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Schengen-Außengrenzen
"Löchrig wie Schweizer Käse"

Nachdem die Polizei bei Kontrollen im Umfeld des G7-Gipfels in Elmau zahlreiche lang gesuchte Kriminelle festnehmen konnte, fordert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nun dauerhaft mehr Kontrollen im Inland und an den deutschen Außengrenzen. Die Sicherung der Schengen-Außengrenzen werde von etlichen EU-Mitgliedsländern nicht garantiert, sagte der CSU-Politiker im DLF.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 13.06.2015
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU)
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) (imago stock & people)
    Martin Zagatta: Im vergangenen Jahr, als viele Flüchtlinge von Italien aus über Österreich nach Bayern gekommen sind, da hat es die Debatte um die Wiedereinführung von Grenzkontrollen schon einmal gegeben, und weil es der Polizei mit den Sicherheitsmaßnahmen für den G7-Gipfel vergangene Woche in Elmau gelungen ist, zahlreiche Kriminelle festzunehmen, sind die Forderungen nach mehr Kontrollen an den deutschen Grenzen auch wieder laut geworden, vor allem aus den Reihen der CSU. Den zuständigen Minister, den bayrischen Innenminister, haben wir jetzt am Telefon. Guten Morgen, Joachim Herrmann!
    Joachim Herrmann: Hallo, guten Morgen und grüß Gott!
    Zagatta: Herr Herrmann, den ein oder anderen Kriminellen dingfest zu machen, lohnt es sich dafür, wirklich das wieder einzuschränken, was wir seit Jahren so schätzen, nämlich ohne anzuhalten, ohne große Kontrollen die Grenzen mit unseren Nachbarländern zu passieren?
    Herrmann: Ich glaube, dass wir alle diese Freiheit in ganz Europa sehr zu schätzen wissen, und ich persönlich hab das auch immer als einen großen Fortschritt angesehen, dass wir von Bayern aus zum Beispiel ohne Grenzkontrollen nach Österreich bis nach Italien fahren können, das gilt genauso in die Beneluxländer, nach Frankreich. Das ist wirklich ein Stück europäischer Freiheit. Aber es war von Anfang an das klare Ziel Deutschlands und auch der anderen europäischen Länder, dieses Mehr an Freiheit darf nicht mehr Kriminalität bedeuten. Und deshalb gibt es eine klare Verpflichtung, dass nämlich hier alle Mitglieder des Schengener Grenzkodex entsprechend an den Außengrenzen für Sicherheit sorgen müssen, das heißt, dass eben niemand unberechtigt überhaupt in diesen Innenraum kommen kann und dass hier für Sicherheit gesorgt wird. Und das, was jetzt anlässlich des G7-Gipfels von der Bundespolizei an allen Außengrenzen der Bundesrepublik Deutschland festgestellt worden ist, das ist einfach besorgniserregend.
    Zagatta: Aber das haben Sie im vergangenen Jahr ja auch gefordert. Als da viele Flüchtlinge von Italien über Österreich nach Bayern kamen, da hat man auch über diese Wiedereinführung der Kontrollen gesprochen, hat da gefordert, die Außengrenzen müssten besser gesichert werden – hat sich da nichts getan?
    Herrmann: Das eine ist die Flüchtlingsproblematik, wo wir ganz einfach sehen, dass zum Beispiel in Italien nicht wirklich alle Flüchtlinge, die dort ankommen, wirklich registriert werden, dort entsprechend das Asylverfahren eingeleitet wird. Ich sage klar, Italien kann auf Dauer auch nicht mit diesem Problem alleingelassen werden, denn wenn man sieht, wie viel Tausende von Flüchtlingen jetzt aus dem Mittelmeer aufgefischt werden, was natürlich humanitär notwendig ist, wir können Italien nicht alleinlassen damit, und deshalb ist nicht nur im deutschen Interesse, sondern auch im italienischen notwendig, dass es eine Quote gibt, dass also diese Flüchtlinge gleichmäßig dann über die verschiedenen Länder der EU verteilt werden. Aber was wir nicht akzeptieren können, ist, dass solange das noch nicht erreicht ist, Italien Leute einfach unkontrolliert in die Züge setzt und irgendwohin fahren lässt. Aber mir geht es eben nicht nur um diese Flüchtlingsthemen, sondern bei den Kontrollen ...
    Zagatta: Ich wollte gerade sagen, Ihnen geht es ja auch um Kontrollen an deutschen Grenzen jetzt.
