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Scheidender US-Botschafter Emerson
"Man sollte nicht so einen Wirbel veranstalten"

Der scheidende Botschafter der Vereinigten Staaten in Berlin, John B. Emerson, hat vor dem heutigen Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident für Ruhe und Besonnenheit plädiert. "140-Zeichen-Tweets oder ein Auszug aus einem Interview" seien "weit entfernt von der tatsächlichen Politik, die diese gigantische US-Politik-Maschine entwickelt", sagte Emerson im DLF.

John B. Emerson im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.01.2017
    Der scheidende US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson
    Der scheidende US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson (picture-alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Die Äußerungen Donald Trumps seien "weit entfernt von der tatsächlichen Politik", betonte Emerson. Nach Ansicht des US-Botschafters dürfe man ihnen deshalb nicht so viel Bedeutung beimessen. Die Lage sei nicht mehr wie bisher, wo man jede Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Staaten als Ausrichtung seiner Politik bewertet haben könne.
    Grundsätzlich aber würden die USA auch weiterhin ein verlässichler Partner für Europa und Deutschland sein, sagte Emerson. Denn viele Kongress-Mitglieder engagierten sich für das europäische Projekt, zudem seien der designierte Außenminister und der künftige Verteidigungsminister "überzeugte Internationalisten".
    Kritik übte der scheidende Botschafter an Trumps Umgang mit Journalisten. "Offen gesagt, die gesamte im Weißen Haus akkreditierte Presse hätte überlegen sollen, ob sie an nicht aufstehen und den Saal verlassen soll", sagte Emerson mit Blick auf Trumps erste Pressekonferenz. Journalisten müssten sich "ernsthaft und sorgfältig überlegen, wie sie über diesen neuen Präsidenten berichten werden".

