Freitag, 29. März 2024

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Schauspiel Frankfurt
Der Mensch hinter dem Denkmal Anne Frank

Über 70 Jahre ist es inzwischen her, dass die siebzehnjährige Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb. Durch ihr Tagebuch ist sie postum zu einer Ikone geworden, zu einem Denkmal, an das immer wieder erinnnert wird. Mit ihrem Theaterabend "Anne" wollen neun Jugendliche am Schauspiel Frankfurt dem Menschen hinter diesem Denkmal näher kommen.

Von Alexander Kohlmann | 09.01.2015
    "Ich bin nicht reich, nicht hübsch, nicht intelligent und klug, aber ich bin und werde glücklich sein, ich habe eine glückliche Natur, ich liebe die Menschen, bin nicht misstrauisch und will alle mit mir zusammen glücklich sehen."
    In der Mitte der Bühne steht ein riesiges, glänzendes Auge aus Pappmaschee. Ein starkes Symbol ist das, für den Blick einer Dreizehnjährigen auf die Welt. Eine Dreizehnjährige, deren Tagebuch ganze Generationen von Schülern und Erwachsenen berührt hat. Zum Ende des Stücks werden drei große, mehrgeschossige Betten auf die Bühne gerollt, die unschwer an Anne Franks Ende im KZ Bergen-Belsen erinnern.
    "In geschlossenen Vieh-Waggons ist es tagsüber unerträglich heiß und nachts bitterkalt. Es gibt weder Nahrung noch Trinkwasser. Und kein Sanitär."
    Doch der Abend am Jungen Schauspiel Frankfurt will das Schicksal Anne Franks mitnichten nur mit dem Blick auf ihre Ermordung behandeln. Im Gegenteil, gerecht wird ihrer Persönlichkeit nur, wer sich mit ihrem kurzen Leben auseinandersetzt, meint Darstellerin Nina Mohs. Und das hat in vielen Aspekten erstaunlich viel mit ihrem eigenen zu tun.
    "Auch ich in der Pubertät hatte oder habe ich jetzt noch ähnliche Gedanken wie Anne Frank und das ist einfach so eine Entwicklung, die jeder auf seine eigene Art und Weise durchmacht, deswegen - für mich ist es zeitlos."
    Die siebzehnjährige Abiturientin ist eine der neun jungen Schauspieler, die gemeinsam das Projekt erarbeitet haben. Im Verlauf der Proben ist Anne ihr sehr nahe gekommen, sagt Mohs. Besonders fasziniert hat sie, dass Anne Frank in ihren Aufzeichnungen überhaupt keine Verachtung für diejenigen erkennen lässt, die sie dazu zwingen, ihr Leben im Versteck zu verbringen. Die historische Person ist so zu einem Vorbild geworden, sagt die Nachwuchs-Schauspielerin.
    "Ich bewundere ja Anne total, weil sie wirklich diese Feindseligkeit gar nicht so ausgelebt hat, wie ich es vielleicht getan hätte. Und deswegen finde ich, sollte man dafür gerade stehen."
    Genau um diese emotionale Erfahrung gehe es, sagt die Theaterpädagogin und Regisseurin Martina Droste. Während der Proben haben sich ihre neun Darsteller intensiv mit der Textvorlage beschäftigt, dem Tagebuch der Anne Frank. Auch das Versteck der Familie in Amsterdam hat die Regisseurin mit ihren jungen Schauspielern besucht. Und auf diese Weise jedem von ihnen einen ganz persönlichen Zugang zu der Person ermöglicht.
    "Die Spieler haben sich aus den vielen Tagebuch-Texten die Texte ausgesucht, die ihnen besonders nahe waren. Und dadurch entsteht so ein Gesamtgefühl für sich selbst und die Welt. Und diese Texte wurden ein Teil davon."
    Durch die Emotionen entsteht erst die körperliche Spannung, die die jungen Darsteller auf der Bühne zum Ausdruck bringen. Jeder von ihnen verarbeitet die Konfrontation mit dem Tagebuch auf ganz eigene Weise. Auf der Bühne spielt niemand eine bestimmte Person, sondern jeder für sich verkörpert eine Facette von Annes Persönlichkeit. Das funktioniert ganz prima, wenn eine von ihnen im Sommerkleid den unbedingten Willen zum Glücklichsein, auch im Versteck, in eine körperliche Haltung verwandelt.
    Unter den Darstellern sind nicht nur junge Frauen, sondern auch Männer. Einer von ihnen ist der einundzwanzigjährige Student Marius Huth. Ihn hat vor allem der gegenwärtige Zugriff auf den Stoff fasziniert.
    "Wir sind wir, und wir beschäftigen uns mit dem, was Anne aufgeschrieben hat, und schauen, was ist das heute und was ist es jetzt und was ist es für uns, und was ist es für die anderen auch, denn wir beobachten die auch dabei."
    Dabei ist besonders der Aspekt der Angst für viele der Jugendlichen wichtig - und die Strategien sie zu bewältigen - und mit ihr zu leben. Auf der Bühne entsteht so das Gegenteil von einer rührseligen Opfergeschichte. Es wird nicht nur der Mensch Anne Frank in einem sehr differenzierten Charakter-Porträt in den Vordergrund gerückt. Sondern es entstehen auch neun Einzel-Porträts von Jugendlichen von heute, die sich liebevoll mit der Protagonistin auseinandersetzen - und identifizieren.
    Die Monstrosität des Holocaust, sie wird in dieser Konstellation besonders emotional erfahrbar. Der Abend endet aber nicht in Bergen-Belsen, sondern die Jugendlichen lassen ganz am Schluss noch einmal ihre Anne zu Wort kommen, die inzwischen längst zu einer von ihnen geworden ist.
    "Wenn ich still oder ernst bin, denken alle, dass es eine neue Komödie ist und ich muss mich mit einem Witz retten und suche dauernd nach einem Mittel, um so zu werden, wie ich gerne sein würde und wie ich sein könnte, wenn keine anderen Menschen auf der Welt leben würden."