    Herrmann: Mir geht es vor allen Dingen darum, dass diese Kontrollen der Bundespolizei ja gezeigt haben, da geht es um sehr viel Kriminalität, da geht es nicht nur um das Thema von illegalen Aufenthalten. Da sind allein in den wenigen Tagen, wo die Bundespolizei diese Kontrollen durchgeführt hat, 135 offene Haftbefehle vollstreckt worden, das heißt, es sind bei den Kontrollen Menschen festgenommen worden, gegen die schon lange ein Haftbefehl vorliegt. Es sind entsprechend Passfälschungen festgestellt worden, Verstöße gegen die Drogenverbote, andere Delikte, Waffenbesitz, vieles andere mehr. Wir dürfen davor die Augen nicht verschließen, und deshalb ist ganz offensichtlich, wenn jetzt diese Kontrollen, die nur anlässlich des G7-Gipfels stattfanden und die Gott sei Dank wenig G7-Störer zutage förderten, aber eben ganz andere Kriminelle, wenn diese Kontrollen solche Ergebnisse hatten, dann müssen wir doch jedenfalls ganz offensichtlich zum Ergebnis kommen, es müssen häufiger solche Kontrollen durchgeführt werden. Ich will nicht die Grenzen wieder dicht machen, aber dass solche Kontrollen offensichtlich notwendig sind, um entsprechend auch solchen Kriminellen auf die Spur zu kommen, das ist offensichtlich.
    "Wir dürfen vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen"
    Zagatta: Und politisch, was bedeutet das, wenn Sie sagen, jetzt häufiger solche Kontrollen durchzuführen, das ist ja eigentlich mit dem Schengenabkommen nicht unbedingt vorgesehen.
    Herrmann: Ja, das ist aber genau das Problem der Europäischen Union in den letzten Jahren gewesen. Immer dann, wenn ein Land – das hat es auch schon mal in Frankreich gegeben – gesagt hat, wir müssen da wieder stärker kontrollieren, dann ist das von der Europäischen Kommission beanstandet worden. Die Europäische Kommission müsste jetzt mal beanstanden, dass ganz offensichtlich ein Teil der Schengenaußengrenzen löchrig ist wie Schweizer Käse, und dann auf diese Länder einwirken. Sie sind verpflichtet nach dem Schengen-Grenzkodex der Europäischen Union, an den Außengrenzen ordentlich zu kontrollieren und sicherzustellen, dass niemand unberechtigt einreist. Dort muss die EU entsprechend Beanstandungen machen, wenn das offensichtlich nicht funktioniert, und nicht die Länder beanstanden, die dann doch mal Kontrollen durchführen. Ich sage nicht, wieder Schlagbäume runter, aber wir werden auch in Bayern auf jeden Fall mal hilfsweise unsere sogenannten Schleierfahndungen verstärken, das heißt, dass Leute auch ...
    Zagatta: Schleierfahndung hat nichts mit Burka zu tun, das ist was anderes.
    Herrmann: Schleierfahndung heißt, dass wir in ... Nein, Schleierfahndung, das wäre ein Fahndungsschleier, den wir sozusagen im Hinterland der Grenzen entsprechend durchführen, das bedeutet in einem Abstand von 30 Kilometer hinter der Grenze, so gibt uns das Gesetz die Möglichkeit, und an den großen Fernverkehrsrouten – Autobahnen wie Eisenbahn – darf die Polizei auch verdachtsunabhängig kontrollieren. Das ist unser Schwerpunkt, den wir auf jeden Fall jetzt in Bayern weiter ausbauen wollen. Es geht ja auch zum Beispiel um osteuropäische Einbrecherbanden, von denen wir wissen, dass sie einen Großteil auch von Einbruchsdiebstählen in Deutschland verüben und, und, und. Wir dürfen vor dieser Entwicklung die Augen nicht verschließen, aber ich erwarte jetzt auch, die EU muss die anderen Länder anhalten, stärker zu kontrollieren, die Bundespolizei muss in Deutschland nicht nur bei solchen herausragenden Ereignissen wie G7 aktiv werden, wir brauchen dauerhaft wieder mehr Kontrollen, und wir werden sie mit der sogenannten Schleierfahndung in Bayern auch durchführen.
    Zagatta: Diese Schleierfahndung ist aber jetzt schon erlaubt?
    Herrmann: Die Schleierfahndung ist jetzt erlaubt, und aufgrund dieser Erkenntnisse werden wir sie auf jeden Fall intensivieren.
    Zagatta: Wenn Sie da jetzt irgendwelche Regelungen wollen, dass die Bundespolizei da mehr eingreifen kann an den deutschen Grenzen, dann müssten Sie ja erst mal die Bundesregierung für dieses Vorhaben gewinnen. Also aus Berlin kommt da ja bisher Ablehnung, wenn ich das richtig verstanden habe.