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Werden die USA unter Donald Trump ein verlässlicher Partner für Europa und Deutschland sein?
    John B. Emerson: Ja, das glaube ich. Es gab zwar offensichtlich widersprüchliche Aussagen in der Übergangszeit. Grundsätzlich werden die Vereinigten Staaten ein verlässlicher Partner für Europa und Deutschland sein, weil dies sehr im Interesse von Amerikas nationaler Sicherheit liegt. Es geht dabei nicht nur um die Regierung. Vergessen Sie nicht, dass sich viele Kongress-Mitglieder für das europäische Projekt engagieren. Interessanter als spontane Interview-Äußerungen des gewählten Präsidenten sind die Aussagen des designierten Außen – und des Verteidigungsministers. Sie haben sich sehr klar etwa zur NATO bekannt. Beide sind überzeugte Internationalisten. Ihr ganzes Berufsleben hatte damit zu tun. Beide werden diesen Teil der Regierungsarbeit gestalten.
    Christoph Heinemann: Herr Trump hat sich nicht klar über die NATO geäußert…
    John B. Emerson: Nein, das hat er nicht. Und das sogar in ein und demselben Satz. Dem sollte man aber nicht so viel Bedeutung beimessen. Ich sage allen immer wieder, man sollte wegen der Tweets oder spontaner Interview-Äusserungen nicht so einen Wirbel veranstalten. Denn diese sind Mittel, mit denen Donald Trump auch weiterhin mit seiner Basis kommunizieren wird. Das sind zwei unterschiedliche Welten. Wir werden nicht mehr in eine Lage kommen, wie wir sie bisher kannten, wo jede Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Staaten als Ausrichtung seiner Politik bewertet werden kann. Er ist jemand, der ausspricht, was er denkt. Und das wird er auch weiterhin tun. 140-Zeichen-Tweets oder ein Auszug aus einem Interview ist weit entfernt von der tatsächlichen Politik, die diese gigantische US-Politik-Maschine entwickelt. Dort wird sehr viel eingespeist, bevor es in konkrete Politik mündet. Man sollte vorsichtig sein. Natürlich sollte man beachten, was er sagt. Aber nicht überreagieren.
    Christoph Heinemann: Er sagt, was er denkt, meinten Sie gerade. Gesagt hat er "make America great again". Was bedeutet das?
    John B. Emerson: Ich glaube, dass Amerika bereits groß ist. Er hat damit seine politische Basis angesprochen. Menschen in den USA, die sich durch das Tempo der Globalisierung und des technologischen Wandels zurückgelassen fühlen. Die meinen, dass sich die etablierten Institutionen der Regierung und der Wirtschaft, die Wall Street, nicht mit ihrer Lage beschäftigen. Sie sind verärgert und frustriert. David Axelrod, ein Berater von Präsident Obama, sagte am Tag nach der Wahl, es habe sich um eine Art gewaltigen Urschrei dieses Teils von Amerika gehandelt, der Donald Trump gewählt hat. "Make America great again" richtet sich an diese Leute, die der Meinung sind, dass Amerika vielleicht für sie nicht so groß ist.
    "Ich hielte es für einen Fehler, auf die Sanktionen zu verzichten"
    Christoph Heinemann: Präsident Putin und der gewählte Präsidenten Trump werden möglicherweise besser miteinander auskommen, als Putin und Obama. Besteht ein Anlass für Hoffnung, könnte man so Lösungen für schwierige Probleme finden?
    John B. Emerson: Eines steht fest. Es ist gut, wenn zwischen den Vereinigten Staaten und Russland eine gute Kommunikation und gute Beziehungen bestehen, und zwischen dem Westen und Russland. Wir alle sähen gerne eine Entwicklung in diese Richtung. Das ist das eine. Andererseits können wir es aber nicht zulassen, dass mächtige Staaten einseitig die Grenzen zu schwächeren Ländern in ihrer Region neu ziehen. Das hat Russland im Falle der Ukraine und der illegalen Annexion der Krim getan. Es ist wichtig, dass sich die internationale Gemeinschaft dem widersetzt. Das kann auch geschehen, wenn gleichzeitig gute Beziehungen zu ausländischen Führungskräften bestehen. Ich hielte es für einen schweren Fehler, wenn wir einfach auf die Sanktionen verzichten würden, die als Ergebnis der Ereignisse in der Ukraine verhängt wurden, nur weil wir langsam müde sind oder weil das schon länger dauert. Oder nur, weil jemand in einer Presseerklärung etwas Nettes über einen sagt.
    Christoph Heinemann: Herr Trump hat die Veröffentlichung eines Geheimdienstberichtes scharf kritisiert, in dem es um kompromittierende Informationen aus Russland ging. Halten Sie Herrn Trump für erpressbar?
    John B. Emerson: Ich verfüge nicht über Informationen, die das begründen würden. Ich weiss nur, dass diese Berichte dem größten Teil der Presse in den Vereinigten Staaten bekannt waren, auch während des Wahlkampfs. Da sie aber nicht zu überprüfen waren, haben sie darüber nicht berichtet. So sollte man damit umgehen.
    "Viele Mitglieder des US-Kongresses bekennen sich zu freiem Handel"
    Christoph Heinemann: Müssen wir uns wegen Protektionismus Sorgen machen?
    John B. Emerson: Wir müssen uns anschauen, wie sich diese Politik entwickelt. Ich würde mir in dem Sinne Sorgen machen, dass ich glaube, dass dies weder für die amerikanische noch die Weltwirtschaft gut wäre. Jüngste Äußerungen des gewählten Präsidenten deuteten in diese Richtung. Allerdings benötigt man sowohl für das Aushandeln als auch die Annullierung von Handelsabkommen in vielen Instanzen die Zustimmung des Kongresses. Viele Mitglieder des US-Kongresses bekennen sich zu einem freien und fairen Handel. Die glauben nicht, dass wir uns Richtung Protektionismus entwickeln sollten. Ich halte eines für wichtig: wir müssen unterscheiden. Auf der einen Seite ein Land, dass einen Handelsüberschuss erzielt, weil es ein Niedriglohnland mit niedrigen Standards ist, dass seine eigene Währung kontrolliert und möglicherweise protektionistische Hürden errichtet hat. Andererseits ein Land mit Handelsüberschuss, dass ein Hochlohnland mit hohen Standards ist, und deshalb den Überschuss erzielt, weil es tolle Sachen herstellt, die die Amerikaner gern kaufen. Beide Ausgangslagen muss man voneinander trennen. Deutschland gehört natürlich zur zweiten Kategorie.
    Christoph Heinemann: In seiner ersten Pressekonferenz hat Herr Trump den Nachrichtensender CNN scharf kritisiert, dem CNN-Korrespondenten keine Frage gewährt. Werden US-Journalisten zögern, Dinge zu schreiben oder zu sagen, die Trump nicht gern hören oder lesen will?"
    "Fake-News sind nicht solche, die einem nicht passen"
    John B. Emerson: Natürlich hoffe ich, dass das nicht geschehen wird. Tatsache ist, Fake-News sind nicht solche, die einem nicht passen. Fake-News sind solche, die nicht auf Fakten beruhen. Die erfunden wurden. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Sachverhalte. Aber schon Ihre Frage deutet an, dass es eine abschreckende Wirkung auf die Presse in den Vereinigten Staaten geben könnte. Offen gesagt, die gesamte im Weißen Haus akkreditierte Presse hätte überlegen sollen, ob sie an diesem Punkt nicht aufstehen und den Saal verlassen soll. Sie müssen ernsthaft und sorgfältig überlegen, wie sie über diesen neuen Präsidenten berichten werden.
    Christoph Heinemann: Herr Botschafter, Sie verlassen Berlin. Seit August 2013 waren Sie der höchste Vertreter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Welche war für sie die schwierigste Zeit und Lage?
    John B. Emerson: Kurz nach meinem Amtsantritt erschienen die Berichte über das Mobiltelefon der Kanzlerin. Neun Monate später der Vorwurf, es befände sich ein Maulwurf im Bundesnachrichtendienst. Das war die schwierigste Zeit. Ich bin damals gefragt worden: 'Wie können Sie Vertrauen wieder herstellen?' Und ich habe gesagt, indem wir gemeinsam an wichtigen Fragen arbeiten. Und so haben wir das gemacht. Wir haben sehr eng mit unseren Partnern in Deutschland zusammengearbeitet. Ich bin stolz auf den Zustand der Beziehungen zum Ende von Präsident Obamas Amtszeit. Ich kann nicht für Bundeskanzlerin Merkel sprechen, aber aus Sicht von Präsident Obama fühlt er sich keiner ausländischen Führungspersönlichkeit enger verbunden und gibt es keine wichtigere als die Kanzlerin. Das ist ein gutes Gefühl.
    Christoph Heinemann: Wir haben besprochen, dass Sie zum Schluss dieses Gesprächs ein paar Worte auf Deutsch sagen möchten. Bitteschön…
    John B. Emerson: Dankeschön. Es war mir eine Ehre, US-Botschafter in Deutschland gewesen zu sein. Meine Familie und ich sind traurig, dass wir gehen müssen. Aber wir haben einen Koffer in Berlin oder eine Wohnung, vielleicht. Wir freuen uns, noch in diesem Jahr zurückzukommen. Herzlichen Dank.