Dienstag, 23. April 2024

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Scharnagl: Gehälter wären ohnehin gezahlt worden

Die Abgeordneten des Bayerischen Landtags hätten sich nicht gesetzeswidrig verhalten, indem sie Verwandte beschäftigten, sagt Winfried Scharnagl. Der ehemalige Chefredakteur des "Bayernkurier" ergänzt, dass neben CSU-Abgeordneten auch Parlamentarier anderer Parteien betroffen seien.

Wilfried Scharnagel im Gespräch mit Christine Heuer | 03.05.2013
    Horst Seehofer:
    "Wenn wir weiterhin konsequent mit den Dingen umgehen, die nicht zu akzeptieren sind, dann wird das keinen Schaden auslösen, das ist das, was ich aus der Bevölkerung an Echo bekomme."

    Christine Heuer: Ein bisschen entschiedener könnte er schon klingen, der Horst Seehofer. Schließlich geht es darum, die Vetternwirtschaft in der CSU zu beenden. Stattdessen hören wir jeden Tag von neuen Ehefrauen, Müttern, Kindern oder Geschwistern, die von CSU-Politikern in ihren Büros beschäftigt und dafür aus Steuergeldern bezahlt wurden. Gestern wurde unter anderem Justizministerin Beate Merck geoutet. Wie stark schadet das der CSU am Ende doch. Fragen jetzt an den früheren Chefredakteur beim "Bayernkurier", Wilfried Scharnagl, guten Morgen!

    Wilfried Scharnagl: Guten Morgen nach Köln!

    Heuer: Guten Morgen nach München, und bevor Sie sich um Kopf und Kragen reden, Herr Scharnagl – saß Ihre Frau auch im Vorzimmer des Chefredakteurs Scharnagl beim "Bayernkurier" und wurde dort entlohnt?

    Scharnagl: Ich will nur sagen, das politisch-publizistische Biotop Scharnagl könnte ohne Frau Scharnagl nicht existieren. Aber sie wird nicht entlohnt, sondern sie gehört einfach zu mir.

    Heuer: Da sind Sie in Bayern jetzt schon Vorbild.

    Scharnagl: Das weiß ich nicht, ich bin kein Parlamentarier.

    Heuer: Bislang sind viele Parlamentarier und auch sechs Mitglieder im Kabinett Seehofer aufgeflogen. Müssen die jetzt eigentlich zurücktreten?

    Scharnagl: Das glaube ich natürlich nicht, denn man muss schon unterscheiden. Gesetzwidriges ist nicht passiert. Und es ist sicherlich falsch, ein ganzes Parlament kriminalisieren zu wollen. Dass das Dinge sind, die im Lichte der öffentlichen Einschätzung und der öffentlichen Wahrnehmung nicht goutiert werden, ist etwas anderes. Aber das ist ein Unterschied. Ich meine, man darf nicht gleich so tun, als ob hier jetzt eine Kompanie krimineller Abgeordneter zugange gewesen wäre. Zudem, Sie haben es vorhin gesagt, betrifft das ja keineswegs die CSU allein.

    Heuer: Ob zum Beispiel der, man muss jetzt sagen, der ehemalige CSU-Fraktionschef Georg Schmid sich gesetzwidrig verhalten hat, das ist ja noch nicht raus, aber zurückgetreten ist er trotzdem. War das ein bisschen voreilig? Hat der Georg Schmid da einen Fehler gemacht?

    Scharnagl: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Ich glaube, Georg Schmid, das war nicht zu halten. Er hat die Konsequenzen gezogen. Er hat, wenn Sie so wollen, dafür den bittersten Preis bezahlt, für sein Verhalten, für sein nicht erklärbares Verhalten, den ein Politiker bezahlen kann. Er ist aus seinem Amt gestürzt. Eine größere Bestrafung für einen Politiker gibt es nicht. Und das hat er auch schnell und ohne großes Hin und Her getan, hat gesagt, ich ziehe die Konsequenzen, hat dann auch wirklich auch noch erkannt, dass er einen großen Fehler gemacht hat. Also ich glaube, das ist ein Fall, aber alle anderen Fälle kann man in dieser Form ja wohl nicht vergleichen.

