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Schauspiel
Komödiantisch aufgedrehte Zöpfe

Regisseurin Babett Grube verpasst Marianna Salzmanns neues Stück "Wir Zöpfe" am Maxim Gorki Theater in Berlin eine schauspielerische Lockerungskur. In einer Inszenierung, die vergeblich versucht, das Stück in neunzig langen Minuten mit komödiantischer Aufgedrehtheit zu retten.

Von Hartmut Krug | 05.02.2015
    Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
    Lauter verlorene Seelen geistern durch das Stück "Wir Zöpfe" am Maxim Gorki Theater in Berlin. (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Familiengeschichten, Lebens- und Liebesprobleme, die sich durch die Generationen ziehen, sind meist die Themen von Marianna Salzmanns Stücken. Bei "Muttersprache Mameloschn" gelang ihr damit ein poetisches und tiefgründig leichtes Stück, während "Schwimmen gehen" immerhin locker-spielerische Unterhaltung bot.
    Verpackte tiefere Bedeutung kommt nicht an
    Auch bei "Wir Zöpfe" beweist sie, dass sie Dialoge schreiben kann. Doch ein Stück wird nicht aus ihnen. Die dramaturgische Bastelei von "Wir Zöpfe" stellt nicht Klarheit jenseits von Klischees her, sondern setzt gewaltig auf in Witzeleien verpackte tiefere Bedeutung. Wobei beides zu Schaden kommt.
    Lauter verlorene Seelen geistern durch das Stück. Seelische Verletzungen, Einsamkeit und Sehnsüchte: Das sind die Probleme. Im Zentrum steht eine jüdische Familie aus Russland. Der krebskranke Großvater ist Veteran der Roten Armee, die Mutter Ärztin und die an ihrer gescheiterten Beziehung zu John, einem Gebrauchtwarenhändler aus Amerika, leidende Tochter ist arbeitslos. Dazu ein kurdischer Blumenhändler aus der Türkei, der von Neo-Nazis zusammengeschlagen wurde:
    "Sie kamen vor drei Wochen in seinen Blumenladen und wollten Schutzgeld."
    "Beim ersten Mal taten sie mir nichts. Nur meine Blase brannte. Aber dafür konnten sie nichts, das habe ich seit der Kindheit."
    "Beim zweiten Mal nässte er sich ein und sie fassten ihn nicht an. Das war wie ein Schutzreflex von ihm."
    "Er dankte Gott für seine Blasenschwäche."
    "Ich bin NICHT INKONTINENT! Ich weiß nicht, was Gott mit mir vor hat. Ich bin Mitte fünfzig und meine Haare sind schon ganz grau. Aber den Frauen gefällt es manchmal."
    Aufdringliche poetische Sinnsuche
    Dann gibt es noch einen dealenden Krankenhauspfleger. Der macht sich auf den Spuren von Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" recht aufdringlich auf poetische Sinnsuche, indem er als Engel von der Siegessäule herab steigt.
    Salzmann beschwert ihr Stück mächtig mit tieferem Sinn. Es geht kaum um die religiösen Prägungen der aus unterschiedlichen Ländern kommenden Figuren, sondern um deren so allgemeine wie einfache Beziehungssehnsüchte. Und die titelgebenden Zöpfe werden im Stück zu Haaren, die der eine nicht mehr hat und die die andere abschneidet.
    Regisseurin Babett Grube nun verpasst dem Stück eine schauspielerische Lockerungskur. Bei ihr wirken die Figuren vor allem lustig bis skurril. Denn sie setzt erbarmungslos auf Komik und Geschwindigkeit. Das rattert so dahin und bleibt doch öfter in Spannungslöchern stecken. Und hat mit einer langen Szene eine überflüssige Hinzufügung, in der die geschmacklosesten und bösesten Witze über und gegen allerlei, vor allem über Frauen und Homosexuelle erzählt werden.
    Doch dadurch, dass die Darsteller sich immer wieder an der Rampe zur Gruppe zusammenballten und als Bedeutungschor Berlin verkörperten, war längst klar, dass Berlin und seine Menschen, nun sagen wir mal, so mehrdeutig wie kompliziert sind.
    Komödiantische Aufgedrehtheit
    Gespielt wird auf enger Vorbühne, denn die Bühne wird vom riesigen Hinterteil eines Kaninchens ausgefüllt. Mag sein, dies ist eine Anspielung auf die vielen schnellen sexuellen Kontakte im Stück. Die Mutter, von Ilknur Bahadir als eine in ihren Sehnsüchten sich schier mimisch-gestisch verkrampfende Frau gespielt, hat auch Sex mit dem Amerikaner, dessen Kind ihre Tochter abgetrieben hat. Diese ungeborene Tochter geistert nun im großen Strampelanzug durch die Szenen und erinnert seine Fast-Mutter Nadeshda, die Anastasia Gubareva fast erstarren lässt in Trotz und Trauer, daran, was hätte sein können.
    Dimitrij Schad spielt das Kind mit wunderbar zurückhaltendem Witz und schließlich als Todesengel, der sich mit dem Großvater hoch oben auf dem Kaninchen in den Tod zurückzieht.
    Nach einer langen gemeinsamen Weihnachtsfeier voller erwartbarer Klischees, bei der die Mutter fast erstickt an ihrer Verklemmung und ihren bombastischen Knödeln, gibt es einen offenen Schluss eines Theaterabends, dessen Text recht vorhersehbar aufgemotzt wirkt. In einer Inszenierung, die vergeblich versucht, das Stück in 90 langen Minuten mit komödiantischer Aufgedrehtheit zu retten.