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Schauspiel Frankfurt
Der Abend ist ein Bastard

Gleich zwei große Klassiker der Weltliteratur hat das Schauspiel Frankfurt an zwei aufeinander folgenden Abenden auf die Bühne gebracht. Und das in zwei Inszenierungen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Während Regisseur Philipp Preuss auf eine inhaltliche Durchdringung von Kafkas "Amerika" Roman-Fragment setzt, streicht der franko-kanadische Choreograph Dave St-Pierre in Shakespeares "Macbeth" den Text fast ganz.

Von Alexander Kohlmann | 18.04.2015
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (Hessen), aufgenommen am 09.12.2013.
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Ein Fahrstuhl ist ein seltsamer Ort. Die Kabine fährt ständig Auf und Ab und schwebt dabei zwischen den Ebenen. Es ist ein Ort, dessen Zustand immer ambivalent ist - und ein Ort, an dem man steckenbleiben kann. In Philipp Preuss Inszenierung ist der Protagonist die ganze Zeit in einem Fahrstuhl gefangen. Ein großer hölzerner Kasten steht auf der Bühne der Kammerspiele. Altmodisch sieht er aus, reich verziert und edel getäfelt. Eine Messing-Nadel auf einer Tafel über der Bühne ist unaufhörlich in Bewegung, es gibt keine Endstation und keinen Halt.
    Dafür viele Assoziationen von der Reise des Kafka-Protagonisten in ein imaginäres Amerika. Denn mit einer genauen Studie der Neuen Welt hat weder Kafkas Roman noch Philipp Preuss' Inszenierung etwas zu tun. Es ist ein "Amerika” des Ausgestoßen-Seins, ein Ort an dem die Verstrickungen der alten Welt noch nachwirken - als Projektionen hinter den transparenten Holztäfelungen zum Beispiel. Immer wieder werden auf die Wände Videos und Bilder eingespielt. Denn Preuss hat um seinen Fahrstuhl herum ein Film-Set aufgebaut. Hier produzieren fünf Schauspieler die Seelen-Bilder des Protagonisten.
    Eine Nation auf ihrem Weg zum Erwachsen werden
    Die Hauptrolle teilt sich das Ensemble, manchmal tauschen die Schauspieler mitten im Satz die Rollen. Jeder wird so zu einem anderen Teil der wahnhaften Innenwelt von Kafkas Amerika-Reisenden. Da ist zum Beispiel der Heizer auf dem Dampfer, dem der unglückliche Auswanderer ganz zu Beginn verfällt. Ein grobschlächtiger Weißer ist das, mit schwarz-geschminktem Gesicht und roten Lippen. Blackfacing im Maschinenraum. Wenig später verwandelt sich der Arbeiter in den reichen und furchterregenden Onkel. Dafür wischt sich der Schauspieler die schwarze Farbe ab und spricht fortan über bedrohlich-große Leinwandbilder zu jenem Mann, der hier von einer emotionalen Abhängigkeit in die andere taumelt.
    Wenn dieser Onkel später im Ku-Klux-Klan Kostüm den Protagonisten aus seinem Haus verweist, wird klar, dass sich in der Neuen Welt nicht nur er, sondern eine ganze Nation in einem Adoleszenz-Prozess befindet - die Jungen Vereinigten Staaten auf ihrem Weg zum Erwachsen werden. Beide taumeln zwischen den Traditionen des alten Europa und einer unbefriedigten Geilheit - zwischen frommer Vatertreue und dem Weg zur Weltmacht. Preuss bringt diese Bedeutungsebenen in einem faszinierenden Bilderspiel zusammen, in dem immer wieder die eine, nicht geglückte Ablösung auf die andere verweist.
    Um die Verwandlung eines hinreichend bekannten klassischen Textes geht es auch bei der zweiten Frankfurter Premiere in dieser Woche. Der franko-kanadische Star-Choreograf Dave St-Pierre hat sich Shakespeares "Macbeth" vorgenommen und daraus einen Abend gebaut, der im Gegensatz zu Preuss' Kafka-Adaption fast ganz ohne Worte auskommen will. Und dafür mit seinen Schauspielern nach Tanzfiguren und Bildern sucht. Zum Beispiel, wenn Constanze Becker den toten König zum Liebesakt besteigt. Es braucht keine Worte, um die sexuelle Dimension dieses Mordes zu verstehen.
    Als Geisterbahnfahrt auf die Bühne gebracht
    Bürotische werden hin und hergeschoben, aufgerichtet und gestapelt. Martialischer Lärm donnert die ganzen zwei Stunden aus den Lautsprechern. Eine Atmosphäre, die in Shakespeares düsteren Text alleine über Worte transportiert wird, bringt Dave St-Pierre als Geisterbahnfahrt auf die Bühne. Das Geschehen dämmert dabei die ganze Zeit in einem Halbdunkel, das kaum die Gesichter der Akteure erahnen lässt.
    Dazu gibt es riesige Bilder, die an Schlichtheit kaum zu überbieten sind. Da lässt die Lady den toten König auf einem Wagen an einem langen Seil durch den Raum kreisen. Und der Königssohn läuft krank vor Schmerz hinterher. Wir haben das schnell verstanden, aber die Szene dauert noch ziemlich lange an - und berauscht sich dabei an der eigenen Simplizität. Ebenso wie die Ermordung von Lady Macduff. Bei Shakespeare ist die Episode eigentlich ein Nebenkriegsschauplatz. Hier windet sich Katharina Bach vor einem hochkant gestellten Tisch, während dunkel vermummte Mächte sie von allen Seiten bedrängen und schließlich verschlingen.
    Und Constanze Becker als Lady Macbeth? Sie wirft ihre lange Mähne zurück und mordet sich als schwarze Witwe durch das illustrative Schauerspiel. Dass die Schauspieler nicht sprechen dürfen, aber auch nicht wie Tänzer durch komplexe Bewegungen bestechen können, macht die Sache nicht besser. Dave St-Pierre hat den Abend als Bastard bezeichnet und das ist er auch. Hilflos und unentschlossen taumelt er zwischen den Welten.