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Schellackplatte statt Edison-Walze

Die Erfingung der Schellackschallplatte war ein gigantischer wirtschaftlicher Erfolg. Ihr Siegeszug begann, als Emile Berlin sein Grammaphonsystem in den USA patentieren ließ. Über 60 Jahre hörte die Welt Schellack-Platten. Die Edison-Walze war damit Musik von gestern.

Von Mathias Schulenburg | 26.09.2012
    Als Emile Berliner am 26.September 1887 in den USA sein Grammophonsystem zum Patent anmeldete, war das von ihm verwendete Prinzip der mechanischen Aufzeichnung von Klängen schon seit mindestens zehn Jahren bekannt: Schall, auf eine Membran gelenkt, versetzt diese in Schwingungen – wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man auf ein mit den Fingerspitzen gehaltenes Blatt Papier spricht. Eine an der Membran befestigte Nadel macht diese Schwingungen mit. Fährt die schwingende Nadel über ein verformbares Medium, hinterlässt sie eine Rille, in die der Schall in der Form winziger Hügel und Täler eingeprägt ist. Bewegt sich die Membran-/Nadelkonstruktion durch eine solche Rille, schwingt die Membran wie bei der Einprägung – man hört den aufgezeichneten Schall. Thomas Alva Edison hatte das Prinzip lange vor Berliner realisiert, mit Zinnfolien und Wachswalzen. Edison persönlich:

    ""Mary had a little lamb,
    whose fleece was white as snow.
    And everywhere that Mary went,
    the lamb was sure to go.”"

    Emile Berliners Grammophonsystem hingegen bemühte statt einer Walze eine neu entwickelte Schallplatte, die gegenüber der Edison-Walze eine Reihe von Vorzügen besaß. Besonders wichtig: Die Schallplatte war ungleich besser für eine Massenproduktion geeignet. Für Platten ließen sich Presswerkzeuge herstellen, die in kurzer Zeit eine große Zahl von Kopien ermöglichten. Und das wollte Berliner auch: Geld mit massenhaft vervielfältigter Musik verdienen.

    Als dann auch noch das richtige Plattenmaterial gefunden war – eine Masse aus Schiefermehl, Baumwollfasern, Ruß und den verarbeiteten Ausscheidungen der Lacklaus, Schellack – setzte die Schellack-Platte zu einem 60-jährigen Siegeszug an. In die Mitte der Platte ließ sich auch noch ein Etikett kleben – alles ganz fix, wie gewünscht. Die Edison-Walze musste mit einem leicht verlierbaren Beipack-Zettelchen auskommen.

    Dem sympathischen Emile Berliner fiel es nicht schwer, namhafte Künstler für Plattenaufnahmen zu gewinnen, darunter Enrico Caruso.

    Berliner baute ein weltweites Firmengeflecht auf; das US-Geschäft freilich musste er nach heftigen Rechtsstreitigkeiten der nachdrängenden Konkurrenz überlassen. Der Unternehmer verlegte das Schallplattengeschäft nach Kanada. In Deutschland geht das bekannte Qualitätslabel "Deutsche Grammophon" auf Berliner zurück, ebenso der treue Terrier, der - vor einem Berliner-Grammophon sitzend - der "Stimme seines Herrn" lauscht, "His Masters Voice", einer der bekanntesten Sprüche der Werbegeschichte – und eine schöne Mär.

    Die Deutschland-Verbindung hatte gute Gründe: Emil Berliners Geburtsort war Hannover. Um dem Militärdienst im kommenden deutsch-französischen Krieg zu entgehen, hatte er sich 1870 für die Auswanderung in die USA entschieden, wo er, arm wie eine Kirchenmaus, nach Gelegenheitsarbeiten, mit denen er ein Studium finanzierte, eine bemerkenswerte Erfinderkarriere begann.

    Es gelang Berliner, das bis dahin arg vernuschelte Telefon in Klang und Reichweite so zu verbessern, dass ihm die Bell Company die betreffenden Erfindungen für 50.000 Dollar abkaufte – eine damals sehr schöne Summe. Erst jetzt konnte sich das Telefon durchsetzen. Zu Berliners Erfindungen zählen weiter:

    "... ein Mikrofon, eine Kohlenstoffbatterie, ein pneumatischer Saugheber, ein elektrischer Ofen, eine lange Liste von Fluggeräten, darunter ein Hubschrauber, der tatsächlich flog, eine Glühlampe, das Besetztsignal für Telefone ..."

    Und vieles andere mehr. Berliner war ein ausgesprochener Familienmensch; die amerikanische Kongressbibliothek besitzt ein akustisches Zeugnis dafür. Auf der von ihm erfundenen Schallplatte singt Berliner ein Lied für seinen Enkel:

    ""Hallo, Bobby! I am going to sing for you! Listen!" (singt)"