Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Scheintote an der Wolga

Leos Janaceks wohl bekannteste Oper "Katja Kabanova", 1921 in Brünn uraufgeführt, entwirft ein düsteres Dreieck zwischen familiärer Bosheit, unterdrückter Sexualität und Ehebruch, das schließlich im Selbstmord der Titelheldin zusammenbricht. Jetzt ist sie am Brüsseler Opernhaus La Monnaie neu inszeniert worden.

Von Christoph Schmitz | 29.10.2010
    Leos Janacek, der mährische Weltmusiker und slawische Expressionist - er erzählt ja in seiner Oper "Katja Kabanova" auch eine extrem deprimierende Geschichte. Wie diese freundliche, jugendliche Katja von ihrer Schwiegermutter in einem Kaff an der Wolga seelisch drangsaliert, verachtet, verhöhnt und unterdrückt wird, wie Katjas Mann nicht den Mumm hat, gegen die Tyrannei seiner Mutter aufzubegehren, sich selbst von Mutterliebe und -herrschsucht knuten lässt und wie auch Katjas Geliebter, Boris, nicht die Kraft aufbringt, sich zu Katja zu bekennen, nachdem ihr Verhältnis aufgeflogen ist - das ist zusammengenommen höchst beklemmend, zumal alles so unausweichlich zu sein scheint, wie es Janacek den Klängen und Rhythmen seiner Musik einkomponiert hat. Die wuchtigen Naturbilder, das furchtbare Gewitter über dem endlosen Land, vor allem das gewaltige, unablässige Strömen der Wolga sind letztlich Seelenbilder einer in sich gefangenen, klaustrophobischen Gesellschaft, was Dirigent Leo Hussain und das Symphonieorchester der Monnaie wuchtig und explosiv zum Klingen bringen, ohne die volkstümlichen Klänge zu unterschlagen.

    Die Regisseurin der Brüssler "Katja Kabanova", Andrea Breth, hat die Depression des Werkes noch einmal verschärft. Sie hat dem Stück noch den letzten Lichtblick, die kleinste Hoffnung ausgetrieben. Die Figuren sind allesamt eher Scheintote, deren Körper und Seelen kalt wie Frösche sind, auch die der Titelheldin. Darum sitzt Katja auch gleich am Anfang zusammengekauert in einem Kühlschrank, dessen Tür offen steht. Rundherum schmutziger Grund, die Wolga ist zu einem Rinnsal geschrumpft, alte Schaustoffmatratzen liegen herum, hohe schimmelpilzige Wände bilden einen verliesartigen Raum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Endzeitlich wirkt die von Annette Murschetz gestaltete Bühne für eine verkommene, böse, bigotte Gesellschaft, der man nichts anderes als den Untergang wünscht. Nah dran am Untergang ist sie schon, immer wieder schreiten Beerdigungszüge vorüber, werden Kindergräber ausgehoben, wozu ein Pope das orthodoxe Kreuz beschwörend vor sich herträgt. Obwohl Andrea Breth und ihre Ausstatterin eher die 1920er-Jahre assoziieren, so reden sie doch vom Menschen heute oder vom Menschen grundsätzlich. Für diese Deutung des Stücks ist die Besetzung der Katja mit Evelyn Herlitzius die denkbar beste. Ihr durchdringender messerscharfer Sopran bar jeder Lieblichkeit macht die Hauptfigur zum Inbild hoffnungslosen Schmerzens:

    "Weißt du - an einem Sonnentag fiel von der Kuppel ein solcher leuchtender Strom, und der Weihrauch darin stieg in Wolken hoch - es kam mir manchmal vor, dass die Lichtsäule voller Engel war, die flogen und sangen."

    Aber nicht nur Evelyn Herlitzius, das komplette Solistenensemble fügt sich sängerisch und darstellerisch bestens in die szenische Deutung ein. Aber in dieser gerade erklingenden Szene, wenn Katja vom Glück ihrer Kindheit und Jugend erzählt, wie strahlend ihr Leben war und aufgehoben in einer universalen Geborgenheit, in dieser Szene wird zugleich die Problematik der Inszenierung von Andrea Breth deutlich. Die auch immer wieder warmen Klänge von Janaceks Musik, ihr Überschwang, ihre Hitze und Glut widersprechen Breths reiner Kälteästhetik. Dieser Widerspruch ist der Preis, den die Regisseurin für ihre in sich stimmige und intensive Interpretation zahlen muss. Womit diese nicht falsch wird, aber Breth zeigt eben nur eine Wahrheit dieser Oper, die bittere Erkenntnis vom Menschen als Ungeheuer. Die andere Wahrheit vom Menschen als empathisches Wesen verschweigt sie, weswegen sie logischerweise nur die halbe Wahrheit sagt. So wäre es die noch größere Bühnenkunst, alles aufscheinen zu lassen.

    "Wollt' ein Mädchen früh am Morgen
    gleich in den Garten gehen,
    ihre Schönheit in des Baches
    Spiegel zu besehen."