichtig. Insofern kann man immer lernen. Aber die Briten haben einfach auch wieder Glück gehabt. Die beiden Autos sind eher durch aufmerksame Passanten entdeckt worden, und der Anschlag in Liverpool, der ist zum Glück nicht richtig gelungen. Insofern haben sie Glück gehabt wie wir bei den Kofferbomben im letzten Jahr. Also man sollte sich auch nicht zu sehr beruhigen. Das hätte ganz schlimme Folgen haben können ,und wir müssen eben befürchten, dass so etwas auch mal funktioniert. Dann muss es nicht in Großbritannien sein. Dann kann es an einem anderen Ort in Europa sein und eben auch in Deutschland. Das möglichst zu verhindern, das ist die Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Das können sie nicht garantieren, aber sie arbeiten mit großer Kompetenz, mit großer Energie daran, um das nach Möglichkeit zu verhindern.

    Engels: Um das kurz richtig zu stellen. Sie meinten statt Liverpool wahrscheinlich Glasgow?

    Schäuble: Ja, natürlich. Liverpool ist auch eine besondere Sorge, aber Glasgow ist es. In Liverpool hatte man den Flughafen dann auch ganz gesperrt, aber der Anschlag selbst war natürlich in Glasgow.

    Engels: Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, hat sich zu Wort gemeldet. In der "Passauer Neuen Presse" rechnet er mit schweren Anschlägen auch in Deutschland in naher Zukunft. Er spricht von etwa 100 Personen, die hierzulande als Gefährder betrachtet werden müssten. Geben Sie ihm Recht, was Gefahr und Anzahl angeht?

    Schäuble: Ich halte nichts davon, solche Statistiken öffentlich zu machen, aber er ist Gewerkschaftsvorsitzender. Er wird wissen, was und warum er es sagt. Wir wissen, dass wir Gefährder in Deutschland haben. Wir haben auch darauf hingewiesen, die zuständigen Sicherheitsdienste, der Präsident des Bundeskriminalamts, der Staatssekretär Hanning und andere. Aber es hat keinen Sinn, da ständig öffentlich genaue Mitteilungen machen zu wollen.

    Engels: Freiberg wirft der Bundesregierung vor, durch die Personaleinsparungen bei der Polizei die Gefahr von Anschlägen zu erhöhen. Er sagt, um Gefährder rund um die Uhr überwachen zu können, würde man pro Person bis zu 20 Polizisten benötigen. Doch dazu fehle das Personal. Was entgegnen Sie?

    Schäuble: Ich glaube Sie haben ihn missverstanden. Er kann nicht die Bundesregierung gemeint haben. Er hat wahrscheinlich einzelne Bundesländer gemeint, die ja im Wesentlichen auch für die Polizei zuständig sind. Bei der Bundespolizei, auch beim Bundeskriminalamt, beim Bundesamt für Verfassungsschutz gibt es ja keine Personalkürzungen. Das wird Herr Freiberg auch nicht gemeint haben.

    Natürlich ist die Beobachtung solcher Leute eine sehr personalintensive Sache. Das ist wahr. Ich verstehe auch, dass Gewerkschaftsvorsitzende natürlich ihre Positionen vertreten müssen. Aber das ist seine Aufgabe. Wir beim Bund tun das Notwendige. Wir werden ja in dieser Woche auch den Haushalt in der Bundesregierung aufstellen, und da wird sich wieder zeigen, dass die Bundesregierung der inneren Sicherheit Priorität gibt. Ich vermute auch, dass Herr Freiberg gar nicht den Bund kritisiert hat, sondern eher die Länder.

    Engels: Wenn wir die Länder ansprechen, bestünde ja vielleicht auch die Möglichkeit, dass der Bund den Ländern finanziell etwas unter die Arme greift oder nicht?

    Schäuble: Das ist jetzt aber nun wirklich nicht das Thema, Finanzverhandlungen zwischen Bund und Ländern zu machen. Die Länderhaushalte sind im Schnitt in einer besseren Situation als der Bundeshaushalt, aber das ist ein ganz anderes Thema. Wir müssen schon ein bisschen dabei bleiben, dass jeder im Rahmen seiner Verantwortung seine Aufgaben bestmöglich wahrnimmt. Wenn es um Polizei geht, dann sind in erster Linie die Länder gefragt. Der Bund tut das Seine, und das tut er mit großer Intensität.

    Engels: Dann schauen wir noch einmal auf die Situation in Großbritannien. Gestern haben Sie bereits die genauere Videoüberwachung angesprochen, die dort möglich ist, in Deutschland verbessert werden sollte Ihrer Meinung nach. Wo sehen Sie derzeit weitere Ermittlungsnachteile deutscher Behörden gegenüber den Briten?

