Freitag, 19. April 2024

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Schillers "Don Karlos" am Residenztheater München
Freiheitskampf in der Finsternis

Martin Kušej lässt seine Darsteller im Residenztheater München schwarzsehen und im Dunkeln tappen. Rebellion und Vater-Sohn-Konflikte, Machtspiele und Intrigen - ohne Licht wirkt Friedrich Schillers Drama "Don Karlos" trotz eigenwilliger Ästhetik leider nicht immer erhellend.

Von Sven Ricklefs | 18.05.2018
    Nils Strunk als Don Karlos von Friedrich Schiller am Residenztheater München, Regie Martin Kušej.
    Nils Strunk als Don Karlos (Residenztheater München / Matthias Horn)
    Von Anfang an lässt diese Inszenierung von Friedrich Schillers Staats- und Liebestragödie "Don Karlos" keinen Zweifel daran, wo wir hier sind: Zu Beginn fliegen einem zwei Drohnen aus dem stockdunklen Bühnenraum entgegen, deren grelle Scheinwerfer noch den letzten Winkel auszuleuchten scheinen. Danach werfen vermummte Schergen schreiende Gefangene in ein tiefes Wasserloch. Gewalt und Überwachung also herrschen in König Philipps Reich, in diesem Spanien des 16.Jahrhunderts, das eigentlich fest in den Klauen eines inquisitorischen Katholizismus steckt.
    Verrat und Intrige als Nährboden
    Doch auch wenn in diesem Staat die Sonne niemals untergeht, so kann sich ihn Regisseur Martin Kušej nur als düstere Dystopie vorstellen. Und so lässt er seinen "Don Karlos" größtenteils in einem leeren Schwarzraum spielen, in dem sich die ebenfalls schwarz gekleideten Figuren oft nur mühsam aus der Dunkelheit schälen und sich in diese wieder verlieren.
    Die Szenen spielen in milchigen Kegeln einsamer Scheinwerfer oder auch mal ganz im Dunklen. Und: man kann sich nie sicher sein, wer gerade zuhört. Denn Verrat und Intrige, das ist der Nährboden, auf dem sich Schillers stürmerisches Drama seinem fatalen Ende nähert und dabei politische wie emotionale Abgründe gleichermaßen ausleuchtet. Dabei ist die Initialzündung ein echter Liebesplot:
    Elisabeth: Du wagst es noch zu hoffen, wo alles, alles schon verloren ist.
    Don Karlos: Ich gebe nichts verloren als die Toten.
    Elisabeth: Auf mich, auf Deine Mutter hoffst Du!
    Doch die Liebe zu derselben Frau, das ist nur das eine, über das Don Karlos und König Philipp II. in ihren todbringenden Vater-Sohn-Konflikt geraten. Das andere ist der Umgang mit den aufständischen Provinzen. Will der Vater die brutale harte Hand, träumt der Sohn kühn von einem neuen Staat:
    Don Karlos: Bis diesen Tag musste ich, der Erbe dieses Reiches, in diesem Reich ein Fremdling sein. Gefangener auf diesem Grund, wo ich einst Herr sein werde.
    König Philipp II.: Mit Deinem heißen Blut, Du würdest nur zerstören.
    Don Karlos: Geben Sie mir zu zerstören, Vater. 23 Jahre und nichts für die Unsterblichkeit getan.
    Marquis von Posa: Ein Machtstratege wie alle anderen
    Dass in ihm auch der politische Heißsporn erwacht, hat Don Karlos vor allem seinem Freund dem Marquis von Posa zu verdanken. Er, der immer wieder auch als Schillers idealistisches Alter Ego interpretiert worden ist, erscheint allerdings nun in der Inszenierung von Martin Kušej fast als ein ebenso kalter Machtstratege wie alle anderen, die sich hier an diesem düsteren Hof ihre Kämpfe liefern. Und so spielt ihn der sonst für sein eruptives Temperament bekannte Schauspieler Franz Pätzold sehr zurückgenommen, lässt dafür aber seine eindrückliche Stimme durch den Raum schneiden:
    Marquis von Posa: Geben Sie was Sie uns nahmen wieder.
    Lassen Sie großmütig, wie der Starke, Menschenglück und kluge, freie Geister reifen in ihrem Weltgebäude.
    Geben Sie die unnatürliche Vergötterung auf, die uns vernichtet. Werden sie uns Muster des Ewigen und Wahren.
    Geben Sie, was Sie uns nahmen wieder. Ein Federzug von dieser Hand und neu erschaffen ist die Erde.
    Geben sie Gedankenfreiheit.
    Bildmächtig und eigenwillig in der Ästhetik
    Liebe und Macht, Freiheit und Staatsräson, Aufruhr und Unterdrückung: Schiller schrieb dieses Stück zwei Jahre vor der französischen Revolution und schaute dabei zugleich weit über sie hinaus. Martin Kušej hat in München versucht, diese Themen in ein Heute fort zu schreiben. Dass ihm dies über weite Strecken gelingt, liegt zum einen sicherlich an Schauspielern wie Franz Pätzold oder wie Nils Strunk, als dem ebenso persönlichkeitsstarken wie sensiblen Don Karlos. Zum anderen aber auch an Kušejs Inszenierung selbst, die –typisch für diesen Regisseur – mit bildmächtigen Setzungen arbeitet und dem Abend eine ganz eigenwillige Ästhetik verleiht. Sie allerdings bringt ihn bei einer Spieldauer von vier Stunden leider auch immer wieder in die Gefahr, zu einer bleiernen Zumutung zu werden.