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Schicksal zwischen Sport, Sexualität und Politik

Am 20. Juli 1937 wird in Wimbledon ein legendäres Tennis-Match gespielt. Auf dem Centre Court stehen sich der deutsche Tennis-Star Gottfried von Cramm und sein amerikanischer Herausforderer Don Budge gegenüber. Für Gottfried von Cramm ist es weit mehr als eine spannende Partie: Er spielt um sein Leben.

Von Detlef Grumbach | 27.07.2009
    Rundfunkübertragung: "Erster Tag des Interzonenfinals Deutschland gegen Amerika."

    London, Juli 1937. Die deutsche Tennismannschaft befindet sich in der Endrunde um den Daviscup. Gottfried von Cramm, der populärste deutsche Spieler vor Boris Becker, spielt gegen den Amerikaner Brian Grant. Das Endspiel gegen Don Budge steht noch bevor.

    Rundfunkübertragung: "Es steht gut für die deutschen Farben, denn Gottfried von Cramm hat den ersten Satz bereits 6:3 gewonnen und führt im 2. Satz 4:3."

    Bereits 1934 und 1936 hatte von Cramm die französischen Meisterschaften gewonnen, 1935, 1936 und 1937 in Wimbledon das Endspiel im Herreneinzel erreicht - und jedes Mal verloren. In der Endrunde des Daviscup geht es aber um mehr als den lang ersehnten Sieg auf dem englischen Rasen. "Ich spiele um mein Leben", gestand von Cramm seinem Freund und Trainer Bill Tilden. Denn der 1909 geborene von Cramm war schwul und wegen Vergehen nach § 175 im April 1937 bereits von der Gestapo verhört worden. Anders als zum Beispiel der Schauspieler Gustaf Gründgens trat er nicht in die NSDAP ein, äußerte sich sogar kritisch über die Partei und ihr Regime. Die Nationalsozialisten hatten 1933, gleich nach der Machtergreifung Hitlers, begonnen, Homosexuelle zu verfolgen und in Konzentrationslager zu stecken, 1935 verschärften die Nazis den § 175, nicht nur Sex, sondern auch schon ein begehrlicher Blick unter Männern war nun strafbar. 1936 gründeten sie die Reichszentrale zur Bekämpfung von Abtreibung und Homosexualität. Einen Sieger von Cramm würde man vielleicht in Ruhe lassen, aber einen Verlierer?

    Rundfunkübertragung: "Gottfried von Cramm schmettert, gut, aber Grant, diese Gummipuppe dahinten, der holt jeden Ball, der läuft wie ein Wiesel, ob geschmettert oder ob sonst irgendetwas getan wird, immer ist er da."

    "Ich spiele um mein Leben", so lautet der deutsche Titel des Buchs, das mit Blick auf das Daviscup-Endspiel 1937 drei sehr unterschiedliche Tennisbiografien miteinander verschränkt: Autor Jon Marshall Fisher erzählt die Geschichte des vornehmen, auch als "Tennisbaron" bezeichneten Gottfried von Cramm, die seines Endspiel-Gegners Don Budge, der sich in Amerika als Einwandererkind hochgespielt hat, und die Bill Tildens, der früheren Nummer Eins des amerikanischen Tennis, der ebenfalls schwul war und pikanterweise 1937 die deutsche Mannschaft trainierte. Tilden kannte den Druck, unter dem von Cramm stand. Schwule und lesbische Profi- und Spitzensportler kennen den Druck noch heute: Würde ein schwuler Mittelstürmer heute von Kameraden und Gegnern auf dem Platz und den Fans in der Kurve akzeptiert? Taugt ein schwuler Spitzensportler zum Idol der Nation?