    Heuer: Wieso? Wo ist der Unterschied?

    Scharnagl: Wissen Sie, Frau Heuer, ich glaube vor allem eines: Diese Geschichte wäre nicht eine so dramatische Geschichte geworden, wenn nicht die SPD und vor allem auch ihr Spitzenkandidat Christian Ude in dem Irrglauben, sie seien von der Sache unberührt, und es sei es eine alleinige CSU-Angelegenheit, zu großer und wiederholter öffentlicher Hinrichtung geschritten werde und gesagt hat, alle, die betroffen sind, müssen zurücktreten und so weiter und so weiter. Wollte man nämlich dieses heute durchführen, dann würde es auch gewaltige Schneisen bei der SPD und bei den Grünen schlagen. Also insofern war das natürlich etwas voreilig.
    Es war offensichtlich eine allgemein oder auf ganz breiter Basis im Landtag eingerissene Praxis, die niemand, scheint mir, als rechtswidrig empfunden hat, was sie auch nicht ist. Und dann ist das halt so passiert. Aber jetzt daraus, dieses allein der CSU zuschieben zu wollen, wäre einfach unseriös.

    Heuer: Wenn es nicht nur die CSU gemacht hat, sondern auch SPD und Grüne, wovon wir ja jetzt wahrscheinlich in den nächsten Tagen mehr hören werden, liegt Vetternwirtschaft dann den Bayern in den Genen? Weil, aus anderen Bundesländern hört man dergleichen nicht?

    Scharnagl: Vielleicht hat man dort nur noch nicht nachgefragt. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, aber das glaube ich überhaupt nicht. Das ist eine Regelung gewesen, die war immer – war üblich und war rechtmäßig und war vom Landtag so beschlossen, und dann hat man gesagt, das darf verlängert werden oder wer da – die berühmten Altfälle. Und dann ist es eben passiert, und dann gab es jetzt mehr Altfälle offensichtlich, als man geglaubt hat.

    Heuer: Es war üblich und rechtmäßig – Sie haben davon gewusst, Herr Scharnagl?

    Scharnagl: Rechtmäßig – also rechtmäßig – es ist nicht gegen ein Gesetz. Ich habe das nicht gewusst.

    Heuer: Waren Sie nie im Büro von Georg Schmid?

    Scharnagl : Ja, aber wieso hätte – erstens war ich nie im Büro von Georg Schmid, den habe ich immer nur bei politischen Anlässen getroffen. Und zudem hätte ich ja, wenn ich jetzt zum Beispiel im Bayerischen Landtag in das Büro von Georg Schmid gegangen wäre, hätte ich ja dort auch nicht seine Frau angetroffen.

    Heuer: Weil die ja zu Hause gearbeitet hat, für Steuergelder.

    Scharnagl: So ist es.

    Heuer: Herr Scharnagl, wenn Sie sagen, der Georg Schmid ist zurückgetreten und das ist irgendwie honorig, aber die anderen müssen es nicht. Nach welchem Kriterium beurteilen Sie das? Ab wann muss man zurücktreten und bis wann darf man bleiben?

    Scharnagl: Also ich glaube, dass jemand, der Fraktionsvorsitzender ist und in Rang und Ausstattung mindestens einem Minister gleichkommt und der in der Fraktion auch von der Größe der infrage stehenden Summen an der Spitze steht, an den werden strengere und besondere und zu Recht strengere Maßstäbe angelegt.

    Heuer: Also Minister müssen auch zurücktreten, wenn sie Vetternwirtschaft betrieben haben?

