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"Schicksal, Hauptsache Schicksal" ausgezeichnet

Robert Schoen wird in diesem Jahr mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden für die hr2-Produktion "Schicksal, Hauptsache Schicksal" ausgezeichnet.

Robert Schoen im Gespräch mit Michael Langer | 09.04.2011
    Michael Langer: Zunächst einmal Glückwunsch zum Hörspielpreis der Kriegsblinden, mit dem Sie wahrscheinlich nicht gerechnet haben?

    Robert Schoen: So ist es. Ich wusste, bis ich den Anruf des Vorsitzenden der Jury bekam, gar nicht, dass das Stück im Rennen war, weil es nachnominiert wurde, und insofern war die Überraschung natürlich groß.

    Langer: Wenn man Ihr Hörspiel hört und nichts weiter darüber weiß, dann könnte man irritiert sein und den Eindruck gewinnen, es handele sich hier um eine Dokumentation über eine gescheiterte Existenz, um ein Originaltonfeature über einen in diesem Fall gescheiterten Musikwissenschaftler. Haben Sie es auf Irritation angelegt?

    Schoen: Also für mich ist es immer interessant, ein Setting zu schaffen, in dem es den Anschein hat, als würden Menschen über sich sprechen. Ob die dann wirklich über sich sprechen, ist dann nicht so wichtig. Aber dieses Moment der Authentizität stellt sich, glaube ich, darüber ganz gut her. Und das habe ich in dem Stück eben auch versucht, indem ich zwei Stränge miteinander verbunden habe. Einmal das Leben der literarischen Hauptfigur Andreas aus "Der Legende vom heiligen Trinker" von Joseph Roth und Elementen des Schauspielers - das kann man fast nicht sagen, ich würde sagen des Radioperformers Lorenz Eberle, der auch sehr viel von sich selber mit ins Spiel gebracht hat. Das hat dann diese Anmutung am Ende. Ich kann das gut verstehen, dass das beim unvorbereiteten Hören den Eindruck vermittelt.

    Langer: Andererseits, wenn man vorher weiß, dass Sie in dieser Produktion Motive aus der"Legende vom heiligen Trinker" verarbeiten oder seinen Joseph Roth kennt, dann kommt man schon drauf. Aber es ist ja gar nicht authentisch, Sie sagten, die Anmutung der Authentizität stelle sich her. Es scheint eher ein Spiel mit der Lüge zu sein?

    Schoen: So wie in jedem Roman, wie in jeder Geschichte.

    Langer: Da weiß man, dass es ein Roman ist. Jetzt könnten Sie natürlich sagen, man weiß es ja hier auch, es steht ja Hörspiel drüber oder drunter.

    Schoen: Genau. Es ist so wie bei Orson Welles' "The War of the Worlds". Viele haben erst später eingeschaltet, haben die Ansage nicht gehört und dachten dann, es sei wahr, dabei war es nur Wirklichkeit, und das hatte dann diese Wirkung. Das finde ich eigentlich ganz schön, Wirklichkeit im Sinne von: eine Wirkung haben.

    Langer: Das Fiktive ist das Wirkliche ...

    Schoen: In dem Fall - ja.

    Langer: Warum haben sie so eine Lust, damit zu spielen?

    Schoen: Vielleicht deswegen, weil ich selbst bei mir die Erfahrung mache, dass ich dann ergriffen bin. Also ich würde sagen, Authentizität vielleicht als die Wirklichkeit meines persönlichen Ergriffenseins. Und wenn es mir so geht, habe ich die Erfahrung gemacht, dann geht es vielen anderen auch so. Und das finde ich eigentlich ganz reizvoll damit rumzuexperimentieren und auch gerade an der Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion. Also die Grenze bis zur Ununterscheidbarkeit eigentlich verschwinden zu lassen.

    Langer: Und der Stoff "Die Legende vom heiligen Trinker" bot sich an, um das Publikum in die Irre zu führen?

    Schoen: Das war Zufall. Es war so, dass ich mit Lorenz ja schon etwa 18 Jahre befreundet bin. Wir haben mal zusammen in Freiburg gewohnt. Vor ein paar Jahren habe ich ihm mal "Die Legende vom heiligen Trinker" als Reiselektüre mitgegeben, als er zurück nach Paris gefahren ist. Da hat er seine Liebe zu Joseph Roth entdeckt. Und dann war es so, dass Roth kürzlich den 70. Todestag hatte, dann war er allgemeinfrei. Dann fiel mir diese Geschichte noch mal ein und Lorenz fiel mir ein, und da ich ihn als großartigen Hörspielmenschen kennengelernt hatte - im Hörspiel eines Bekannten -, dachte ich, mit dem müssen wir unbedingt etwas machen, und so kam eins zum anderen. Dann bin ich nach Paris gefahren, und wir haben eine Woche lang aufgenommen. Dann bin ich wieder zurück nach Berlin und habe das Hörspiel fertig gemacht. So war das.

    Langer: Lorenz Eberle und die anderen Stimmen, die in dieser Produktion auftreten, Anne Tenhaef und Jeff Drea, das sind keine Schauspieler, oder doch? Die machen das, wie ich finde, so irritierend gut, dass man wirklich nicht weiß, ob die jetzt ihre eigene Geschichte erzählen oder doch nicht.

