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Scheibchenweise gegen den Hirntumor

Gegen das Glioblastom - den aggressivsten Hirntumor - gibt es bislang nur eine Standard-Therapie: Operation mit anschließender Bestrahlung und Chemotherapeutikum. Auf der Suche nach weiteren Wirkstoffen wird meistens auf Tierversuche gesetzt. Deutsche Forscher testeten jetzt aber am Originaltumor selbst - in sehr dünne Scheiben geschnitten.

Von Franziska Badenschier | 30.04.2013
    Bei manchen beginnt es mit ungewohnten Kopfschmerzen. Andere haben ganz überraschend einen epileptischen Anfall. Tag für Tag bekommen rund 14 Menschen in Deutschland die Diagnose: Sie haben ein Glioblastom – den aggressivsten Hirntumor, den man haben kann. Dieser Tumor im Kopf wächst so schnell, dass den Betroffenen im Durchschnitt nicht mehr viel Zeit zum Leben bleibt, sagt der Neuro-Onkologe Wolfgang Wick von der Universitätsklinik Heidelberg und vom Deutschen Krebsforschungszentrum.

    "Diese mittleren Werte sind so, dass nach Diagnosestellung ohne Therapie Patienten leider meistens innerhalb weniger Wochen versterben, das heißt so: wenige Wochen – keine zwei Monate, die sie diese Diagnose überleben."

    Ein, zwei zusätzliche Monate Überlebenszeit kann eine Operation bringen. Dabei wird so viel wie möglich von dem Glioblastom aus dem Gehirn herausgeschnitten. Es bleiben aber immer Krebszellen im Gehirn zurück. Mit Bestrahlung lässt sich die Überlebenszeit auf durchschnittlich ein Jahr nach der Diagnose ausdehnen. Und eine Chemotherapie kann noch ein paar Monate bringen. Nur Einzelfälle überleben mehrere Jahre – wenn sie gut auf die Chemotherapie ansprechen, sagt Wick.

    "Es gibt nur eine einzige Chemotherapie, die für das Glioblastom, für Patienten mit Glioblastom in der Primärtherapie zugelassen ist. Das ist das Temozolomid."

    Temozolomid: Dieser Wirkstoff kann verhindern, dass sich das Erbgut der Krebszelle verdoppelt. Dann kann sich die Zelle nicht mehr teilen, der Tumor nicht mehr wachsen.

    Welche anderen Wirkstoffe gegen ein Glioblastom helfen, das untersuchen Wissenschaftler seit Jahren. Oft mussten Labormäuse herhalten, sagt der Neuro-Pathologe Ingo Bechmann.

    "Das besonders Belastende bei dieser Form von Tierexperimenten ist, dass man da sogenannte Kaplan-Meier-Kurven macht, das heißt, man wartet, bis die Hälfte der Tiere tot ist. Die sterben sozusagen an der Größe des Tumors und an Einklemmungen im Gehirn. Diese Art von Forschung gibt es sehr lange und man kann schon sagen, dass es im Ergebnis keinen Durchbruch gab, diesen Tumor sozusagen in seiner hässlichen Aggressivität besser zu verstehen. Das war unser Anfangspunkt: Warum nimmt man eigentlich nicht den Originaltumor in Kultur?"

    Ingo Bechmann leitet das Institut für Anatomie an der Universität Leipzig. Und er möchte, dass man keine Mäuse mehr braucht, um menschliche Glioblastome zu erforschen – sondern nur noch den Hirntumor selbst. Dafür hat er zusammen mit Kollegen eine Technik entwickelt, wie sich aus einem Glioblastom sogenannte Schnittkulturen herstellen lassen. Dazu braucht man nur etwas von dem Tumor-Gewebe: mitsamt der Matrix, in die die Krebszellen eingebettet sind.

    "Man nimmt kleine Gewebeblöcke und schneidet die in ein Drittel Millimeter dicke Scheiben. Dann legt man die auf eine Membran, die von unten her ernährt wird mit einem Nährmedium. Dann ist dieses System offen, das heißt wir können ganz einfach Medikamente dazugeben und sehen, was passiert. Wir können Medium entnehmen und darin nach Markern suchen, die Zelltod zum Beispiel ankündigen oder widerspiegeln. Und wir können da hineinmikroskopieren."

    Das Prinzip der Schnittkulturen gibt es schon seit Jahren. Aber für die Forschung mit menschlichen Hirntumoren wurden sie bislang nicht eingesetzt. Dabei könnte sich das lohnen, berichtet Bechmanns Team im Fachmagazin "Neuro-Oncology". Gesunde Zellen überleben in Gewebeschnitten gut eine Woche. Die Hirntumor-Zellen in den ersten Versuchen haben aber mindestens 16 Tage überlebt, manche sogar gut einen Monat. Genug Zeit also für Experimente. So wurden manche Glioblastom-Schnittkulturen mit Schwer-Ionen bestrahlt, andere mit dem Standard-Wirkstoff Temozolomid behandelt:

    "Wir haben hier zwei verschiedene Tumoren, die wir gleich behandelt haben zur gleichen Zeit und über die gleiche Zeitdauer hinweg. Wir sehen, dass der eine Tumor auf das eben auch bei Patienten verwendete Therapeutikum anspricht, sehen eine Zunahme, eine statistisch signifikante Zunahme der sterbenden Zellen."

    Mehr sterbende Zellen, das heißt: Weniger Krebszellen, die sich unentwegt teilen und den Tumor wachsen lassen. Bei dem anderen angesprochen Hirntumor hingegen hat sich die Schnittkultur nicht sonderlich verändert, nachdem das Medikament dazugegeben wurde.

    "Wenn wir hier sehen im Testsystem, dass eine Probe eines Patienten gut anspricht, dann müssen wir als Nächstes zeigen, dass das eben auch bei dem konkreten Patienten, von dem die Probe stammt, der Fall ist."

    Mit den Schnittkulturen ließen sich aber auch neue Therapieansätze ausprobieren. Damit die Menschen, die den aggressivsten Hirntumor haben, in Zukunft nicht mehr nur auf die eine einzige Standardtherapie vertrauen müssen, sondern auch eine Alternative bekommen.