Donnerstag, 25. April 2024

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Scheidung für Frauen in Albanien
Oft nur auf dem Papier gleichberechtigt

Bei einer Scheidung zu ihrem Recht zu kommen, ist für Frauen in Albanien oft ein steiniger Weg. Laut den Gesetzen herrscht zwar schon seit Jahren Gleichberechtigung. Aber in der Praxis merken die Anwältin Elona Saliaj und ihre Klientin Ilda Cadra nicht viel davon.

Von Leila Knüppel | 16.04.2020
Ilda Cadra (l.) und die Juristin Elona Saliaj
Ilda Cadra (l.) und die Juristin Elona Saliaj beim Termin (Deutschlandradio / Leila Knüppel)
Ilda Cadra hat vorsichtig, nur auf der Kante des Besucherstuhls Platz genommen. Ihre große Handtasche umklammert sie, hält sie schützend vor sich. Sie ist in das Büro ihrer Anwältin Elona Saliaj in Tirana gekommen, um über das Gerichtsverfahren gegen ihren ehemaligen Ehemann zu beraten.
"Ich möchte Gerechtigkeit, nicht verletzt werden, nicht meine Rechte als Mutter verlieren. Ich möchte einfach das, was mein Recht ist."
Nach 14 Jahren Ehe mittellos
Die kommenden sechs bis zehn Jahre wird sie immer wieder hier im Anwaltsbüro sitzen und zu Terminen vor Gericht erscheinen. Das weiß die junge Frau schon jetzt. Es kann lange dauern, bis feststeht, was ihr und was ihrem ehemaligen Mann zusteht.
"Erst hatten wir eine Bar, daraus wurde ein Restaurant, das wuchs. Ich habe täglich zwei Schichten gearbeitet, um 6 Uhr morgens geöffnet, um 23 Uhr abgeschlossen. Ich habe unten im Restaurant gearbeitet und bin zwischenzeitlich hoch in den ersten Stock gegangen, wo wir wohnten, hab da gewaschen, gekocht, auf die Kinder aufgepasst. Ich bin Mutter von zwei Kindern und war 14 Jahre lang seine Frau. Ich habe in unserem Geschäft gearbeitet, habe Steuern und alle Gebühren gezahlt. Und nun habe ich nichts."
Seit ihrer Scheidung lebt sie bei ihren Eltern, hat kein Einkommen, keinen Besitz erzählt sie. Freiwillig habe ihr Ehemann ihr nichts überlassen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Mädchen unerwünscht - Geschlechterrollen in Albanien".
"Der Frau werden keine Rechte zugestanden"
Das sei typisch für die albanische Gesellschaft, meint die Anwältin und Notarin Elona Saliaj. Hinter dem massiven Schreibtisch sieht sie eigentlich eher wie eine junge Rechtsreferendarin aus. Die zahlreichen Urkunden und Auszeichnungen mit der die gesamte linke Wand des Büros behängt ist, erzählen aber einen andere Geschichte.
"Der Frau werden keine Rechte, kein Besitz zugestanden. Noch nicht einmal von ihrem Vater, denn aus seiner Sicht wird die Frau in eine andere Familie eingeheiratet und dort versorgt. Und wenn sie heiratet, sieht der Ehemann sie als seinen Besitz an und setzt sie unter Druck: Wenn du dich scheiden lässt, verlierst du alles – auch dein Vermögen."
Dabei stärken eigentlich auch die albanischen Gesetze die Rechte von Ehepartnern: So wird beispielsweise davon ausgegangen, dass jedes während der Ehe erworbene Eigentum beiden gemeinsam gehört.
"Hier herrscht eine männliche Mentalität"
In der Praxis sei das aber anders, meint Saliaj:
"Mehr als 80 Prozent der Immobilien sind im Besitz von Männern. Nur die Männer unterschreiben Verträge. Und auch vor Gericht wird Männern öfter der Besitz zugesprochen."
Also ist das Gericht nicht neutral?
"Nein, das ist das Problem. Wir haben Gesetze, die die Rechte der Frauen berücksichtigen, aber vor Gericht und in den Institutionen respektieren sie Frauen nicht. Denn hier herrscht eine männliche Mentalität."
Im Regal hinter Saliajs Schreibtisch stehen eine kleine Freiheitsstaue und eine Justitia, daneben reihen sich Akten an Akten mit Fällen wie dem von Ilda Cadra.
"Als ich einen solchen Fall zum ersten Mal bearbeitet habe, habe ich meine Kollegen gefragt, ob so etwas häufig vorkomme. Und sie haben gesagt: Ja, ja, das gibt es oft, aber das geht uns ja nichts an. Niemand war bereit, das überhaupt als wirkliches Problem anzuerkennen und nach einer Lösung zu suchen."
Auch unter "gebildeten Paaren" ein Problem
Saliaj sammelte Fälle, schrieb Studien, machte international auf das Problem aufmerksam.
"Die Ergebnisse meiner Studien haben mir gezeigt, dass solche Fälle längst nicht nur in ländlichen Regionen vorkommen – wie ich zuvor vermutet hatte. Sie sind auch in Städten ein großes Problem, unter gebildeten Paaren, die finanziell gut gestellt sind. Und viele Frauen erleben häusliche Gewalt, weil die Ehemänner an das Vermögen der Frauen kommen wollen. Die Frauen verheimlichen das aber."
Ja, auch sie sei von ihrem Mann geschlagen worden, bestätigt die Klientin.
Genaueres scheint sie nicht erzählen zu wollen. Sie bleibt auch auf Nachfrage bei der abstrakten Formulierung: physische und psychische Gewalt.
Wenige haben so wie Ilda Cadra die Kraft und den Mut, sich auf ein langwieriges Gerichtsverfahren einzulassen.
"Ich sage stopp, auch wenn er der Vater meiner Kinder ist"
Die Anwältin Saliaj kämpfte deswegen jahrelang für eine Regelung, die dafür sorgt, dass Frauen gar nicht erst vor Gericht ziehen müssen. Notare und das Katasteramt sollen grundsätzlich die Namen beider Ehepartner im Grundbuch und in Verkaufsurkunden vermerken. Seit 2012 gilt das Gesetz.
"Nach 2012 haben wir dann Schulungen und Workshops organisiert, damit die Behörden über die neuen Regelungen informiert sind. Wenn der Ehemann sich als Besitzer eintragen lassen will, müssen sie auch den Namen der Ehefrau als Besitzerin vermerken. Doch das wurde in Ildas Fall nicht beachtet – und deswegen ist sie jetzt in dieser Situation."
Für Ilda wird der Kampf um ihr Eigentum also noch Jahre dauern.
"Ich kann diese Situation nicht akzeptieren. Und ich kann nur hoffen, dass so etwas keiner anderen Frau passiert. Wir leben im Jahr 2020. So etwas darf nicht mehr geschehen. Ich sage Stopp, auch wenn er der Vater meiner Kinder ist. Stopp!"