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Schiedsgericht der Wikipedia
Wenn Schiedsrichter streiten

Das Schiedsgericht der Wikipedia ist die letzte Instanz, wenn die ehrenamtlich arbeitenden Autoren der Online-Enzyklopädie persönliche Streits nicht selbst beilegen können. Was aber ist, wenn es zum Konflikt innerhalb des Schiedsgerichtes kommt - so geschehen 2016, als ein Richter sich als AfD-Mitglied outete.

Von Maximilian Schönherr | 09.09.2017
    Teilnehmer der dreitägigen WikiCon 2013 sitzen im Karlsruher Institut für Technologie in Karlsruhe zusammen.
    "Wir sind normalerweise auch nicht aus auf Publicity", sagt ein Mitglied des Schiedgerichts. (dpa/ picture-alliance/ Uli Deck)
    Das Schiedsgericht der Wikipedia besteht in der Regel aus zehn Personen, die von der Community der Autoren auf jeweils ein halbes Jahr gewählt werden. Wie die Autoren arbeiten auch die Schiedsrichter ehrenamtlich. Sie treffen sich in einer Skype-Konferenz einmal wöchentlich, um persönliche Streits unter Wikipedianern in einer finalen Entscheidung beizulegen. Es ist damit die letzte Instanz, wenn andere Wege - in der Wikipedia gibt es da die Vandalismusmeldung und die Streitschlichtung - versagen.
    Ende letzten Jahres kam durch eine Indiskretion die Arbeit des Schiedsgerichts in die Öffentlichkeit: Ein Autor namens Magister, schon mehrmals ordentlich gewähltes Mitglied des Schiedsgerichts, äußerte sich unter den Kollegen negativ über Frauen und gab sich dann als AfD-Wahlhelfer zu erkennen.
    Handlungsunfähig durch Rücktritte
    "Es gab meiner Meinung nach drei Punkte. Der eine war die nicht deklarierte Parteimitgliedschaft. Die hat er dann teilweise deklariert, das heißt, unter Verschwiegenheit. Er hat es den Schiedsgerichtsmitgliedern mitgeteilt, aber keine Anstalten gemacht, andere zu informieren. Das zweite ist das Mäßigungsgebot, das man zumindest bei Richtern als Anforderung anlegt. Demnach sollte man, wenn man schon in einer Partei ist, als Richter zumindest keine aktuelle Rolle in der Partei einzunehmen. Der dritte Punkt war, dass die Situation so verfahren war, dass keine Diskussion mehr möglich war. Zusagen wurden zurückgezogen. Das Schiedsgericht war, zumindest in der Zeit, aufgrund der Rücktritte handlungsunfähig", so Wikipedia-Autor und Schiedsgerichtsmitglied Ghilt.
    Nach Magisters Outing traten zahlreiche Mitglieder in zwei Wellen zurück. Bei der nächsten Wahl, Anfang 2017, wurde Magister nicht wieder gewählt, das Gericht stellte sich neu auf.
    "Mein erster Gedanke war, oh, Magister! Ich habe von dem immer eine sehr gute Meinung gehabt, und musste mir mit kämpfen, wie ich damit umgehe. Ich habe mir dann gedacht, ich habe bisher gut mit ihm arbeiten können und habe deswegen nichts dagegen, es weiter zu versuchen. Aber ich verstehe, dass andere Leute eine andere Meinung dazu haben", soweit Schiedsgerichtsmitglied Man77.
    Öffentliche Diskussion des Falls kontraproduktiv?
    Auch der Chemiker Codc war damals im Schiedsgericht und ist es heute wieder. Er meint, die öffentliche Diskussion des Falls war kontraproduktiv, man hätte das intern regeln können.
    "Ich sehe das wie das Schiedsgericht eines Vereins. Die Wikipedia ist natürlich kein Verein, aber da werden auch interne Dinge geregelt. Wir sind normalerweise auch nicht aus auf Publicity."
    Es gab inzwischen zwei so genannte Meinungsbilder zur Zukunft des Schiedsgerichts. Das sind umfangreiche, für jeden einsehbare Diskussionen unter Autoren. Beide Vorstöße wurden mehrheitlich abgelehnt. Einer sollte Schiedsgerichtsmitglieder während der sechsmonatigen Amtszeit abwählbar machen. Für Codc ist es wichtig, die Bedeutung dieses Gremiums nicht zu hoch zu hängen.
    "Das Schiedsgericht ist ausschließlich für Benutzerkonflikte da, es hat keiner politische, auch keine Wikipedia-politische Funktion. Es hat keine Richtlinienkompetenz, kann also keine Entscheidungen für die globale deutschsprachige Wikipedia treffen, sondern ist ausschließlich für Benutzerkonflikte zuständig. Und insofern spielt die politische Ausrichtung eines Benutzers, der als Schiedsgerichtsmitglied amtiert, praktisch überhaupt keine Rolle. Sondern, das ist eher ein Privatvergnügen."