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Scheel begrüßt Kompromiss im Defizitverfahren gegen Deutschland

Stefan Heinlein: Bei uns am Telefon ist jetzt die grüne Finanzexpertin Christine Scheel, sie ist die Vorsitzende des Bundestagsfinanzausschusses. Frau Scheel, freuen Sie sich über den Sieg von Hans Eichel?

    Christine Scheel: Ja, klar freue ich mich. Ich freue mich vor allem auch deswegen, weil wir auch gestern noch eine Sondersitzung des Finanz- und Haushalts- und Europaausschusses hatten und genau über diese Fragen diskutiert haben, wie kriegen wir das hin, in Brüssel unser Vorhaben in Deutschland klar zu machen - auf der einen Seite Konsolidierung vornehmen zu wollen, Strukturreformen machen zu wollen und aber auch Wachstumsimpulse zu setzen. Und das ist gelungen.

    Heinlein: Ist diese Einigung tatsächlich ein Kompromiss, wie Hans Eichel nach der Sitzung gesagt hat, oder hat sich der Bundesfinanzminister auf ganzer Linie durchgesetzt?

    Scheel: Ich würde einmal sagen, das Ziel war und ist wohl auch jetzt, das ist ja das Schöne, eine gemeinsame und vor allem auch ökonomisch verantwortbare Lösung. Denn wir wissen alle, dass wir eine Wachstumsschwäche in Deutschland haben und dass man natürlich, wenn man sieht, dass die Konjunktur leicht anspringt, und das ist immer so wie ein Pflänzlein, das langsam so aus dem Beton rauskommt und ergrünt, dass man nicht gleich darauf herumtrampeln darf. Und deswegen ist es gut, jetzt eine Lösung gefunden zu haben, wo man sagt, der Stabilitätspakt ist uns sehr ernst, also wir leisten hier wirklich einen Beitrag zu einer Weiterführung des europäischen Wachstums- und Stabilitätspaktes und gleichzeitig sind wir aber auch in Deutschland in der Lage, mit unserer Strategie im Haushalt und auch für die Wirtschaft hier voranzukommen.

    Heinlein: Aber, ist Ihr Bekenntnis zum Eurostabilitätspakt nur ein Lippenbekenntnis? Denn tatsächlich ist das gestern, nach Meinung von Pedro Solbes, ja ein schwarzer Tag für den Euro gewesen.

    Scheel: Ich sehe das überhaupt nicht so, denn Stabilität und Wachstum stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang und mit unseren konsequenten Strukturreformen, die wir ja jetzt in Deutschland auch vorgelegt haben, die wir ja auch gegenüber Brüssel bereits Anfang diesen Jahres beweisen mussten, legen wir wirklich die Basis auch für ein gutes Wachstum. Wir wissen alle, dass wir nur mit einem soliden Wachstum auch die Haushalte nachhaltig konsolidieren können. Deswegen muss auch Solbes dann zufrieden sein.

    Heinlein: Aber, solides Wachstum auf Kosten der Stabilität des Euro?

    Scheel: Der Euro ist sehr stabil. Wir leisten mit der deutschen Finanz- und Wirtschaftspolitik einen erheblichen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität in Europa. Das heißt, es gibt ein hohes Maß an Preisstabilität, es gibt eine maßvolle Lohnentwicklung, es gibt weitreichende Strukturreformen zur Stärkung des Wachstumspotentials. Das hat sich jetzt in der Nacht wohl durchgesetzt und wurde von den anderen Ländern auch anerkannt.

    Heinlein: Warum müssen sich Deutschland und Frankreich nicht wie jeder andere EU-Staat an die Inhalte der Maastrichter Verträge halten und ihre Schulden bereits im kommenden Jahr unter die drei Prozent Marke drücken?