    Schoen: Es sind keine Schauspieler. Die Anne habe ich in Paris überhaupt erst kennengelernt; das ist eine Freundin der Dramaturgin Ricarda Franzen. Die habe ich dort getroffen. Dann haben wir ein paar Sachen ausprobiert und dann ist das so entstanden. Jeff Drea war auch eine Zufallsbekanntschaft. Ich habe ihn vor dem Zentrum der Scientologen in Paris getroffen. Er hat da einsam mit einem Plakat demonstriert, und dann sind wir ins Gespräch gekommen, und da seine Frau Expertin in Sachen Therese von Lisieux ist, die ja auch eine wichtige Rolle spielt in dem Stück, passte das ganz gut zusammen, und so habe ich die beiden noch eingebaut.

    Langer: Wie sind sie vorgegangen, um die Beteiligten dazu zu bringen, das so locker und vermeintlich authentisch rüberzubringen?

    Schoen: Also, der wichtigste Schritt ist, nicht mit einem Text anzukommen, weil man mit einem Text jemanden, der kein professioneller Schauspieler ist, meistens verschreckt, sondern ein Setting zu schaffen, in dem die eben über sich selber reden. Das heißt, ich habe bei Lorenz verschiedene Handlungspunkte, die ich aus dem Buch genommen habe, angeboten und habe gesagt, er solle sich vorstellen, beispielsweise, er sei in einer Kneipe und kriegt dann 5000,- Euro geschenkt. Wie ist das, was war das für eine Geschichte? Und dann hat er einfach losgelegt, und von diesem Vorschlag habe ich zehn Aufnahmen gemacht und habe die dann zusammengeschnitten.

    Die zweite Voraussetzung für "Authentizität" ist seltsamerweise ein präziser Schnitt. Das habe ich gemerkt. Ich hatte auch kein Manuskript, ich habe bis jetzt keins. Ich muss das jetzt mal abschreiben für den Preis. Stattdessen habe ich ein Transkript, also alles, was die Darsteller gesagt haben, habe ich abgeschrieben und das baue ich dann am Computer zusammen und höre was funktioniert und was nicht. So ist dieses Stück entstanden.

    Langer: Also die reine Improvisation über ein vorgegebenes Motiv.

    Schoen: Genau. Wichtig ist auch, dass man den Mitspielern etwas an die Hand gibt. Also man kann nicht einfach sagen, erzähl mal irgendetwas. Ich hätte ja auch sagen können, erzähl mal aus deinem Leben, ohne mit einer Geschichte zu kommen, ohne "Die Legende vom heiligen Trinker", ohne irgendwas. Da wäre wahrscheinlich aber nicht viel gekommen. Weil man da genauso blockiert ist. Aber wenn man über etwas spricht, dann ist es meistens so, dass man gleichzeitig auch über etwas anderes spricht, und dieses gleichzeitig über etwas anderes sprechen, das finde ich eigentlich das Interessante.

    Langer: Also über einen Subtext.

    Schoen: Subtext!

    Langer: Was wäre dieser Subtext in diesem Fall? Worum geht es da noch?

    Schoen: Sehnsucht nach Leben.

    Langer: Nach einem erfüllten Leben oder nach einem gescheiterten?

    Schoen: Es ist so eine Lebensenergie da. Eine unlenkbare, unsteuerbare Lebensenergie. Die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst, die sich in verschiedenen Formen darstellt und in dem Fall ist es die Sehnsucht danach, dieses Geld zurückzuzahlen, die plötzlich zum Lebensinhalt wird, und sich das Leben darüber neu sortiert, ein Leben, das irgendwie aus den Fugen geraten ist.

    Langer: Herr Schoen, verraten sie uns noch etwas über sich und Ihren Werdegang. Ich weiß wenig darüber, außer, dass Sie 1966 zur Welt kamen; sie haben, wie es heißt, eine kaufmännische Ausbildung genossen und später Theaterwissenschaften studiert?

    Schoen: Das ist schon eine ganze Menge. Sie haben ja auch Heiner Goebbels gerade im Programm gehabt. Bei dem habe ich studiert, in Gießen, Angewandte Theaterwissenschaft. Da wird auch Wert gelegt auf eine fundierte Hörspielausbildung, und was ich von Heiner Goebbels gelernt habe, ist: den Text aus der Knechtschaft seiner Rolle zu befreien, immer Anführer sein zu müssen. Also, dass man auch andere Elemente als formgebend nimmt und nicht immer nur beim Text losläuft und alles andere gruppiert sich dann brav drum herum. Das gefällt mir an seinen Hörstücken ganz gut. Nach dem Studium habe ich zwei Jahre lang ein Regievolontariat beim SWR in Baden-Baden gemacht und seitdem mache ich überwiegend Hörspiel- und Featureregie und eben ab und zu auch eigene Stücke. Das ist nun mein zweites Stundenstück, und ich freue mich sehr, dass es so einen Erfolg hat.

    Langer: Robert Schoen, ich bedanke mich für dieses Interview.

    Schoen: Danke auch.

    Langer: Die Verleihung des Hörspielpreises findet am 31. Mai 2011 in Köln statt.