    Herrmann: Nun, es hat von einer Reihe von Kollegen auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon entsprechend zustimmende Äußerungen gegeben.
    Zagatta: Aber nicht vom Innenministerium.
    Herrmann: Ich habe beantragt, dass dieses Thema in der übernächsten Woche bei unserer nächsten Innenministerkonferenz in Mainz auf die Tagesordnung gesetzt wird, denn die Ergebnisse dieser Kontrollaktionen sind natürlich unübersehbar, und jetzt müssen daraus auch Konsequenzen gezogen werden, wie gesagt, in Richtung EU, aber auch in Richtung dessen, dass wir im eigenen Land entsprechend kontrollieren.
    Zagatta: Was können Sie da im eigenen Land ändern, da brauchen Sie ja auch die EU-Gesetzgebung dafür?
    Herrmann: Nun, ich denke, wenn festgestellt wird, dass entgegen dem, was der Schengen-Grenzkodex vorsieht, derartig viel illegaler Aufenthalt hier stattfindet, dass Leute ohne entsprechende Passpapiere unterwegs sind, dass aber auch Kriminelle unterwegs sind, dass Leute, nach denen ohnehin mit Haftbefehl gesucht wird, unterwegs sind, dann ist das eigentlich ein hinreichender Grund, dass wir entsprechend auch im eigenen Land Kontrollen durchführen. Und das hat ja jetzt auch während des G7-Gipfels nicht bedeutet, dass es ellenlange Staus an den Grenzen gab, es ist auch nicht jeder kontrolliert worden, wie das ja früher auch nicht der Fall war, aber es hat verstärkte Kontrollen gegeben, und es hat übrigens über diese Kontrollen der Bundespolizei nahezu keine Beschwerden gegeben, nicht nur in Bayern nicht, sondern die Kontrollen sind ja auch beispielsweise Richtung polnischer Grenze, in Sachsen, in Brandenburg durchgeführt worden oder auch in anderen Teilen Deutschlands, und es hat überhaupt keine Beschwerden gegeben. Ich bin der festen Überzeugung ...
    "Dass wir mehr Kontrollen brauchen, ist aus meiner Sicht unvermeidbar"
    Zagatta: Aber Herr Herrmann, das systematisch zu machen, dazu müsste doch dieser Schengen-Kodex geändert werden?
    Herrmann: Der Schengen-Kodex sieht vor, dass normalerweise innerhalb des Schengenlandes, nicht des Schengenraumes keine Grenzkontrollen stattfinden, weil sie in den Außengrenzen garantiert werden. Wenn aber sie an den Außengrenzen offensichtlich von etlichen EU-Mitgliedsländern nicht garantiert werden, dann müssen wir in unserem eigenen Land entsprechend handeln.
    Zagatta: Ist klar.
    Herrmann: Wir können doch nicht einfach die Augen vor diesen Missständen verschließen.
    Zagatta: Aber gehen Sie denn davon aus, dass Sie davon Bundesinnenminister de Maizière, dass Sie da unterstützt werden?
    Herrmann: Ich werde dieses Thema in der Innenministerkonferenz zur Sprache bringen, und ich bin sicher, dass die anderen Länder und auch der Bund dem nicht ausweichen können, wir müssen entsprechend konsequent jetzt handeln. Wohlgemerkt, das heißt nicht, dass wieder jeder unmittelbar an der Grenze kontrolliert werden muss, aber dass wir mehr Kontrollen brauchen und dass dazu auch die Bundespolizei aktiv sein muss, das ist aus meiner Sicht unvermeidbar.
    Zagatta: Aber wenn ich das richtig gelesen habe, dann hat Innenminister de Maizière ja schon signalisiert, dass er da keinen Handlungsbedarf sieht, was mehr Kontrollen im Inland angeht.
    Herrmann: Ich kann mir das angesichts der Feststellungen, die jetzt getroffen worden sind, nicht recht vorstellen, dass man sagt, da gäbe es keinen Handlungsbedarf.
    Zagatta: Also das erwarten Sie vom Innenminister, dass er sich da auf Ihre Seite stellt?
    Herrmann: Wir werden darüber gemeinsam reden, wir brauchen ein gemeinsames Konzept, und wir müssen hier auf jeden Fall für die Sicherheit der Menschen in Deutschland handeln.
    Zagatta: Danke schön für dieses Gespräch! Das war der bayrische Innenminister Joachim Herrmann heute Morgen im Deutschlandfunk, der unter Umständen dann auch mehr Grenzkontrollen in Deutschland fordert. Herr Herrmann, herzlichen Dank!
    Herrmann: Ich danke Ihnen auch, einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.