    Scheel: Man muss mal klar sehen, und ich finde, es wird so oft verschwiegen, wir haben in Deutschland eine besondere Situation: Wir hatten die Wiedervereinigung mit vielen Kosten - ich will jetzt nicht lang zurückblicken - aber auch mit falschen Finanzierungen. Und das macht sich natürlich sowohl im Bundeshaushalt als auch in den Sozialkassen heute noch bemerkbar, und deswegen finde ich es richtig, dass wir gegenüber Brüssel hier eine klare Ansage gemacht haben. Gleichermaßen müssen wir aber bekennen, dass wir unser strukturelles Defizit, was wir in Deutschland nach wie vor haben, mit einer vernünftigen Entwicklung in 2004 zu bekämpfen versuchen. Die gesamten Verhandlungen in Deutschland stocken aber momentan, und ich hoffe, dass die Union – weil wir jetzt in der Bringschuld sind - soweit mitgeht im Vermittlungsverfahren, wo derzeit über zehn Gesetze hängen. Dass man bei diesen Vermittlungsausschussverhandlungen jetzt, die ja hoffentlich etwas kalkulierbarer werden, so weit geht, dass die Opposition in Deutschland, die ja bislang alles blockiert hat, sagt, lasst uns doch die Steuerreform jetzt machen, lasst uns Steuersenkungen machen, um die Konjunktur anzureizen, lasst uns aber auch jetzt die Schritte gehen für Subventionsabbau und lasst uns endlich den Mut haben, auch das Notwendige zu tun, auch wenn es weh tut in manchen Bereichen. Aber, lasst uns mitgehen.

    Heinlein. Allerdings, die Opposition hat vorab klar gemacht, dass es kein Vorziehen der Steuerreform ohne eine Erfüllung der Brüsseler Sparauflagen gibt. Glauben Sie, dass durch dieses Junktim nun die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss schwieriger werden?

    Scheel: Das glaube ich nicht, ich glaube, dass die Union nur einen Ausweg in ihrer Begründung gesucht hat. Und zwar deswegen in ihrer Begründung, weil sowohl in der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, als auch in den unionsregierten Ländern keine Einigkeit darüber besteht, was man denn eigentlich will. Jeder hat irgendwelche anderen Vorstellungen und Ideen, und die Union hat es bislang nicht geschafft, das zusammenzubringen. Und jetzt hat man nach Brüssel geschaut und gehofft, dass für die Union ein gutes Argument herausspringt zu sagen, ja, Brüssel hat Deutschland abgewatscht, und deswegen können wir uns dann auch weiter destruktiv verhalten. Das passt dann ja irgendwie zusammen. Aber nachdem heute Nacht ein sehr schönes Ergebnis erzielt worden ist, gibt es, wenn man für das nächste Jahr wirklich Wachstum will, wenn man es ernst meint, dass Deutschland nach vorne kommen soll, überhaupt keinen Grund mehr, warum die Union im Vermittlungsverfahren ein solches Schmierentheater teilweise aufführt. Sondern sie muss jetzt klar sagen, ob sie ernsthaft dafür ist, dass wir jetzt wirklich Subventionen abbauen. Und wir haben hier Vorgaben gemacht, die sowohl für den Haushalt, als auch für die Entwicklung der Wirtschaft für das nächste Jahr positiv sein können.

    Heinlein: Ein "schönes Ergebnis" sagen sie, Pedro Solbes sieht das ja ganz anders. Er spricht gegenüber Journalisten sogar von einem illegalen Ergebnis und die EU-Finanzminister waren sich ja nicht ganz einig, denn Finnland, Österreich, die Niederlande und das Schwergewicht Spanien haben ja gegen diesen Kompromiss gestimmt. Spaltet diese Brüsseler Einigung die Europäische Union?

    Scheel: Das glaube ich auf keinen Fall. Sondern ich denke eher, die Nacht war bestimmt sehr hart, man hat die Positionen ausgetauscht und letztendlich geht es doch auch darum, dass wir in unserer Volkswirtschaft, und Deutschland ist ja nicht gerade das kleinste Land in der Europäischen Union, die Möglichkeit haben, uns wirtschaftlich nach vorne zu orientieren.

    Heinlein: Auf Kosten von Finnland, Österreich, Niederlande und Spanien?

    Scheel: Ich sehe das überhaupt nicht auf Kosten von diesen vier Ländern, sondern ich sage, wir haben eine ökonomisch sinnvolle Situation geschaffen. Denn es heißt ja nicht nur Stabilitätspakt, sondern es heißt Stabilitäts- und Wachstumspakt. Und wenn ein Land ausgebremst wird in seinen Wachstumsentwicklungen und all dem, was ökonomisch auch notwendig ist derzeit, dann bedeutet das ja für den gesamten Euroraum negative Konsequenzen. Dahingehend darf man das nicht umdeuten, sondern ich finde, der Kompromiss, der ja gefunden wird, dass man sagt, wir sind ja bereit, dass wir unser strukturelles Defizit für 2004 dann auch lösen, wir leisten ja einen Beitrag. Deswegen ist es, denke ich, ein gutes Ergebnis.

    Heinlein: Das war die grüne Finanzexpertin Christine Scheel, vielen Dank für das Gespräch.