    Scharnagl: Wenn ich also sehe, handelt es sich bei den Ministern, soweit also jetzt Zahlen genannt werden, ja eher um geringfügige Verhältnisse und auch um ordentliche Verhältnisse, um versteuerte Verhältnisse. Also ich glaube nicht, dass man jetzt sagen kanna, alle müssen alle zurücktreten.
    Noch einmal: Sie haben kein Gesetz gebrochen und sie haben sich nicht gegen ein Gesetz verhalten. Sie haben sich gegen Regeln verhalten, gegen ungeschriebene Regeln vielleicht, die heute auch selbstverständlicher sind, als sie vielleicht gestern waren.

    Heuer: Gestern unter Franz-Josef Strauß.

    Scharnagl: Das halte ich für eine ganz törichte und absurde Bemerkung, denn wissen sie, Legenden werden nicht dadurch wahrer, dass man sie wiederholt.

    Heuer: Na, ich frage nur – wann war gestern? Also bis wann war das okay und ab wann ist das nicht mehr opportun?

    Scharnagl: Gestern, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, wann das begonnen hat. Ich meine, entschulidgen Sie, ich bitte Sie schon, jetzt hier nicht Schlachten gegen Tote zu schlagen. Strauß ist vor einem Vierteljahrhundert gestorben. Da war keiner dieser Abgeordneten, die heute in Rede stehen, je im Parlament.

    Heuer: Gut, dann reden wir heute, Herr Scharnagl. Wie kommt denn diese Affäre bei den Leuten in Bayern an? Schadet das der CSU bei den Wahlen?

    Scharnagl: Ja, dass das den Leuten stinkt, das ist doch klar. Dass das den Leuten nicht gefällt, ist auch klar. Aber jetzt muss – jetzt sorgt Horst Seehofer, den Sie ja gerade ein paar Mal so zwischendurch zitiert haben – Seehofer sorgt für Klarheit und sagt, nix gibt es mehr und Schluss ist damit, und dann muss aber auch mal der Schluss sein, da muss bei allen Parteien damit Schluss sein. Und dann packt man wieder an, dann konzentriert man sich wieder auf die Politik.
    Und das Ergebnis der Politik der CSU in Bayern ist ja von dieser Geschichte unberührt. Und dass Bayern ein Spitzenland ist, ein Fünf-Sterne-Land, dass Bayern an der Spitze aller 16 Bundesländer steht und dass Bayern das attraktivste Bundesland ist. Sonst würden nicht jeden Tag mit dem Umzugswagen Tausende von Menschen aus ganz Deutschland sich für Bayern entscheiden, hierher kommen, weil sie Zukunft finden, Arbeit finden, Existenz finden, Bildung für ihre Kinder finden. Wenn das alles, wenn Bayern nur so wäre, wie man jetzt aufgrund dieser Beschäftigungsdiskussion sagt, dann müssten wir ja ein Land sein, aus dem die Menschen flüchten. Das Gegenteil ist der Fall.

    Heuer: Vielleicht, Herr Scharnagl, würde Bayern noch schöner, wenn diejenigen, die ihre Familienangehörigen beschäftigt haben, das Geld einfach zurückzahlen.

    Scharnagl: Also, das ist auch jetzt wieder, ich mein, das ist – wenn die andere Leute beschäftigt hätten, die sie beschäftigen dürfen, dann wäre dieses Geld ja auch ausgegeben worden. Es ist ja nicht so, dass zusätzlich Geld ausgegeben worden ist aus der Steuerkasse und auf Kosten des Steuerzahlers, sondern das ist ausgegeben worden im Rahmen einer gesetzmäßig festgelegten Unkostenpauschale, die Abgeordnete bekommen. Das ist ja nicht so, dass hier jetzt etwas draufgesattelt worden wäre.

    Heuer: Und trotzdem sollte künftig damit Schluss sein, oder darf das weitergehen?

    Scharnagl: Es sollte damit künftig, und zwar rigide und so nach Seehofer-Art Schluss sein.

    Heuer: Wilfried Scharnagl, ehemals Chefredakteur beim "Bayernkurier" und engagierter Bayer, das haben wir gehört. Herr Scharnagl, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Heuer: Vielen Dank, alles Gute!

    Scharnagl: Ihnen auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.