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Schaumhochzeit

Ich glaube, die Funktion von Literatur ist, Vorurteile zu sprengen, Reaktionen hervorzurufen, den Leser gewissermaßen am Kragen zu packen, ihn zu beißen. Das ist etwas Körperliches.

Christoph Vormweg | 10.06.2003
    Karine Tuil, Jahrgang 1972, ist eigentlich gelernte Juristin. Doch sie hat ihre Doktorarbeit geschmissen, um mit ihren Romanen auf die Barrikaden zu steigen. "Schaumhochzeit" - der deutsche Titel wirkt da allzu poetisch im Vergleich zum Original Du sexe féminin , zu deutsch "Von weiblichem Geschlecht". Zwar wird hier nur die offizielle Formel der französischen Geburtsurkunde zitiert, doch schon das dem Roman als Motto vorangestellte Zitat winkt mit dem feministischen Zaunpfahl. Es stammt aus Simone de Beauvoirs berühmtem Essay "Das andere Geschlecht", der 1949 für heftige Debatten in Sachen Emanzipation sorgte. Auch wenn im letzten halben Jahrhundert von den jungen Frauen im Westen viel vom Heirats- und Unterwerfungsdruck gewichen ist, es gibt - wie in den Asterix-Comics - offenbar immer noch den exemplarischen Nebenschauplatz längst entschieden geglaubter Kriege.

    In Karine Tuils Roman Schaumhochzeit ist es eine Pariser Kleinfamilie jüdischer Herkunft. An ihrem 30. Geburtstag wird Emma Blum, Lektorin in einem Verlag für erotische Literatur, von ihrer verwitweten Mutter in die Mangel genommen: eine Schande sei ihre Ehelosigkeit, eine Schande ihre Single-Egozentrik, eine Schande ihr Männlichkeitsgehabe. Und weil Mutter es Ernst meint, wütet sie bis zum Herzinfarkt. Aber sie überlebt, und die Ärzte fordern Emma auf, sie zu pflegen.

    Das ist das ganze Problem dieses Buches: dass Emma eigentlich frei und doch von ihrer Mutter abhängig ist, dass sie sich auf ihren Druck hin in die Abhängigkeit von einem Ehemann begibt, später dann in die Abhängigkeit von der Kunst, die sie fasziniert, in die Abhängigkeit von virtuellen Wesen. Niemals schafft sie es, sich aus dem System der Abhängigkeit zu lösen. Sie kann nicht anders, sie ist letztlich unfrei.

    Mit den anderen Romanfiguren ist es nicht anders. Mit Ausnahme der Mutter - und das ist das Verwunderliche: denn sie ist die freieste von allen, während Emma und ihr Bruder völlig abhängig bleiben, von ihrer Gefügigkeit, ihrer Bedingtheit. Und ich wollte deshalb eben kein Happyend, das eine Emma zeigt, die sich ihrer Qualen entledigt.

    Trotz allen Aufbegehrens: Emma taugt also nicht zur Romanheldin. Denn sie ist viel zu befangen in ihrer Opferrolle. Doch beschränkt sich der Roman Schaumhochzeit keineswegs auf das Durchanalysieren der Blum´schen Familiendramen. Aufreizend ist vor allem Karine Tuils Hang zum Burlesken, mit dem sie die Klischees und Plattitüden des Psychokriegs durch den Kakao zieht. So versucht Emmas therapieabhängiger Bruder, der vor dem mütterlichen Liebesterror in die USA geflohen ist und dort als Anwalt Karriere gemacht hat, das Familiengezänk vergeblich mit juristischen Standardformeln zu schlichten. Oder es werden bei den Hochzeitsabsprachen mit Emmas potentiellen, ebenfalls jüdischen, aber kommunistisch-atheistischen Schwiegereltern eigentlich alle Erwartungen der Mutter enttäuscht - ohne dass sie das davon abhalten könnte, ihre "alte Jungfer" zu verheiraten.

    Meine ersten beiden Bücher kreisen um das Thema der jüdischen Identität. Das erste weniger, aber immerhin ist es die Geschichte einer Mischehe, die Geschichte eines Mannes, der seine Frau nach 20 Jahren Ehe umbringen will. In meinem zweiten Roman erzähle ich die Geschichte eines Auschwitz-Überlebenden, der im Alter von 70 Jahren erfährt, dass er kein Jude ist. Meine ersten drei Romane bilden also in gewisser Weise eine Trilogie über das Thema der jüdischen Identität und ihren Einfluss auf die familiären und sozialen Verhältnisse.

    Allerdings kehrt Karine Tuil den Aspekt der jüdischen Herkunft nur selten hervor - und wenn humorvoll, so wenn Emmas Bruder seine Ehefrau wegen einer deutschen Geliebten verlassen will. Denn letztlich, so legt ihr Roman nahe, handelt es sich im Familiären doch immer um dieselben Dramen und Traumata, die das Leben belasten: Dramen und Traumata, die sich nie ganz abschütteln lassen.

    Darin lag auch das Interesse des Buches: den Widerspruch, den Konflikt zwischen zwei Frauen-Generationen sichtbar zu machen: zwischen einer jungen Frau von 30 und ihrer 60jährigen Mutter. Letzten Endes begegnen sich hier zwei Frauen-Entwürfe: Denn die Mutter hat nicht vom Mai ´68 profitiert, von dieser Revolution, von der Befreiung der Frau.

    Die Unfreiheit der vermeintlich Freien nimmt Karine Tuil in ihrem Roman Schaumhochzeit immer wieder zielsicher auf´s Korn: sei es in Gestalt von Emmas Geliebtem, einem verheirateten Börsenmakler, sei es in Gestalt ihres Kurz-Zeit-Gatten, eines ständig Zitate absondernden Urologen, für den Literatur zum Antidepressivum geworden ist. Und doch: trotz aller skurril-ironischen Wendungen, trotz aller Zeitgeistkritik lastet auf dem Roman ein Beigeschmack. Denn es wird - auch wenn es ein Symptom unsere Gegenwart sein mag - zu viel psychologisiert, zu wenig erzählt.