    Schäuble: Ich habe übrigens die Videoüberwachung nicht angesprochen. Das haben andere. Ich bin dann gefragt worden, dann habe ich gesagt, ja, wir machen das im Bereich der Bundespolizei. Wo die Länder zuständig sind, entscheiden sie selber.

    Engels: Aber Sie haben es durchaus angeregt. Sie halten es für sinnvoll.

    Schäuble Ja, natürlich. Videoüberwachung kann ein sinnvolles Instrument sein. Deswegen nutzen wir sie bei der Bahn. Da ist der Bund zuständig Aa den Bahnhöfen. Und natürlich an großen Brennpunkten von Kommunikation und Flughäfen wird sie auch eingesetzt. Wie weit man sie in den Städten einsetzt, das müssen die zuständigen Länderpolizeien entscheiden.

    Was wir zusätzlich brauchen, sind die gesetzlichen Befugnisse für das Bundeskriminalamt, denn wir haben durch die Grundgesetzreform im vergangenen Jahr, Bundesrat und Bundestag, ja dem Bundeskriminalamt die Zuständigkeit der Gefahrenabwehr aus dem internationalen Terrorismus übertragen. Das ist neu in der Architektur des Grundgesetzes. Bisher haben die Länder die Zuständigkeit der Gefahrenabwehr. Weil sie jetzt das Bundeskriminalamt für diese besonderen Gefahren aus dem internationalen Terrorismus hat, muss es auch die gesetzlichen Instrumente bekommen, denn das muss ja alles auf einer klaren rechtlichen Grundlage geschehen. Dazu brauchen wir eine Änderung des Bundeskriminalamt-Gesetzes, und dazu muss man natürlich dem Bundeskriminalamt unter klaren rechtlichen Begrenzungen und Voraussetzungen die Möglichkeit geben, in die Kommunikationsstrukturen der Terroristen einzudringen. Sie müssen ja vor solchen Anschlägen miteinander kommunizieren, und dort ist die Chance zu erfahren, was sie vorhaben. Und wenn man weiß, was sie vorhaben, kann man es verhindern. Nur wenn man weiß, was sie vorhaben, kann man es verhindern. Deswegen brauchen wir die gesetzlichen Grundlagen, um Kommunikation durch Telefon, durch Handys, aber auch durch Computer überwachen zu können. Das ist notwendig im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

    Engels: Da sind wir beim Stichwort heimlicher Online-Durchsuchungen von Computern. Die SPD steht diesem Vorhaben bekanntlich kritisch gegenüber. Sie wollen dieses Instrumentarium den Ermittlern an die Hand geben. Wollen Sie tatsächlich, wie es in Medien zu lesen war, auch ohne Zustimmung von Justizministerin Zypries von der SPD einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Kabinett einbringen?

    Schäuble: Wissen Sie, Gesetze werden nach dem Grundgesetz vom Bundestag beschlossen. Dazu braucht man Mehrheiten. Dazu hat man Koalitionen. Deswegen muss man sich verständigen. Dann muss noch der Bundesrat im Zweifel daran mitwirken. So geht es. Federführend für das Bundeskriminalamt-Gesetz ist das Innenministerium. Das ist in der Geschäftsordnung der Bundesregierung auch geregelt. Das ist nicht der entscheidende Punkt.

    Der entscheidende Punkt ist, dass man, um die Gefahren aus dem internationalen Terrorismus abwehren zu können, dem Bundeskriminalamt die gesetzlichen Instrumente geben muss, wenn man ihm schon durch die Grundgesetzänderung die Aufgabe überträgt. Sonst macht das keinen Sinn. Und ich kann auch nicht verstehen, dass diejenigen, die bis zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs das ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage für notwendig und richtig gehalten haben, was ich gar nicht kritisiere, jetzt, wo der Bundesgerichtshof gesagt hat, man muss dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen, sagen nein, eine solche gesetzliche Grundlage wollen wir eigentlich nicht, braucht man es denn überhaupt und so. Das ist ja nicht sehr logisch. Im Übrigen: International gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wenn man die Kommunikation der Terroristen bei der Vorbereitung solcher Anschläge nicht überwachen kann, wenn man nicht versucht, da einzudringen in diese Strukturen, dann hat man im Kampf um die Abwehr solcher Anschläge schon verloren.

    Engels: Glauben Sie ernsthaft, damit die SPD noch überzeugen zu können, denn deren Unterstützung brauchen Sie ja?

    Schäuble: Ganz sicher!

    Engels: Der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble war das. Wir sprachen mit ihm über die Sicherheitssituation in Deutschland nach den versuchten Anschlägen in London und Glasgow. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Schäuble: Bitte sehr.