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Schauspielhaus Basel
Bluthochzeit als kraftmeiernde griechische Tragödie

In der "Bluthochzeit" geht es nicht nur um Mord und Totschlag, sondern um den Ruf der Wildheit und der sexuellen Triebe. Messer und schweißnasse Pferde sind wiederkehrende Symbole. Blut ist in der Inszenierung von Calixto Bieito ein Symbol für die Leidenschaft.

Von Christian Gampert | 26.01.2014
    Weihrauch hängt in der Luft. Der Regisseur Calixto Bieito will uns offenbar auch olfaktorisch einstimmen auf das Sakral-Theater, auf die große theatralische Bußübung, die er uns und den Schauspielern zwei Stunden lang zumuten wird. Dabei geht es bei Garcia Lorca doch um das große Begehren, die unwiderstehliche Kraft des Sexus. Bei Bieito hat von vornherein die Kirche gewonnen, die Ehre, die Konvention, der Machismo. Und, leider, auch das Pathos.
    Es gibt viele Möglichkeiten, mit den Stücken Garcia Lorcas heute umzugehen. Nicht jeder wird die Tiefe von Peter Zadeks legendärer "Yerma"-Inszenierung aus den 1980iger Jahren erreichen, die (am Hamburger Schauspielhaus) den Kinderwunsch der Protagonistin psychologisierte, ohne die Archaik der dörflichen spanischen Konvention außer Acht zu lassen. Natürlich kann man die Stücke auch postmodern zerfleddern - aber ganz ohne Psychologie, ohne Gefühlsanalyse wird man nicht auskommen, wenn man die Figuren ernst nehmen möchte.
    Calixto Bieito, der seine kraftmeiernde Blut-und-Sperma-Phase offenbar endgültig hinter sich gelassen hat, entscheidet sich aber für reines, deklamatorisches Sprechtheater, kraftmeiernde griechische Tragödie im Gewand des traurig-schwarzen spanischen Katholizismus. Man kann das so machen, wenn man die Schauspieler dafür hat. Hat man in Basel eher nicht - der Tragöde besteht ja nicht nur aus Pathosformeln, da käme dann doch noch etwas mehr…
    In der "Bluthochzeit" geht es nicht nur um Mord und Totschlag, sondern um den Ruf der Wildheit und der sexuellen Triebe; Messer und schweißnasse Pferde sind wiederkehrende Symbole. Blut hat bei Lorca - etwas altertümlich - mit dem heißen Blut der Leidenschaft zu tun, aber auch mit dem dürren Boden der spanischen Wüste, wo jede Abweichung brutal bestraft wird. "Man muß dem Weg des Blutes folgen", "am Ende war das Blut stärker", "ich war eine Frau, die in Flammen stand, voll schwärender Wunden innen und außen" – mit solchen Sätzen wird bombardiert, wer sich auf das Hochzeitsdrama einläßt: Zwangsverkaufte Braut wird kurz vor der Trauung von ihrem wahren Lover entführt, der selbst wiederum verheiratet ist und vom Bruder der Braut gemeuchelt wird.
    Bei Bieito sieht die Aufführung aus wie eine tragisch umwehte Stellprobe mit Beleuchtung, und es steht zu befürchten, dass das rein praktische Gründe hat. Bieito kommt von der Oper, und er reiht seine Schauspieler wie Sänger auf, nur dass sie halt nicht singen, sondern rezitieren. Er hat sich einfach in der Sparte vertan. Zum anderen: Exakt sieben Tage vor dieser Basler "Bluthochzeit" hatte Bieito in Mannheim noch eine andere Premiere, Shakespeare "Der Sturm". Man mag sich fragen, wie einer das schafft - zwei so unterschiedliche Stücke gleichzeitig zu inszenieren.
    Offenbar kommt man im Zug zwischen Basel und Mannheim über zwei, drei Grundgedanken nicht hinaus. In Mannheim steht der Prospero zwei Stunden statuarisch in einer Barke, in Basel stehen die Figuren zwei Stunden statuarisch vor einem (an einem Gitter) in die Höhe gebauten Haufen Stühle (Bühne: Calixto Bieito). Wer nicht inszeniert, sondern nur durchstellt, verdient doppelt, und es ist mit der Zeit einfach nervend, all diesen Mehrfachverdienern (und es nicht nur Bieito) bei ihren diversen Aktivitäten zuzusehen. Thalheimer, Lösch, Pollesch, zum Teil auch Falk Richter – man möge mal deren Terminkalender betrachten. Theater kaufen Regisseure als Markenartikel ein, und das Label liefert dann immer das Gleiche: Thalheimer seine gewalttätige Verkünstlichung, Lösch seine Betroffenheits-Chöre, Pollesch sein Gelaber. Calixto Bieito liefert bedeutungsvoll raunendes Aufsage-Theater, seit er entdeckt hat, dass die Gewalttat in der Oper irgendwie anstrengend ist.
    In der Basler "Bluthochzeit" sieht man eine alte Frau, die sich im Haß auf die Mörder ihres Mannes und Sohnes verzehrt, der der Haß zum Lebenselixier geworden ist; man sieht eine ungeliebte Frau, der die Fruchtblase platzt, und eine andere, die an der Rampe mit der Stuhllehne onaniert; man sieht einen braven, athletischen Bräutigam, der die zugelieferte Braut erwartungsvoll betastet - und das wider alle Konvention füreinander entflammte Paar, das übereinander herfällt und flieht. Dahinter der Haufen Stühle, auf denen keiner richtig sitzen kann, die aber am Ende wie in der Kirche zu langen Reihen aufgestellt werden. Der aus dem katholischen Katalonien kommende Bieito kann sich Blutrache und Liebe offenbar nur als nebelumwallten Gottesdienst, als Exerzitium vorstellen: hic est corpus meum. Aber der Körper ist in dieser Inszenierung nur Behauptung. Es regiert die Sprache, und bei Bieito ist das: der hohle Spruch, der Tragödenton.