    Rundfunkübertragung: "Cramm schießt etwas länger, genau auf die Linie, jetzt Rückhand, aber immer noch ist der Ball im Spiel, wunderbar."
    Deutschland war nach dem Ersten Weltkrieg mehrere Jahre lang vom Daviscup ausgeschlossen. So wie der Box-WM-Titel Max Schmelings 1930 spielte die Rückkehr auf die internationale Bühne des Tennissports eine bedeutsame Rolle für ein neues, deutsches Selbstbewusstsein, aber auch für neue Anerkennung von außen. In Wimbledon 1937 applaudierte ein internationales Publikum der Mannschaft unterm Hakenkreuz, zollte auch Hitler noch Respekt. Von Cramm hatte entscheidenden Anteil daran. Und es musste ihm unangenehm sein. Dieses Land war nicht sein Land. Wurde doch sein jüdischer Tenniskollege Daniel Prenn 1933 aus der Deutschen Mannschaft verbannt. Und auch von Cramms Geliebter, der jüdische Schauspieler Manasse Herbst, hatte Deutschland den Rücken kehren müssen und lebte später in den USA.

    Rundfunkübertragung: "Jetzt stoppt er, Cramm vor und - gerettet! Gerettet, jawoll. Gerettet zum Satzball."#

    Doch Gottfried von Cramm verliert das Finale gegen Don Budge. Sein Leben war deshalb nicht bedroht, doch von Cramm wird 1938 aus heiterem Himmel verhaftet. Wie schon im Gestapoverhör vor dem großen Match legt man ihm seine Beziehung zu Manasse Herbst zur Last. Von Cramm spielt die Beziehung herunter, stellt seinen Geliebten als Erpresser dar, kommt so mit einer glimpflichen Strafe davon. 1939 wird von Cramm in den Kriegsdienst eingezogen, es folgen Verletzungen, unehrenhafte Entlassung aus der Wehrmacht, nach dem Krieg erneute Erfolge im Tennis, eine kurze Ehe mit der Woolworth-Erbin Barbara Hutton und eine neue Karriere als Baumwollhändler. 1976 stirbt er bei einem Autounfall.

    Von Cramm selbst hat sich leider nicht zu seiner Lebensgeschichte geäußert, eine Biografie aus dem Jahr 1990 leugnet seine Homosexualität noch. Marshall Jon Fisher stützt sich auf Zeitzeugen, auf Literatur und auf die Strafakten - oft muss er spekulieren. Und leider finden von Cramms gescheiterter Versuch, 1951 eine Wiedergutmachung zu bekommen, und die Aussagen seines früheren Geliebten Manasse keine Erwähnung.

    Von Cramms Trainer Bill Tilden kam in Amerika nicht so glimpflich davon wie von Cramm in Deutschland. Er wurde mehrfach wegen Homosexualität verurteilt, die Tenniswelt wandte sich ab von ihm, er ist daran zerbrochen. Endspielgegner Don Budge wurde 1937 zum Sportler des Jahres gewählt, ihm gelang 1938 als erstem Spieler ein Grand Slam, also alle vier großen Tennisturniere im Einzel zu gewinnen. Danach wechselte er ins Profilager und wurde 1964 ins größte Tennismuseum, der International Tennis Hall of Fame in Rhode Island aufgenommen.

    Mit großer Begeisterung schreibt der Autor und Publizist Jon Marshall Fisher zunächst über Tennis, das Endspiel und seine drei Protagonisten. Schwulenverfolgung, Antisemitismus und die politische Instrumentalisierung des Sports kommen als Themen hinzu. Zu kleinteilig jedoch zwängt Fisher die Fülle seines Stoffs, auch zahllose Hinweise und Exkurse zu anderen Tennisbegegnungen und Zeitgenossen, in eine ausufernde Collage, deren roter Faden die Schilderung des Endspiels ist. Doch das funktioniert so nicht. So geht ein pointierter Blick auf einzelne Zusammenhänge verloren. Trotz alledem begegnet der Leser drei bewegenden und in dieser Form kaum bekannten Schicksalen im Zusammenspiel von Sport, Sexualität und Politik.

    Detlef Grumbach über das Buch von Jon Marshall Fisher: "Ich spiele um mein Leben. Gottfried von Cramm und das beste Tennis-Match aller Zeiten". Erschienen beim Osburg-Verlag, mit 350 Seiten, zum Preis von 22,90 Euro.